Hamburg:Falsche Kinderärztin verurteilt

Eine 34-jährige Frau hat in Hamburg jahrelang ohne Ausbildung schwerkranke Patienten behandelt. Es fiel nicht auf, weil sie so gut war.

Der Tag, an dem das Leben endete, das sie nie hätte führen dürfen, brachte ihr einen Tod, den sie nie starb. Cornelia E., heute 34, schrieb an jenem 27. August 2007 eine skurrile E-Mail an die Hamburger Ärztekammer. Im Namen ihrer Schwester Claudia teilte sie mit, sie, also Cornelia E., sei verstorben. Es war der verzweifelte Versuch, durch vorgetäuschten Tod zu bleiben, was sie zu sein glaubte: eine gute Ärztin.

Falsche Kinderärztin verurteilt

Die falsche Kinderärztin im Gericht.

(Foto: Foto: dpa)

Von März 2003 bis August 2007 hatte Cornelia E. erst als Ärztin im Praktikum, später als Assistenzärztin in der Kinderklinik am Universitätsklinikum Eppendorf gewirkt, ohne ein einziges Examen abgelegt oder eine ärztliche Prüfung bestanden zu haben. Sie hatte stattdessen alle Dokumente gefälscht, auch die Approbation. Die Approbation hatte die Ärztekammer an jenem Montag im August ultimativ im Original zur Ansicht angefordert; der vorgetäuschte Tod sollte die Enttarnung noch einmal verhindern. Es war aussichtslos, aber "ich konnte damals nicht mehr denken", sagte E. am Mittwoch vor dem Hamburger Landgericht, das sie unter anderem wegen Urkundenfälschung und Betrugs zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilte. Danach sagte ihr Anwalt: "Die falsche Ärztin gibt es nicht mehr."

Als ihr Bruder 1991 an einem Gehirntumor fast gestorben sei, sagte E. vor Gericht, habe sich ihr Wunsch, Ärztin zu werden, entwickelt. Irgendwann wurde es der beherrschende Gedanke, sie schrieb sich an der Uni Hamburg für Medizin ein. Doch vor die Arztkarriere hat die Uni das Physikum gesetzt. Nach vier Semestern wird mit Multiple-Choice-Fragen bis dahin erworbenes Wissen getestet. Das ist umstritten, denn es hat eine Tücke: Wer dreimal durchfällt, wird exmatrikuliert und nie wieder Medizin studieren, noch bevor er beweisen kann, dass er ein guter Arzt werden könnte.

"Multiple Choice lag mir nicht", sagte Cornelia E. Sie fiel durch, dreimal. Sie wurde exmatrikuliert. Hier hätte die Geschichte zu Ende sein müssen, noch ehe sie hatte beweisen können, dass aus ihr eine gute Ärztin werden würde.

"Sich sein Versagen einzugestehen, dazu gehört Mut", sagte die Richterin am Mittwoch. Mut, den Cornelia E. nicht hatte. Sie belog Kommilitonen und Eltern, sogar ihren damaligen Freund, ebenfalls Medizinstudent. Sie behauptete, bestanden zu haben. Dazu kam das Glück, dass sie zwar exmatrikuliert, von den Kurslisten aber nicht gestrichen worden war. Sie setzte ihr Studium ohne Berechtigung fort, "das wurde nie kontrolliert". Cornelia E. erwarb Schein um Schein, war von der Medizin "gefesselt. Ich hatte mich in das Bild der erfolgreichen Studentin verstrickt". Wenn ihre Kommilitonen die Prüfungen ablegten, sagte sie, ihre Tests seien an einem anderen Ort. Später behauptete sie, bestanden zu haben. Die Sehnsucht, "ausführen zu können, was ich lernte", wuchs. Da fiel der Entschluss zur Urkundenfälschung.

Cornelia E. kopierte ihren Namen heimlich in die Dokumente ihres damaligen Freundes. Alle drei Arztprüfungen, die Zulassung der Gesundheitsbehörde, alles, was zu einer Bewerbung notwendig war, verschaffte sie sich am Kopierer. Das UKE stellte sie ein, E. kümmerte sich unter anderem um krebskranke und HIV-infizierte Kinder in der Kinder- und Poliklinik, verfasste wissenschaftliche Arbeiten. Als Zeuge sagte Chefarzt Kurt Ullrich aus, Cornelia E. sei ihm aufgefallen bei Visiten wegen "guter Präsentation, gutem Fachwissen, sie war ruhig und klar". Sie habe gute Arbeit geleistet. Als die Sache mit den gefälschten Abschlüssen aufflog, hätten sich ihre Vorgesetzten gefühlt, "als säßen wir unter einer Tsunami-Welle". Cornelia E. gestand ihren Chefs alles. Es war vorbei.

Cornelia E. hatte einfach so getan, als hätte es das verpatzte Physikum nie gegeben. Aus ihr war tatsächlich eine gute und engagierte Ärztin geworden - obwohl sie im System durchgefallen war. Ein Gutachten bestätigte ihre fehlerlose Arbeit und bescheinigte ihr "großes Engagement und gute medizinische Fachkenntnis". Im UKE gingen Zuschriften von Patienten und Eltern ein, "die sie für ihre Tätigkeit und ihre Menschlichkeit gelobt haben", sagte Ullrich.

Die Staatsanwaltschaft warf ihr vor, Vertrauen missbraucht zu haben. "Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass Ärzte über ein geprüftes Fachwissen verfügen." Das Ganze sei "ein beachtenswerter Skandal", und doch sei es der Angeklagten auch leicht gemacht worden. Laxe Kontrollen, überall genügten Kopien - "das System war nicht wasserdicht". E. war keine klassische Hochstaplerin. Sie wollte ja nicht jemand sein, der sie nicht war. Sie war eine gute Ärztin, nur zu früh aussortiert vom System. Die Richterin sagte: "Dieses System ist da, und es ist zu akzeptieren."

Die Frau, die einmal die falsche Ärztin war, arbeitet jetzt in einem Medizinunternehmen.

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