Happy Slapping:"Es gibt einfach keinen Respekt mehr"

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Der britische Kulturforscher Graham Barnfield untersucht "Happy Slapping", einen neuen brutalen Zeitvertreib britischer Teenager.

Interview: Claudia Fromme

Ein Linienbus irgendwo in England. Ein Straßenarbeiter, er mag um die 50 Jahre alt sein, sitzt in einem fast leeren Doppeldeckerbus und döst vor sich hin. Plötzlich prescht eine vermummte Gestalt von hinten an ihn heran und haut ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Holt wieder aus, wieder und wieder. Der Mann rennt in Panik aus dem Bus. Johlendes Gelächter.

Irgendeiner ruft: "Guck dir den Idioten an." Film Ende. Das ist "Happy Slapping". Übersetzt heißt das in etwa "Fröhliches Schlagen" - und das scheint ein neuer brutaler Zeitvertreib britischer Jugendlicher zu sein.

Meist in Gangs schlagen sie wahllos auf Passanten ein, filmen die Szenen mit ihren Mobiltelefonen, verschicken sie an andere Handys oder stellen sie - wie im Fall des Straßenarbeiters - auf einschlägige Seiten im Internet. Auch wenn sich die Jugendlichen dabei zunehmend an Brutalität überbieten, warnt der Medien- und Kulturforscher Graham Barnfield, 35, von der University of East London vor einer Hysterie.

SZ: Zwei Jugendliche zünden einen Betrunkenen an und filmen, wie er brennt. Drei 14-Jährige vergewaltigen ein elfjähriges Mädchen und senden den Film davon an Mitschüler. Das sind alles Fälle von Happy Slapping aus den vergangenen sechs Monaten in England. Was ist eigentlich los in Ihrem Land?

Barnfield: Wir erleben hier die Perversion eines perversen Sports. Aber man muss trennen zwischen eher harmlosen, aber dennoch strafbaren Ohrfeigen und Fällen schwerer Körperverletzung. Ein Großteil der Opfer kommt mit einem Schrecken davon - was schlimm genug ist. Die Fälle, die Sie nennen, sind Einzelfälle, meist werden bestehende Konflikte weiter ausgetragen und auf einmal ist eine Kamera dabei. Happy Slapping ist ein Phänomen, keine Epidemie. Dazu haben es die Medien gemacht. Das ist gefährlich. Kürzlich hat ein Teenager der Polizei gesagt, er hätte einen Passanten geschlagen, weil er über Happy Slapping gelesen hat und es ausprobieren wollte.

SZ: Die London Transport Police geht 200 Fällen von Happy Slapping in U-Bahnen und Bussen nach. Da kann man doch nicht mehr von Einzelfällen reden.

Barnfield: Die Polizei hat die Zahlen kürzlich stark nach unten korrigiert, weil viele der angezeigten Fälle gar kein Happy Slapping waren. Es gibt keine quantitative Analyse dazu. Im Internet kursieren immer dieselben 30 Spots, die Hälfte davon ist gestellt. Ich will hier bestimmt nichts kleinreden, warne aber nachdrücklich vor einer Hysterie.

SZ: Worin liegt der Reiz der Attacken?

Barnfield: Manche Jugendliche sehen Happy Slapping als eine Abkürzung zum schnellen Ruhm in ihrer Gang. Sie wollen nicht ihr Leben lang auf ihre 15 Minuten Ruhm warten, wenn das - ihrer Meinung nach - auch mit einem 15-Sekunden-Film gelingen kann.

SZ: Würde es diese Form der Gewalt auch ohne die Verbreitungsmöglichkeiten über Handys und das Internet geben?

Barnfield: Ich denke nicht, dass durch Happy Slapping neue Gewalt entsteht, sondern dass bestehende sichtbar gemacht wird. Es fangen nicht plötzlich unbescholtene Jugendliche an, über andere herzufallen. Die meisten Täter haben bereits eine Strafakte. Sie kommen aus sozial schwachen Familien, fühlen sich gedemütigt und wollen das Gefühl weitergeben. Das ist das Ziel von Happy Slapping - weniger der körperliche Angriff, sondern die Demütigung, dass der Überfall festgehalten ist, ihn alle sehen und er endlos wiederholt werden kann.

SZ: Worin liegt der absurde Spaß, völlig Fremde zu demütigen?

Barnfield: In den meisten Fällen ist das gar nicht so, die Opfer kommen aus dem Umfeld des Täters. Oft wurden sie von ihm schon in der Schule schikaniert. Das macht die Videos besonders demütigend, weil die Täter sie an Mitschüler schicken.

SZ: Britische Elternverbände sehen Brutal-TV-Shows wie "Jackass", in der sich Stuntmen verprügeln lassen, als Ursache für Happy Slapping und fordern, dass MTV derlei Sendungen abstellt.

Barnfield: Happy Slapping ist genauso wie "Jackass" eine Reaktion auf eine Gesellschaft, die immer exhibitionistischer und voyeuristischer wird. Die Einstellung zu Privatheit und Intimität hat sich total geändert. Es gibt einfach keinen Respekt mehr vor dem Gegenüber, keine Empathie, keine Solidarität. Wir sehen Menschen, die sich bei Big Brother einsperren lassen, um vor laufender Kamera Sex zu haben. Wir sehen Saddam Hussein in Unterhosen. Und wir sehen Jugendliche, die andere schlagen und das filmen.

SZ: Im Internet schreibt ein amerikanischer Jugendlicher: "Happy Slapping wäre in den USA niemals möglich." Tatsächlich sind außerhalb Großbritanniens kaum Fälle bekannt. In der Schweiz gibt es einige wenige Fälle, ebenso in Deutschland. Gibt es so etwas wie eine speziell britische Form jugendlicher Gewaltkultur?

Barnfield: Ich denke schon, dass Phänomene wie Happy Slapping etwas mit dem strikten Kurs zu tun haben, den die britische Regierung seit Einführung ihrer Anti-Social Behaviour Order vor zwei Jahren gegen "asoziales" Verhalten vor allem Jugendlicher fährt. Für die Zentren von Großstädten wurden Ausgangssperren für Teenager unter 16 Jahren verhängt.

Alltägliches wird nun an den Pranger gestellt - zum Beispiel wurde einer Frau, die wiederholt im Bikini im Garten gearbeitet hat, mit Gefängnis gedroht, wenn sie nicht sofort damit aufhört. Gleiches soll Jugendlichen widerfahren sein, die in der Stadt herumhingen. Da werden völlig normale Rituale Jugendlicher in einen kriminellen Kontext gestellt.

SZ: Welche Folgen hat das?

Barnfield: Für die Jugendlichen verwischt die Grenze zwischen legal und illegal. Ich glaube schon, dass manche sagen: Wenn ich also ohnehin schon kriminell bin, habe ich ja nichts mehr zu verlieren. Ich glaube nicht, dass der richtige Weg im Kampf gegen Straßengewalt sein kann, alles als "asozial" zu brandmarken. Ich glaube eher, dass derlei Stigmatisierung zu neuer Gewalt führt. Vielleicht zu Happy Slapping. Damit können Jugendliche mit einfachen Mitteln unglaubliches Entsetzen hervorrufen und provozieren.

SZ: Elternverbände warnen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis in der Tradition der Snuff-Videos der 80er Jahre, bei denen Menschen vor laufender Kamera vergewaltigt oder zu Tode gequält wurden, das Bild eines Gelynchten per MMS verschickt wird.

Barnfield: Wir sollten so etwas nicht heraufbeschwören. Und wir sollten auch wissen, dass wir es hier mit einer ganz anderen Kategorie zu tun haben.

SZ: In einem Internetforum schreibt ein Jugendlicher: "Happy Slaps is da future of entertainment." Sieht so die Zukunft der Unterhaltung aus?

Barnfield: Nein, sicher nicht. Happy Slapping ist ein Phänomen der Zeit - wenn auch ein sehr krankes - und solche erledigen sich für gewöhnlich von selbst. Die Straßengewalt wird allerdings nicht enden, sie wird sich eine neue Form suchen - davon müssen wir leider ausgehen.

© SZ vom 29.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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