Havarie an der Loreley:Alles im Fluss

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Der gekenterte Tanker "Waldhof" blockiert den Rhein noch immer an seinem Nadelöhr. Die Menschen vor Ort können sich an keinen vergleichbaren Unfall erinnern - und schauen mit Sorge auf das Unglücksschiff.

Sebastian Beck, St. Goarshausen

Den Anfang macht die MSG Coburg. Am Donnerstagmorgen tastet sich das Frachtschiff hinter einem Lotsenboot vorsichtig den Rhein hinauf. Ein Manöver mit Risiken: Die Strömung ist stark, weil der Fluss noch immer Hochwasser führt. Selbst bei normalem Pegelstand gehört die Engstelle an der Loreley zu den gefährlichsten Abschnitten des Rheins. Keine hundert Meter von der Coburg entfernt ragt ein Wrack aus den Fluten, das seit einer Woche den Schiffsverkehr auf Deutschlands wichtigster Wasserstraße blockiert: Es ist die Waldhof, ein Tanker mit 2378 Tonnen Schwefelsäure an Bord.

Das gekenterte Tankschiff Waldhof zu Füßen der Loreley-Statue. (Foto: dpa)

In den frühen Morgenstunden des 13. Januar kenterte das Schiff, zwei Besatzungsmitglieder konnten sich retten, nach den Leichen der beiden anderen sucht die Wasserschutzpolizei. Die Unfallursache ist noch unklar, aber die Ermittlungen müssen warten. Den Einsatzkräften geht es jetzt vor allem darum, so schnell wie möglich das Hindernis zu beseitigen. Denn auf dem Rhein hat sich bei St. Goar inzwischen ein gewaltiger Stau gebildet: Nachts zieht sich eine Lichterkette aus wartenden Schiffen kilometerlang durchs Tal.

Die Schwimmkräne treffen ein

Bald könnten bis zu 500 Frachter festsitzen, schätzt Martin Mauermann, der Leiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes in Bingen. Das Technische Hilfswerk versorgt die Besatzungen mit Wasser und Lebensmitteln. Ein einziger verlorener Tag kostet einen Schiffseigner 2000 Euro und mehr. Industriebetriebe klagen inzwischen über die Verknappung von Rohstoffen. Der Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen hat seine Kunden bereits auf Lieferverzögerungen vorbereitet. Sie dürfen sich auf einiges gefasst machen: Schlimmstenfalls dauert es noch vier Wochen, bis der Rhein wieder ungehindert schiffbar ist.

Bis Samstag sollen alle drei Schwimmkräne aus Rotterdam am Unglücksort eingetroffen sein. Erst dann kann mit der Bergung des Wracks begonnen werden. "Bergung", sagt Martin Mauermann, sei allerdings ein sehr dehnbarer Begriff. Zunächst einmal müssten Untersuchungen an der Waldhof und ihrer Ladung angestellt werden. Die knapp 2400 Tonnen Schwefelsäure stellen weniger für den Rhein als vielmehr für die Bergungsmannschaft ein Risiko dar, heißt es. Nach Möglichkeit soll der Inhalt der Tanks abgepumpt werden. Aber wie pumpt man ein Schiff leer, das fast ganz unter Wasser liegt? Und noch dazu in starker Strömung? Mit diesen Fragen beschäftigen sich seit Tagen die Experten, eine Antwort darauf haben sie noch nicht gefunden.

Möglicherweise muss die Säure in den Fluss abgelassen werden. Karl Peter Bruch, der Innenminister von Rheinland-Pfalz, hält das zwar für die schlechteste Lösung. Zugleich versichert er am Donnerstag jedoch, dass allenfalls in der unmittelbaren Umgebung des Wracks mit einem Fischsterben zu rechnen sei, weil die Schwefelsäure leicht flüchtig sei und vom Wasser des Rheins schnell verdünnt werde. Immerhin liegt die Waldhof inzwischen einigermaßen stabil im Flussbett. In den vergangenen Tagen hatten die Einsatzkräfte noch befürchtet, sie könne sich im Hochwasser von den Sicherungsleinen losreißen.

Um den Bug des Schiffes herum hatte sich im Flussbett ein Hohlraum gebildet. Am Donnerstag durften dann aber versuchsweise einige Schiffe die Engstelle flussaufwärts passieren, darunter die MSG Coburg. Ob während der Bergungsarbeiten wenigstens ein Notverkehr auf dem Rhein möglich sein wird, konnten die Behörden aber noch nicht vorhersagen. All das sei noch offen, sagt Mauermann.

Havarie an der Loreley
:Gekenterter Tanker blockiert Rhein

Am Loreley-Felsen, der besonders engen Stelle des Rheins, ist ein Tankschiff mit Schwefelsäure havariert. Die Suche nach zwei vermissten Bootsmännern kommt nicht voran.

Ein Unglück wie dieses hat selbst er noch nicht erlebt, obwohl er es als Leiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes fast täglich mit Havarien auf dem Rhein zu tun hat: Allein auf dem Abschnitt zwischen Mainz und Bonn passieren jährlich etwa 120 meist kleinere Unfälle. Die Havarie der Waldhof hingegen ist allenfalls mit dem Excelsior-Unglück im März 2007 vergleichbar: Das Frachtschiff hatte damals in der Nähe von Köln 32 Container verloren. Die Schifffahrt auf dem Rhein musste daraufhin für fünf Tage komplett unterbrochen werden.

60.000 Schiffsbewegungen im Jahr

An der Loreley war zuletzt 2003 ein Ausflugsschiff verunglückt: Bei Niedrigwasser prallte es gegen das Ufer, 41 Passagiere erlitten Verletzungen. Die Engstelle mit ihren tückischen Strömungen wird Schiffen schon seit Jahrhunderten immer wieder zum Verhängnis. "Auch heute ist die Loreley für uns noch ein Unfallschwerpunkt", sagt Martin Mauermann. "Es ist die einzige Strecke, auf der wir Radarbeobachtungen machen." Doch trotz Radar- und Ampelanlagen konnte der Unfall der Waldhof nicht verhindert werden.

Vielen Anwohnern in St. Goarshausen ist unwohl beim Gedanken an die giftige Fracht, die täglich nur ein paar Meter von ihren Häusern entfernt vorbeizieht. An beiden Seiten Flusses fahren selbst nachts pausenlos Güterzüge der Bahn, auf dem Rhein gibt es 60.000 Schiffsbewegungen im Jahr, dazu kommen noch die Transporte auf den beiden Bundesstraßen, die sich ebenfalls durch das enge Tal zwängen. Schwefelsäure sei da sogar noch vergleichsweise harmlos, sagt Heinz Heil, der in der Altstadt von St. Goarshausen wohnt.

Während auf dem Fluss die ersten Bergungskräne eintreffen, schrubbt Heil den Schlamm aus seiner Garage. Bis vor wenigen Tagen stand hier das Wasser noch 70 Zentimeter hoch. Wenn alle paar Minuten ein Güterzug vorbeifährt, bebt die ganze Gasse. Andere haben ihre Häuser hier verkauft - für 20.000 Euro. Er hat seines frisch renoviert. Wegziehen vom Rhein? Das komme für ihn auf keinen Fall in Frage. Denn vor der Haustür, sagt Heil, sei hier immer was los.

© SZ vom 21.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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