Hannover nach der Länderspiel-Absage:Voll quälender Ungewissheit

Deutschland - Niederlande abgesagt

Mit strengem Blick mustern Beamte mit Maschinengewehren die Passanten - den Finger am Abzug.

(Foto: dpa)

In den Straßen patrouillieren bewaffnete Polizisten, immer wieder blinkt Blaulicht: Nach der Länderspiel-Absage will jeder in Hannover wissen, was passiert ist.

Von Carsten Eberts, Hannover

Es ist still am späten Abend in Hannover, am Kröpcke, wo die Menschen sonst hetzen oder gemütlich bummeln. Der Platz in der Stadtmitte, auf dem bereits die große Weihnachtspyramide steht, ist fast leer, zwei Hände voll Leute laufen umher. Sechs von ihnen sind Polizisten. Sie tragen schwarze Einsatzwesten, vor den Körpern Maschinenpistolen, die Griffe umklammert. Jeder, der vorbeizieht, wird mit strengen Blicken gemustert.

Was ist los in dieser Stadt, die sonst so friedlich daherkommt? Am Dienstagabend ist in Hannover ein Fußball-Länderspiel abgesagt worden, Deutschland gegen die Niederlande, wohl wegen konkreter Hinweise auf einen Sprengstoffanschlag. Die Hannoveraner haben die Situation gut gelöst: Obwohl die meisten schon im Stadion oder auf dem Weg dorthin waren, haben sie anstandslos kehrt gemacht. Sie sind nach Hause gegangen, ohne Panik zu verbreiten. Manche sind in Kneipen eingekehrt, wo statt des Fußballspiels Nachrichtensendungen auf der Leinwand liefen. Jeder wollte wissen, was passiert ist.

Irgendwas Ernstes muss ja passiert sein. Umsonst werden ja nicht U-Bahn-Haltestellen gesperrt, umsonst rät der Polizeipräsident den Bürgern nicht, lieber zu Hause zu bleiben. Umsonst sind nicht überall Sicherheitsbeamte, kreischende Sirenen und dieses blinkende Blaulicht.

Kim und Enno, zwei junge Männer, sitzen beim Bier in Stadionnähe. Kim macht ein Witzchen über die Niederländer, die nun nach Hause fahren müssen, ohne einen Ball gesehen zu haben. Enno wirkt ernster. Er würde gerne wissen, was zur Absage des Spiels geführt hat. "Bei diesem krassen Aufgebot", sagt er und meint damit die Polizisten mit den Maschinengewehren. Draußen rasen erneut drei Polizeiautos vorbei. Viele stellen sich wie Enno gerade die Frage, ob Hannover nun wirklich knapp einem Desaster entronnen ist.

Doch sie bekommen keine Antworten. Bundesinnenminister de Maizière wird keine Details preisgeben. Er wolle Quellen schützen, die Strategie der Behörden nicht verraten. "Toll", sagt Enno, der die Pressekonferenz auf der Leinwand verfolgt hat, und klingt dabei ziemlich sarkastisch. "Ein tolles Gefühl."

"Ich habe ja mit sowas gerechnet"

Stunden zuvor wusste kaum jemand, die Situation einzuordnen. Vom Maschsee, in dessen Nähe das Stadion liegt, schob die Menschenmasse ruhig Richtung Innenstadt, viele Fans bedauerten die Spielabsage, jedoch ohne die ganz großen Emotionen zu versprühen. "Ich habe ja mit sowas gerechnet", meint eine Frau mittleren Alters, ein Deutschland-Cap auf dem Kopf. "Schade" sei die Absage, erklärt auch Willem, 56, der mit seinem Sohn aus Utrecht in den Niederlanden mit dem Auto herübergefahren ist: "Aber nicht wegen des Spiels, sondern wegen des Zeichens an die Franzosen."

Nur vier Tage zuvor war Paris von grausamen Attentaten übersät worden. Jetzt heulen auch in Hannover die Sirenen. Polizeiautos rasen an Menschen vorbei, sie quietschen mit den Reifen. Immer mehr Beamte eilen zum Stadion. Auf dem Absperrband vor dem Eingang steht "Vorsicht, Lebensgefahr", die Gerüchte sind wild. Von einer Bombe im Stadion ist die Rede. Später wird am Hauptbahnhof ein verdächtiger Gegenstand gesprengt.

Doch die Menschen erfahren in dieser Nacht nicht mehr, was passiert ist. Ob sie am Mittwoch mehr wissen dürfen, ist ungewiss. Fast alle im Stadion wollten sich solidarisch erweisen und zeigen, dass das Leben nach den Anschlägen von Paris weitergeht. Dass sich die Gesellschaft nicht in Angst und Schrecken versetzen lässt. Jetzt kennt Hannover das quälende Gefühl der Ungewissheit.

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