Havarie der "Costa Concordia":Schleppende Bergung vor Giglio

Tag und Nacht arbeitet derzeit ein 400-köpfiges Team daran, das Wrack der "Costa Concordia" aufzurichten. Die Bergung dürfte weit mehr als die veranschlagten 230 Millionen Euro kosten. Und die Bewohner von Giglio werden frühestens im Spätsommer vom Anblick des Kolosses befreit sein.

Lena Jakat

Gibt es einen Autounfall, kommt der Abschleppdienst. Verunglückt ein Zug, müssen Bergungsunternehmen oft mit schwerem Gerät anrücken. Wie aber bewegt man einen Koloss, der so viel wiegt wie 100 Flugzeuge des Typs Boeing 747? Vor der italienischen Insel Giglio liegt, manövrierunfähig, die Costa Concordia. Ein Teil des Schiffskörpers ragt mahnend aus dem Mittelmeer. Die Szenerie unterscheidet sich kaum von jener unmittelbar nach der Havarie. Als wäre seitdem nicht schon ein ganzes Jahr vergangen. Und es wird noch etliche Monate dauern, bis sich dieses Bild ändert.

Einen Monat nach dem Unglück wurde damit begonnen, das verbleibende Öl aus den Tanks der Concordia abzupumpen. Weitere vier Monate vergingen, ehe Experten die Bergungsarbeiten aufnahmen. Den Auftrag, das 290 Meter lange Schiff an Land zu transportieren, erhielt ein Konsortium aus dem US-Bergungsspezialisten Titan Salvage und der italienischen Firma Micoperi. Die große Herausforderung: Die Concordia muss im Ganzen geborgen werden. Würde das Wrack vor Ort zerlegt, wären die Gefahren für die Umwelt zu groß. An Bord befinden sich unter anderem tonnenweise Lebensmittel, die in den Lagerräumen unter Deck vor sich hinrotten.

Zunächst brachten Taucher Drahtseile und Ankerketten an der Außenhaut des Wracks an, um zu verhindern, dass es in tiefere Gewässer abrutscht. Diese Operation dauerte länger als erwartet, erst am 2. November war sie endgültig abgeschlossen. Derzeit arbeitet ein 400-köpfiges Team Tag und Nacht am Unglücksort. Längst ist klar, dass die veranschlagten Kosten von 230 Millionen Euro längst nicht reichen werden.

Als nächstes soll mit sand- und zementgefüllten Säcken eine Art künstlicher Meeresboden als Unterlage geschaffen werden. Mithilfe von sogenannten Senkkästen soll das Schiff anschließend aufgerichtet werden. Diese riesigen Container werden an der Seite des Wracks, die derzeit aus dem Meer in den Himmel ragt, befestigt und mit Wasser gefüllt. Durch das Gewicht soll sich das Schiff aufrichten. Wie Projektleiter Franco Porcellachia in einem Bericht der britischen BBC erläutert, wird diese entscheidende Phase der Bergung zwei Tage dauern, da die Außenhaut des Schiffes bereits sehr strapaziert ist und jedes Risiko neuer Risse vermieden werden soll.

Offene Klagen

"Die Bergungsteams haben keinen Zugang zum Inneren des Wracks, aber wir arbeiten daran, zu verhindern, dass irgendwelche Stoffe austreten", sagte Projektleiter Porcellacchia dem Sender. "Bislang haben wir keine Verschmutzung registriert. Wir stehen unter ständiger Beobachtung durch die Behörden." Wann die Concordia aufgerichtet werden könnte, ist derzeit allerdings noch völlig offen.

Sobald sich das Schiff in einer vertikalen Position befindet, wird das Wasser aus den angebrachten Tanks abgelassen und auch auf der Seite, die jetzt noch unter Wasser liegt, luftgefüllte Tanks angebracht. Sie sollen dem Koloss genügend Auftrieb verleihen, so dass dieser in ein Dock - voraussichtlich auf Sizilien - geschleppt werden kann. Details und Fortgang der Bergungsarbeiten werden in englischer und italienischer Sprache auf der Webseite des "Parbuckling Project" dokumentiert.

Viele Bewohner der idyllischen, 24 Quadratkilometer großen Toskana-Insel, die seit jeher vom Tourismus lebte, sehnen den Tag herbei, da das Wrack aus ihrem Blickfeld verschwindet. Jeden Tag erinnert sie der weithin sichtbare Rumpf an das Unglück, das für immer mit Giglio verbunden sein wird. Auch der Politik geht die Bergung zu langsam voran. Im Dezember schrieb Umweltminister Corrado Clini einen Brief an den Geschäftsführer von Costa Crociere, um ihn zur Eile zu mahnen, wie die österreichische Presseagentur APA im Dezember berichtete.

Selbst wenn das Schiff irgendwann im Laufe des Jahres in einem Dock vor Anker liegt: Den Riesen anschließend zu zerlegen, der einst 4200 Passagieren Platz bot, wird dann völlig neue Herausforderungen mit sich bringen - und in der Verantwortung eines dritten, bislang noch unbeteiligten Unternehmens liegen. In den Kabinen des Kreuzers liegen noch immer persönliche Gegenstände und Wertsachen der Passagiere, für die sich in der Nacht zum 14. Januar 2012 der Traumurlaub in einen Albtraum verwandelte. Zwar haben sich die meisten auf das pauschale Entschädigungsangebot der Costa-Reederei in Höhe von etwa 11.000 Euro eingelassen.

Doch der US-Anwalt John Eaves vertritt nach eigenen Angaben noch 120 Geschädigte, die den Mutterkonzern von Costa Crociere, den Konzern Carnival Cruises mit Sitz in Miami, auf juristischem Wege zur Kasse bitten wollen. Denn schließlich geht es oft um weitaus größere Summen. Der Anwalt einer Überlebenden aus Nordrhein-Westfalen sagte im Juli zum Beispiel der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, eine seiner Mandantinnen habe Schmuck im Wert von 60.000 Euro auf der Concordia zurückgelassen. Ob sie das Geschmeide jemals wiederbekommt, wird sich zeigen, sobald die Rettung des Riesen geglückt ist.

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