Hamburg:Volle Dröhnung

Schlagermove in Hamburg

Erst schwarz, dann bunt: Hamburg feiert seinen Schlagermove.

(Foto: Georg Wendt/dpa)

Schon wieder Lärm, schon wieder Menschen, schon wieder Polizei. Wie hält eine Stadt das aus? Auf den G-20-Gipfel folgt in Hamburg der Schlagermove. Und statt einem Schwarzen Block gibt es eher einen bunten Schock.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Kommissar Matthias Hoop hat eine Rose in der Brusttasche und lächelt. Er hat auch diesen Samstag wieder Dienst in Hamburg, aber diesmal ist alles anders. Vor einer Woche war er beim G-20-Gipfel: Mit Polizei-Kollegen überwachte er das Protest-Camp in Altona. Jetzt ist er beim Schlagermove als Verkehrsposten. Er steht mit einem Kollegen am Heiligengeistfeld und schaut zu, wie sich die bunte Menschenmenge auf der Reeperbahn ausbreitet. "Heute hatte ich schon zwanzig Mal Leute, die sagten: Ist doch viel besser als G 20", sagt Hoop, "das kann ich nur bejahen."

Es gibt verschiedene Arten des Weiterlebens nach einem einschneidenden Ereignis. Kurz durchschnaufen wäre zum Beispiel eine Möglichkeit. Viele Hamburgerinnen und Hamburger hätten nichts dagegen gehabt, wenn sich ihre schöne Hansestadt am Wochenende nach dem G-20-Gipfel nicht gleich wieder als Event-Location mit Getöse und weitreichenden Straßensperren gezeigt hätte. Die Krawalle mit brennenden Autos und geplünderten Geschäften, der ständige Hubschrauberlärm, die vielen Einschränkungen im Alltag - das alles hat das G-20-Treffen zu einer Belastung gemacht für die Menschen hier.

Aber Hamburg verschnauft nicht.

Der Schlagermove, auch bekannt als Karneval des Nordens, wälzte sich mit 45 Festwagen und 400 000 Partygästen durch St. Pauli. Außerdem fand in der Innenstadt ein Weltcup-Triathlon statt, mit Rahmen-Wettbewerben für jedermann. Auf der Hafenstraße, auf der am vorvergangenen Wochenende noch behelmte Polizisten und Wasserwerfer gegen den Schwarzen Block angetreten waren, radelten am Samstagvormittag atemlose Sportler um die Wette. Nachmittags folgte die laute Prozession der Spaßbürger. Am Sonntag kamen noch mal die Triathleten. Musste das sein? "Trotz aller Bemühungen war es nicht möglich zu entzerren", sagte Innensenator Andy Grote im Abendblatt.

Vor dem Beginn der großen Parade herrscht auf den Heiligengeistfeld schon sehr heitere Stimmung. Die Luft ist voll mit Stimmungsmusik. Die Musik-Trucks sind gut besetzt, vor dem "Party-Tower" tänzeln und trinken Menschen in bunten Perücken, Schlaghosen und Blümchenketten. Schlagermove-Sprecher Axel Annina sagt: "Wir haben alle noch die Bilder vom vergangenen Wochenende im Kopf. Vielleicht ist heute der Tag, wieder ein anderes Lebensgefühl einkehren zu lassen."

Viele Gastronomen an der Reeperbahn freuen sich darüber, dass dem G-20-Kater eine Sause folgt, die gute Umsätze bringt. Aber nicht jeder auf St. Pauli ist begeistert. In der Kiezkneipe "Zum Silbersack" sitzt Inhaber Dominik Großefeld und ist hin- und hergerissen. Der Schlagermove ist ihm eine Hilfe nach den G-20-Tagen. Wegen Sicherheitsbedenken infolge des Gipfels hatte er eine Nacht sogar geschlossen. Und er weiß mittlerweile, dass er keine staatliche Entschädigung für seine Einnahmeverluste bekommt. "Ich kann den Schlagermove nicht schlechtreden", sagt Großefeld also. "Aber ich fühle mich auch den Anwohnern verpflichtet."

Die Anwohner wiederum sind keine Schlagermove-Fans. St.-Pauli-Menschen haben es lieber rau und ehrlich als bunt und aufgesetzt. Außerdem ist das Festival eine Belastung: noch mehr Wildpinkler, noch mehr Betrunkene als sonst schon. Und viele auf St. Pauli bekennen sich zu einer linken, freigeistigen Nachdenklichkeit. Sie finden es natürlich gut, dass die Schlagermove-Gäste sich amüsieren. Aber die pastellfarbene, oberflächliche Fröhlichkeit des Festivals trifft nicht ihren Geschmack. Großefeld findet sie jetzt sogar seltsam. "Der Schlagermove eine Woche nach G 20 ist völlig paradox - wie Scheinwelten, die aufeinanderprallen."

St. Pauli feiert anders. In der Bernstorffstraße, in sicherer Entfernung zum Schlagermove, findet ein Fest mit Flohmarkt statt. Hier trägt kaum einer Blümchenketten. Über einer kleinen Bühne steht: "Höfegemeinschaft 117 in Gefahr !?! Verkauft an Berliner Investoren. Wir wollen bleiben/mitbestimmen!" Ein Rapper spielt. Die Menge geht mit. Und wenn man mit den Leuten spricht, spürt man, wie gegenwärtig für sie noch die Ereignisse des G-20-Gipfels sind. Wie sehr sie das Gefühl haben, dass die Debatte um die linksextremistischen Gewalttäter aus dem schwarzen Block eine linke Lebenseinstellung unter eine Art Generalverdacht stellt. "Es sind ziemlich viele Risse entstanden", sagt eine ältere Anwohnerin. St. Pauli tanzt und denkt. Und hadert leise mit der Welt, die um den Kiez herum ist.

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