Hamburg:Getötetes Baby Tayler: Wieder passiert es in Hamburg

Baby gestorben - Verdacht auf Kindesmisshandlung

Kerzen und ein Plüschtier stehen vor dem Wohnblock im Stadtteil Altona-Nord.

(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Besonders oft scheinen solche Dramen in der Hansestadt vorzukommen. Warum nur?

Von Peter Burghardt, Hamburg

Ein Wohnblock im Norden von Hamburg-Altona. Nicht besonders schön, nicht besonders hässlich, eine Anlage wie so viele in weniger luxuriösen Lagen deutscher Großstädte. Im Hinterhof ein Spielplatz auf grauem Sand mit Schaukeln und bunten Wippen, die wie Tiere aussehen.

Der kleine Junge, der den Namen Tayler trug, lebte hier, er durfte nur ein Jahr alt werden, weil offenbar in einer dieser Wohnungen eine Tragödie stattfand. Vor dem Haus haben Nachbarn am Sonntag Kerzen aufgestellt, einen Stoffhund und ein Schild, auf dem zwischen zwei gemalten Kreuzen steht: "Ruhe in Frieden, kleiner Engel. R.I.P. Tayler."

Tayler erlag am Samstagabend in der Universitätsklinik Eppendorf den Hirnblutungen, die mutmaßlich ein Schütteltrauma ausgelöst hatte. Eine Woche zuvor war er in einem Krankenwagen in die Notaufnahme gebracht worden, den seine Mutter gerufen hatte. Die Ärzte konnten ihn nicht retten, die Verletzungen in seinem Kopf waren zu schwer. Die erste Obduktion wurde am Montag abgeschlossen, weitere Gutachten sollen Gewissheit über die Todesursache bringen. Vieles deutet darauf hin, dass Tayler an den Folgen von Misshandlung starb, also totgeschüttelt wurde. Die Justiz ermittelt. War seine 22-jährige Mutter schuld oder deren 26-jähriger Lebensgefährte? Wie konnte es so weit kommen?

Und: Warum schon wieder Hamburg?

Jede Woche sterben auch im alles in allem so wohlhabenden Deutschland Kinder deshalb, weil sozial abgehängte, psychisch kranke, suchtkranke oder einfach nur für furchtbare Momente entrückte Eltern oder Fremde sie geschüttelt, geprügelt oder ausgehungert haben. Aufpasser sahen weg oder kamen zu spät.

Auch Taylers Familie stand unter Aufsicht

Schreckensnachrichten dieser Art kommen aus allen Bundesländern, sie sind keine Hamburger Spezialität. Dennoch ereigneten sich solche Fälle in den vergangenen Jahren auffällig häufig in der Freien und Hansestadt an Alster und Elbe, deren Führung bis zuletzt sogar Olympische Sommerspiele veranstalten wollte. Diese Dramen tragen Namen wie Jessica, Chantal, Michelle, Lara Mia oder Yağmur und wüten am Rande der Gesellschaft - der Fall Yağmur wurde zum bundesweit beachteten Mahnmal.

Erst am Freitag jährte sich zum zweiten Mal der Mord an der damals Dreijährigen, die 2013 von ihren Eltern im Viertel Billstedt zu Tode gequält worden war. In der Patriotischen Gesellschaft zu Hamburg fand an diesem 18. Dezember 2015 sogar eine Gedenkveranstaltung statt, mit Vorträgen wie "Yağmur - wie konnte das passieren? Rückführung um jeden Preis" und "Leben und Sterben von Yağmur und Folgen für die heute Verantwortlichen". Bei Yağmur hatte das Jugendamt trotz Warnungen versagt, danach galt das System als verbessert. Doch nun hörte am 19. Dezember 2015 der zwölf Monate alte Tayler zu atmen auf, und die Liste der Versäumnisse erinnert fatal an die Causa Yağmur.

Seine Mutter versicherte, er sei gestürzt

Auch Taylers Familie stand unter Aufsicht. Im Sommer wurde der Säugling mit gebrochenem Schlüsselbein in ein Krankenhaus gebracht und gerichtsmedizinisch untersucht. Aber es ging kein Hinweis an die Staatsanwaltschaft, obwohl das angebracht gewesen wäre. Tayler wurde nur vorübergehend bei Pflegeeltern untergebracht und dann seiner Mutter zurückgegeben - eine Sozialarbeiterin der Einrichtung "Das Rauhe Haus" sah regelmäßig nach dem Rechten.

Noch am Tag vor seiner Einweisung schaute die Frau in der Wohnung vorbei und fand blaue Flecken in Taylers Gesicht. Seine Mutter versicherte, er sei gestürzt, er lerne gerade laufen. Das erschien der Betreuerin plausibel. "Typische Anzeichen eines mobil werdenden Kindes", sagte Uwe Mann van Velzen, Sprecher des Rauhen Hauses, noch am Montag, als Tayler schon tot war. Man habe Tayler seit August gekannt, die Mutter sei im Besitz des vollen Sorgerechts gewesen und "liebevoll, vielleicht ein bisschen rau im Ton". Es habe "keine Anzeichen von Gewaltanwendung gegeben". Man sei, so Mann van Velzen, angesichts der Todesmeldung "aus allen Wolken gefallen".

Hämatome an einem aufsichtspflichtigen Kind - normal? Hamburgs Jugendhilfeinspektion recherchiert. "Sobald die Ergebnisse dieser umfangreichen Prüfung vorliegen, informieren wir die parlamentarischen Gremien und die Öffentlichkeit", gab Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) bekannt.

Es geht auch um den Ruf der Behörde. Wobei ein Eingeweihter darauf hinweist, dass man noch so viel kontrollieren und Personal einstellen könne, wenn wie jetzt eine Helferin falsch entscheide. "Wir untersuchen den Gesamtkomplex", sagt Staatsanwalt Carsten Rinio. Vorläufig fehlen Haftbefehle. Taylers Mutter und ihr Partner wurden festgenommen und mangels Beweisen wieder entlassen, er soll inzwischen nach Spanien in den Urlaub geflogen sein. Die Familienpflegerin, die Tayler wohl hätte retten können, ist krankgeschrieben.

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