Havarie der "Costa Concordia":Albtraum in Endlosschleife

Herbert Greszuk kann nicht mehr schlafen, Angelika Blank rief ihre beste Freundin an, die bei dem Unglück ums Leben gekommen war. Und Carla Fantoni fragt sich, was aus den Verschollenen geworden ist. Zehn Menschen ein Jahr nach der Havarie der "Costa Concordia" ihre Geschichte erzählt.

Andrea Bachstein, Bettina Dobe und Lara Wiedeking

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Ein Jahr nach der Havarie der Costa Concorida: Zehn Menschen erzählen ihre Geschichte

Quelle: AFP

Herbert Greszuk kann nicht mehr schlafen, Angelika Blank rief ihre beste Freundin an, die bei dem Unglück ums Leben gekommen war. Und Carla Fantoni fragt sich, was aus den Verschollenen geworden ist. Zehn Menschen haben ein Jahr nach der Havarie der "Costa Concordia" ihre Geschichte erzählt.

Den gelben Schornstein haben sie ihr abgeschnitten und die Felsspitze aus dem weißen Bauch operiert, die ihr den 70 Meter langen, fatalen Riss zugefügt hat. Ein Jahr nach der Havarie ist die Costa Concordia Teil einer gewaltigen Großbaustelle. Das Schiff ist umgeben von Kränen und Containern.

Um 21.45 Uhr wird dort am Sonntag für eine Minute lang Ruhe herrschen - exakt in dem Moment, als am 13. Januar 2012 Kapitän Francesco Schettino die Concordia mit 4200 Menschen an Bord auf die Klippen vor der toskanischen Insel setzte. 32 Menschen starben, Hunderte Überlebende haben bis heute Probleme mit dem Erlebten. Mit einem Gottesdienst gedenkt man am Jahrestag auf Giglio der Katastrophe. Direkt nach der Schweigeminute, um 21.46 Uhr, gehen die Arbeiten weiter. 400 Spezialisten bereiten das Wrack für den Abtransport vor, 230 Millionen Euro kostet die komplizierte Prozedur.

Wann die Gerichtsverhandlung über das Unglück beginnt, ist noch unklar. 50.000 Seiten umfassen die Ermittlungsakten, 200 Zeugen hat das Gericht in Grosseto zur Beweisaufnahme gehört. Außer Kapitän Schettino müssen sieben weitere Besatzungsmitglieder und Verantwortliche der Reederei Costa mit einer Anklage rechnen. Aus dem Funkverkehr und vielen Zeugenaussagen hat sich ein desaströses Bild vor allem des Kapitäns ergeben, der die Concordia bis auf 200 Meter an die Insel heransteuerte. Als das Unglück geschehen war, verzögerte Schettino die Evakuierung, verharmloste gegenüber Behörden die Lage und verließ schließlich das Schiff Stunden vor den letzten Passagieren - er sei ins Rettungsboot hinein "ausgerutscht", gab er an.

Lesen Sie auf den nächsten Seiten, was aus zehn Menschen, die bei dem Unglück dabei waren, geworden ist.

Protokolle: Andrea Bachstein, Bettina Dobe und Lara Wiedeking

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Havarie der "Costa Concordia":Der Kapitän

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Quelle: AFP

"Kann sein, dass ich Fehler gemacht habe, aber da war ich nicht alleine." Das ist die Verteidigungslinie, die Kapitän Francesco Schettino konsequent verfolgt. Der Mann, der die Concordia in den Untergang gesteuert hat und als "Kapitän Feigling" berüchtigt ist, sieht sich ein Jahr nach dem Desaster selbst als Opfer - vor allem der Medien und der Reederei Costa. Ihm allein wolle die Reederei die Schuld aufladen, obwohl sie mitverantwortlich sei. Er werde aber alles ans Licht bringen, hat Schettino angekündigt. Der Concordia-Prozess könnte mit bis zu 15 Jahren Haft für ihn enden.

Schettino liegt zudem im privaten Rechtsstreit mit Costa, er klagt gegen seine Entlassung. Seit Juli steht er nicht mehr unter Hausarrest in Meta di Sorrento, wo er abgeschirmt lebt. Dennoch muss er sich regelmäßig bei der Polizei melden. Er gibt so gut wie keine Interviews, doch der italienischen La Stampa hat er vor wenigen Tagen gesagt: "Man hat mich schlimmer als Osama bin Laden dargestellt. Dabei bedauere ich zutiefst, was geschehen ist." Aus tiefstem Herzen komme sein Schmerz für die Opfer. Aber: "Ich lehne das Bild ab, das von mir gezeichnet worden ist. Es zieht nicht nur 30 Jahre meiner Arbeit und Erfahrung in der ganzen Welt ins Lächerliche, sondern auch das Bild unseres Landes." Fotos, die vom Concordia-Kapitän um die Welt gingen, zeigten ihn als lustigen Lebemann in Uniform, passend zur dauervergnügten Kreuzfahrt-Welt.

Doch muss man nicht auch eine seriöse Seite besitzen, um ans Steuer eines Schiffs mit 4200 Passagieren zu kommen? Noch ist nicht auszumachen, ob der stets gebräunte Seemann nur sich und der Welt etwas vormacht, wenn er seine Rolle bei der Tragödie relativiert. Bei einem Beweisaufnahme-Termin sagte er im Oktober: "Die Wahrheit muss festgestellt werden." Dies scheint er zumindest besser eingeschätzt zu haben als die Entfernung seines Schiffs zum Ufer von Giglio.

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Havarie der "Costa Concordia":Die Schwimmerin

Angelika Blank, Costa-Concordia-Überlebende

Quelle: Tobias Dorfer

Gerade noch rechtzeitig sprang Angelika Blank, 58, Kellnerin aus Rohr bei Nürnberg, von Bord der Concordia. Sie war erst den halben Weg zur Insel geschwommen, da war das Deck mit den letzten Passagieren an Bord schon unter Wasser. Blanks beste Freundin hatte es nicht geschafft. Tage später fanden Rettungskräfte ihre Leiche. "Ich wünschte mir, ich könnte die Zeit zurückdrehen", sagt Blank. "Da, wo Gabi war, ist jetzt ein Riesenloch."

Anfangs, erzählt Blank, habe sie sich dabei ertappt, wie sie bei Gabi anrief. Irgendwann wurde der Anschluss abgestellt. Am Sonntag wird Blank am Gedenkgottesdienst auf Giglio teilnehmen. Es wird das dritte Mal sein, dass sie auf der Insel ist. Regelmäßig organisiere die Reederei Costa solche Gottesdienste und übernehme alle Kosten. "Auch die Überführung und die Beerdigung haben sie übernommen, da waren sie sehr menschlich und ganz unbürokratisch."

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Havarie der "Costa Concordia":Die Inselbewohnerin

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Quelle: SZ

Dass Carla Fantoni ein Mensch ist, der versucht, heiter durchs Leben zu gehen, merkt man sofort. Aber wenn sie über die Nacht der Concordia-Katastrophe spricht, ist es, als lege sich ein Gewicht auf sie. Das Schreien und Rufen, das Durcheinander, die verängstigten Menschen fallen ihr zuerst ein.

Carla Fantoni steht in Giglio Porto auf dem großen Balkon ihres Hauses direkt am Hafen. Wie auf einer Bühne liegt das Wrack vor ihr. Unwirklich kommt der Rentnerin das manchmal vor, "als würden wir ein Fernsehbild sehen, wenn wir aus dem Fenster schauen", sagt sie. Nur kann man dieses Bild nie abschalten. Die Bergungsarbeiten laufen Tag und Nacht, stets hell angestrahlt, und Signora Carla, die Schneiderin war und fünf Kinder großgezogen hat, staunt noch immer über die Container, die neben der Concordia aufragen wie ein vom Himmel gefallenes Hochhaus.

Sie denkt an die beiden Opfer, die nicht gefunden wurden, "sie werden nicht mehr im Schiff sein, das Meer hat sie sich sicher genommen", sagt Signora Carla. Die Vorstellung, die Toten könnten noch im Wrack sein, fällt ihr schwer. Auch sie hat vor einem Jahr Schiffbrüchige aufgenommen, "wir sind so auf Giglio", sagt sie. "Wie kann man denn da nicht helfen, diese armen Leute." An eine Familie mit einem weinenden kleinen Mädchen kann sie sich besonders gut erinnern. Langsam werde es schon leichter, sagt Carla Fantoni. Und richtet sich auf einen Sonntag ein, an dem die Erinnerung noch einmal sehr lebendig wird.

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Havarie der "Costa Concordia":Die Patientin

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"Der verflixte Tag", wie Brigitte Sowa den 13. Januar 2012 nennt, hat ihr wahrscheinlich das Leben gerettet. "Wenn man so will, hatte ich zweimal Glück", sagt sie. Das erste Mal, als die 62-Jährige mit ihrem Mann unverletzt von Bord ging. "Wir waren bei den ersten, die das Schiff verließen", sagt sie. Alles, auch ihren persönlichen Schmuck, musste die Bürobotin aus Bonn auf dem Schiff zurücklassen. Deshalb war Sowa in der kalten Nacht auf Giglio nur dünn bekleidet. Sie erkältete sich schwer - da hatte sie das zweite Mal Glück.

Die Erkältung entwickelte sich zur Bronchitis, der Hausarzt schickte sie nach ein paar Tagen zum Röntgen. Der Arzt diagnostizierte Lungenkrebs. Noch hatte Sowa keine Metastasen. Die Ärzte konnten sie auch wegen der frühzeitigen Entdeckung erfolgreich behandeln.

Die Krankheitsgeschichte führte aber auch dazu, dass sie die Havarie selbst noch nicht verarbeitet hat. "Erst jetzt kommen die Erinnerungen hoch", erzählt sie. Zwar hatte sie nach der Rückkehr eine Therapie begonnen, ihre Krebserkrankung verhinderte jedoch weitere Behandlungen. "Ich habe das bis jetzt alles gut verdrängt." Ihr Ehemann nicht: "Mein Mann", sagt sie, "der hat das nicht vertragen." Er will nie wieder eine Kreuzfahrt machen. Sie kann sich das schon vorstellen, sogar mit Costa.

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Havarie der "Costa Concordia":Der Leidgeprüfte

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Quelle: SZ

Als vor 50 Jahren eine Sturmflut Norddeutschland heimsuchte, war Udo Brepohl, 69, dort. Eine Woche sei er im Einsatz gewesen, mit dem Taucherclub Essen, er musste vor allem Tote bergen. Diese Arbeit, sagt er, habe ihm wahrscheinlich geholfen, das Concordia-Unglück zu verarbeiten. Aber seiner Frau Ingrid, 65, fiel das schwerer: "Drei Monate lang konnte sie kaum schlafen."

Das Ehepaar aus Gelsenkirchen hat damals die Entschädigungssumme von Costa angenommen, eine Klage hielten sie für aussichtslos. Enttäuscht ist Udo Brepohl trotzdem von der Reederei: "Ich habe nicht das Gefühl, dass es die Costa-Mitarbeiter interessiert, was mit unseren Sachen aus der Kabine ist. Als wäre mit der Entschädigungszahlung jetzt alles abgegolten." Ein amerikanischer Anwalt klage jetzt in den USA und wollte auch das Ehepaar vertreten. Darauf ließ sich Brepohl aber nur ein, weil dieser Anwalt ihm zusicherte, es kämen keine weiteren Kosten auf ihn zu. Zur Zeit sind die beiden wieder auf Kreuzfahrt, auf der gleichen Route wie damals. Nur sind sie mit einem anderen Kreuzfahrtunternehmen unterwegs.

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Havarie der "Costa Concordia":Der Schlaflose

Überlebender des Concordia-Unglück

Quelle: dpa

Herbert Greszuk, 63, schläft noch immer schlecht, trotz der Medikamente, die ihm sein Arzt verschrieben hat. Den Floristen aus Recklinghausen plagen Alpträume. Er ist enttäuscht, dass sich noch niemand entschuldigt und sein Fehlverhalten gestanden hat: "Wer hat die Erlaubnis gegeben, die Route zu verlassen? Wenn ich einen Fehler mache, dann muss ich doch dazu stehen und es zugeben!"

Auch er und sein Freund, mit dem er damals auf Kreuzfahrt war, haben die Einladung zum Trauergottesdienst erhalten. Für Herbert Greszuk hat das Schreiben einen bitteren Beigeschmack: "Es wird darauf hingewiesen, dass nur Angehörige von Opfern nach Giglio reisen sollen. Weil so viele Menschen erwartet werden. Natürlich ist es toll, dass für die Angehörigen so etwas organisiert wird, aber man fragt sich doch: Ist mein Leid also nicht groß genug?"

Das Geschäft von Greszuk ist rückläufig, zusätzlich zu seinem Blumenladen betreibt er noch ein Café. Er sei nicht mehr so kreativ, sagt er, sicherlich liege das auch an dem Schlafmangel. Am 13. Januar wird er nicht nach Italien reisen. In Greszuks Café feiert der 14-jährige Sohn einer Stammkundin Geburtstag. "Ich werde nur von fröhlichen Menschen umgeben sein, das ist hoffentlich eine gute Ablenkung."

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Havarie der "Costa Concordia":Der Pfarrer

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Quelle: SZ

"Die Leute von Giglio sind Seeleute", sagt Don Lorenzo. "Sie wissen, wie das Meer sein kann und dass man helfen muss." Aber der Pfarrer der Insel sagt auch, dass die Gigliesi nicht mehr wie vor dem Unglück seien, "sie denken jeden Tag daran, und den Schmerz darüber tragen sie in sich." Don Lorenzo sagt, er hoffe, dass das Drama bei allem Schmerz auch ein paar positive Spuren hinterlassen werde.

Er hatte in der Unglücksnacht die Kirche geöffnet als Quartier für Schiffbrüchige, egal ob es Christen, Hindus oder Muslime waren. Vor allem betont er die Hilfsbereitschaft der Insulaner, die sich der zehnfachen Zahl Schiffbrüchiger gegenübersahen. Er lobt die Bereitschaft derer, die ihm in der Nacht halfen, die Menschen in seiner Kirche zu versorgen. Erwähnt die vielen Leute, die wildfremde Menschen in ihr Haus mitnahmen, ihnen Kleider gaben, zeigten, wie der Herd funktioniert und wieder losrannten, um anderen Schiffbrüchigen beizustehen.

Dass Touristen kommen, um das Wrack anzuschauen, versteht er. Aber dass einige Neugierige sich benehmen "als wären sie im Zoo", das ärgert ihn doch. Am Jahrestag wird er natürlich auch beim Gedenkgottesdienst dabei sein. "An diesem Tag geht es im Grunde nur um den Schmerz der Angehörigen und die Trauer", sagt Don Lorenzo, der Rest des Geschehens werde wohl ein Medienspektakel sein. Was die Insel jetzt brauche und er und die Gigliesi sich wünschen, ist, dass das Wrack endlich verschwindet "und allmählich die Normalität zurückkehrt."

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Havarie der "Costa Concordia":Die Tourismuschefin

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Quelle: SZ

Sie muss versuchen, professionell an das Thema heranzugehen, denn Elizabeth Nanni leitet den Fremdenverkehrsverein von Giglio, und die Insel lebt vom Tourismus. Die Zahl der Übernachtungen ist in der vergangenen Saison um fast 30 Prozent zurückgegangen. "Das liegt sicher zum Teil an der Wirtschaftskrise. Aber die Leute wollten auch nicht Urlaub machen mit Aussicht auf das Wrack. Sie fürchteten Belästigungen durch die Bergungsarbeiten, obwohl man davon ja nur in Giglio Porto etwas merkt."

Tagestouristen kamen nach dem Unglück allerdings umso mehr. Doch davon hätten höchstens die Fährunternehmen profitiert, sagt Nanni. "Die Leute sind morgens gekommen, haben belegte Brötchen mitgebracht, und abends sind sie wieder abgefahren. Da ist auf der Insel kaum etwas hängengeblieben." Die meisten Besucher interessierten sich nur für das kolossale Wrack, der Rest der Insel blieb ohne Beachtung.

Die Insel sei jetzt zwar weltbekannt. Aber sie hat ihren Stempel weg: "In Zukunft das Bild der Insel wieder zu trennen von der Kreuzfahrt-Katastrophe, das wird schwierig werden." Dabei ist die Insel wunderschön, sie liegt in einem riesigen Meeres-Naturschutzgebiet, ein Paradies für Taucher und andere Wassersportler. Etwas Sorge gebe es schon auf der Insel, sagt Nanni, ob es klappen wird mit dem Abtransport der Concordia, so etwas wurde ja noch nie gemacht. Nur professionell kann aber auch die Tourismusmanagerin nicht sein. "Obwohl uns selber ja eigentlich nichts passiert ist", stecke ihr die Unglücksnacht noch in den Knochen: "Ich bin traumatisiert."

© SZ vom 12.01.2013/leja
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