Hamburg:Teufelszeug im Tagungszentrum

Ein Seminar von Ärzten, Heilpraktikern und Homöopathen gerät außer Kontrolle. Die Teilnehmer haben offenbar eine Droge konsumiert. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Es geht normalerweise wohl allenfalls besinnlich beschwingt zu im Tagungszentrum "Tanzheimat" in Inzmühlen, das zur Gemeinde Handeloh gehört und südlich von Hamburg in der Lüneburger Heide liegt. Fotos auf der Website zeigen selige Menschen in weiten und bunten Gewändern beim Ausdruckstanz auf Wiesen zwischen Eichen. Gänse gibt es da auch, und man liest von der Stiftung "Heilende Kräfte im Tanz". Am Samstag allerdings torkelten erwachsene Menschen am Rande des Generalkollapses durch diesen Garten im Wald. Das Kleinod hatte sich gerade in den Schauplatz eines kollektiven Höllentrips verwandelt.

Notfalleinsatz in Handeloh

Rund 150 Rettungskräfte waren in Inzmühlen bei Hamburg im Einsatz, nachdem 29 Tagungs-Teilnehmer sich am Boden wälzend gefunden worden waren.

(Foto: Matthias Köhlbrandt/dpa)

Die Hotelbesitzerin entdeckte am frühen Nachmittag, dass dieses gewöhnlich harmlose Wochenendseminar von Ärzten, Heilpraktikern und Homöopathen - die nicht zum ersten Mal in Handeloh waren - in einen Drogenrausch mit Massenvergiftung gemündet war. Krampfend wälzten sich 29 Teilnehmer der Veranstaltung, manche im Gras vor den Häusern mit Reetdach und Fachwerkfassade, manche lagen noch im Gebäude. "Die Menschen lagen auf dem Boden, haben geschrien und konnten sich einfach nicht mehr beruhigen", schilderte die geschockte Hausherrin Stefka Weiland vor der Kamera des NDR. Sie habe damit nichts zu tun. Ihrem Alarm folgte ein Großeinsatz, wie ihn diese Gegend selten erlebt. 150 Helfer eilten in diversen Polizeiautos sowie Rettungswägen von Rotem Kreuz und Feuerwehr herbei, ein Hubschrauber ging an der Landstraße nieder. Denn die Naturmediziner im Alter von 24 bis 56 Jahren hatten eine Substanz erwischt, die ihnen gar nicht guttat.

Aktuelles Lexikon: Psychedelikum 2C-E

Es muss ein irritierender Anblick gewesen sein im niedersächsischen Handeloh: Heilpraktiker, Homöopathen und Therapeuten im kollektiven Rausch. 29 Damen und Herren, die verwirrt umhertorkeln, apathisch herumliegen, von "morphenden" Bäumen schwafeln - und sich dann in die Hände von Schulmediziner begeben. Sicher hatten sie kein Globuli eingeworfen. War es ein psychedelisches Experiment? Oder hatte sich da jemand einen überdosierten Scherz erlaubt? Die Polizei jedenfalls spricht von einem Rausch mittels "2C-E". Diese chemische Substanz ist ein Psychedelikum, bekannt auch unter dem Namen "Aquarust", zählt wie Amphetamine zu den Phenylethylaminen. Sie verändern die Wahrnehmung von Dingen, Farben, Geräuschen und sind zudem ein sehr starkes Halluzinogen - lassen also Dinge sehen, die nicht da sind. Die Heilpraktiker klagten über Wahnvorstellungen, Krämpfe, Atemnot und Herzrasen. Zumindest am Anfang, danach soll das Glücksgefühl überwiegen. 2,5-Dimethoxy-4-ethylphenylethylamin, wie der Stoff der Träume und Albträume vollständig heißt, wurde einst vom US-Chemiker Alexander Shulgin synthetisiert. Je nach Dosierung kann der Trip bis zu zwölf Stunden dauern. Legal therapeutisch verwendet wird es nicht, weil nicht genügend über das Suchtpotenzial und mögliche Langfristschäden bekannt ist. In Deutschland wurde es im Dezember 2014 verboten. lala

Ein Notarzt traf auf bedrohliche Symptome wie Wahnvorstellungen, Angstzustände, Halluzinationen, Atemnot, Herzrasen und Krampfanfälle. Keiner der Patienten sei ansprechbar gewesen. Alle Betroffenen wurden in Krankenhäuser gebracht, manche auf die Intensivstation. Ein Leben sei vorübergehend in Gefahr gewesen, sagte ein Feuerwehrsprecher, noch nie habe er so etwas erlebt.

Die Behörden vermuten, dass die Gruppe ein Rauschgift wie 2C-E ausprobiert habe, auch genannt "Aquarust". Der Stoff wirkt auf die Wahrnehmung von Farben und Geräuschen. "2C-E - die bezaubernde Magierin", wird im Internet geschwärmt. Das erinnert Ungeübte an Abenteuergeschichten wie die vom Pflanzensud Ayahuasca, der ausgewachsene Wohlstandsbürger bei rituellen Sitzungen am Amazonas in ihre Kindheit zurückgejagt haben soll. Dieses magische 2C-E alias Aquarust allerdings kann gemeingefährlich werden und ist wie andere Hirnbomben in Deutschland verboten. Weshalb dieser missratene Selbstversuch nun auch die Staatsanwaltschaft beschäftigt.

Die Justiz ermittelt wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Doch zunächst wird die genaue chemische Zusammensetzung geklärt - und der Tathergang. Experiment? Absicht? Versehen? Unfall? Überdosis? Schlechter Scherz? Es heißt, niemand sei gezwungen worden, das Psychedelikum zu schlucken. Die Wirkung hält laut Experten ungefähr zwölf Stunden an, am Sonntag wurden die Seminaristen nach und nach aus den Kliniken entlassen. Man darf davon ausgehen, dass die Heilkundler das Teufelszeug nicht weiterempfehlen.

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