Havarierter Frachter MSC Flaminia:Furcht vor der "unkalkulierbaren Gefahr"

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Niemand kann einschätzen, was genau in den 2876 Containern an Bord der MSC Flaminia los ist. Es könnte noch immer kleinere Brandherde auf dem Frachter geben - mehr als einen Monat nach der schweren Havarie auf offener See. Nun soll das Schiff nach Wilhelmshaven geschleppt werden. Politiker sind besorgt.

Jens Schneider, Hamburg

Das Feuer an Bord ist unter Kontrolle, die offenen Brände sind gelöscht. Aber das ist an diesem Donnerstag beinahe alles, was die Experten vom Havariekommando wissen können. Keiner kann einschätzen, was genau in den 2876 Containern an Bord der MSC Flaminia los ist. Es könnte dort, so heißt es, noch immer kleinere Brandherde geben, mehr als einen Monat nach der schweren Havarie auf offener See während der Passage von Amerika nach Belgien.

Keiner kann einschätzen, wie groß die Schäden an der MSC Flaminia sind. (Foto: AFP)

Mitte Juli brannte es auf dem Schiff, die Besatzung rettete sich nach einem gescheiterten Löschversuch und einer Explosion von Bord, mindestens ein Seemann kam ums Leben. Noch ist das manövrierunfähige, 289 Meter lange Schiff weit entfernt von der deutschen Küste. Ein Schlepper zieht es südwestlich von Cornwall vor der britischen Südspitze zum Eingang des Ärmelkanals. Durch den Kanal soll es zunächst in die Nähe der Insel Helgoland geschleppt werden und später in den Jade-Weser-Port vor Wilhelmshaven.

Ende einer wochenlangen Irrfahrt?

Wenn alles gut geht, könnte es das Ende einer wochenlangen Irrfahrt sein, in deren Verlauf die Reederei von anderen Ländern abgewiesen wurde, die das havarierte Schiff nicht aufnehmen wollten. So weigerten sich England und Frankreich, einen Notliegehafen bereitzustellen, wie es heißt, wegen des großen Umweltrisikos.

Also soll das unter deutscher Flagge fahrende Schiff nun die lange Strecke durch den Ärmelkanal geschleppt werden. Niedersachsens Regierung hat das in Abstimmung mit dem Havariekommando in Cuxhaven entschieden, das die Bergung übernommen hat. An der Küste wächst die Sorge, dass diese voraussichtlich letzte Reise der MS Flaminia nicht sicher und eine große Gefahr für die norddeutsche Küste und das einzigartige Wattenmeer sein könnte.

Der Sozialdemokrat Olaf Lies, stellvertretender Fraktionschef und selbst aus Ostfriesland, warnt vor einer "unkalkulierbaren Gefahr" und spricht drastisch von einer "tickenden Zeitbombe", es dürfe auf keinen Fall ein Risiko eingegangen werden. Wie auch die Grünen in Bremen fordert er, dass offengelegt werde, welche Gefahren das Schiff mit sich bringt, auf dem laut Angaben der Reederei NSB 151 Container als Gefahrgut deklariert waren. Das ist nicht ungewöhnlich, Gefahrgüter werden ständig über See transportiert und gehören zur normalen Fracht eines Containerschiffs. Aber nach dem Brand auf dem Schiff weiß man eben nicht um den Zustand der Fracht.

Das Havariekommando hat aus Cuxhaven einen Bergungsexperten, einen Chemiker und einen Fachmann für Gefahrgut nach Südengland entsandt. Sie sollen diesen Freitag an Bord gehen. Mit ihnen kommen Experten aus Großbritannien, den Niederlanden und Frankreich, die entscheiden sollen, ob der Schleppzug tatsächlich sicher den Ärmelkanal - eine der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt - durchfahren kann.

Wenn sie das Schiff für stabil genug erachten, soll der 2001 in Südkorea gebaute Frachter in zehn bis vierzehn Tagen ungefähr zwölf Seemeilen westlich von Helgoland in der Deutschen Bucht ankern. Bis dahin wird der Havariestab auf rund 80 Fachleute ausgebaut, vor Helgoland soll Gefahrgut gesichert und das Containerschiff so weit vorbereitet werden, dass es sicher in den Hafen nach Wilhelmshaven gebracht werden kann.

Eine unglückliche Reise

Er sehe keinen Anlass zur Sorge, sagt Niedersachsens Umweltminister Stefan Birkner (FDP), er verlasse sich auf die Spezialisten, nach deren Einschätzung der Frachter schwimmfähig sei. Vom Havariekommando in Cuxhaven gibt es vorerst keine eindeutige Einschätzung des Risikos. Man arbeite daran, intensiv würden die Ladungslisten und Staupläne analysiert. "Aber richtig gefährlich wird es, wenn man gar nichts unternimmt", sagt die Sprecherin Ulrike Windhövel, das Kommando habe viel Erfahrung und gehe behutsam vor, gemeinsam mit externen Experten für Gefahrgut.

Für den Jade-Weser-Port wäre die Bergung der Container vom Unglücksschiff eine eigenartige Premiere. Der riesige neue Tiefwasserhafen hätte eigentlich schon im August eröffnet werden sollen, wegen Bauverzögerungen musste das Fest auf den 21. September verschoben werden. Mitten in die Anfangszeit könnte nun die Ankunft des Havaristen fallen. Dass bis dahin noch nichts los ist und viel Platz zur Verfügung steht, wäre für die Bergung der Container von Vorteil, heißt es beim Havariekommando. Denn jeder Container müsse einzeln an Land geholt und untersucht werden. Wann die unglückliche Reise des Schiffs in Wilhelmshaven endet, wagt aber noch niemand zu sagen.

© SZ vom 24.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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