Haiti nach dem Beben:Die große Not der Helfer

Während die USA Truppen und Geld in Bewegung setzen und in Haiti als fürsorglicher, großer Bruder auftreten, wird die Kritik am Einsatz der Vereinten Nationen lauter.

Cathrin Kahlweit

Das muss sich einer erst mal trauen: die sterbenden, hungernden und obdachlosen Haitianer um Geduld zu bitten und zu versichern, in etwa vier Wochen werde bestimmt Hilfe für alle da sein. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der kein Talent für große Auftritte und emphatische Rhetorik hat, mag damit die Katastrophe in Haiti durchaus realistisch eingeschätzt haben.

Haiti, AP

Die Überlebenden unter den etwa 7000 UN-Blauhelmen, die seit 2004 im Land sind, helfen bei den Aufräumarbeiten und schützen Retter bei der Ausgabe von Hilfsgütern.

(Foto: Foto: AP)

Doch zur Befriedung der Situation und zum Trost der Verzweifelten werden seine Äußerungen nicht beigetragen haben - zumal sein Appell auch ein Schlaglicht auf die Vereinten Nationen wirft. Die sollten eigentlich laut UN-Charta "eine internationale Zusammenarbeit herbeiführen, um Probleme humanitärer Art zu lösen" - und zwar im Falle einer Katastrophe historischen Ausmaßes, wie sie sich in Haiti ereignet hat, möglichst umfassend - und möglichst schnell.

Ban jedoch landete zu seiner symbolischen Stippvisite in Port-au-Prince erst nach der US-Außenministerin, und er brachte vor allem die Bitte nach mehr Spenden internationaler Geber mit. Bans Auftritt verstärkte mithin die Kritik am Einsatz der UN in Haiti, die täglich lauter wird: Mangelnde Koordinierung und zu wenig Präsenz auf der Insel, vor allem aber auch strukturelle Defizite in der Zusammenarbeit der zahlreichen UN-Organisationen werden den Vereinten Nationen vorgeworfen. Weshalb das machtvolle Auftreten der Amerikaner mit 10.000 Soldaten, Flugzeugträgern, Frachtflugzeugen und zwei Ex-Präsidenten so dankbar wie skeptisch registriert wird.

Aber Schwarz und Weiß sind nicht die Farben, in denen das Bild der Katastrophenhilfe im zerstörten Inselstaat zu zeichnen ist. Die Realität ist komplex, und die schönen Fernsehbilder vom Flughafen, auf denen US-Soldaten zu sehen sind, die Tonne um Tonne Lebensmittel und Medikamente ausladen, sind nur bedingt repräsentativ für die Situation im Land.

Die Regierung in Washington hat getan, was sie gut kann: Truppen in Bewegung gesetzt, bestehende Befehlsstrukturen genutzt, Geld mobilisiert - und als Erfinderin des Marshall-Plans einmal mehr gezeigt, dass Macht und Mildtätigkeit sich nicht widersprechen müssen. Als reichster unter den Nachbarn treten die USA wie ein fürsorglicher, großer Bruder auf, was dem Image Obamas und der gesamten Nation ohne Zweifel internationale Sympathien bringt.

Die UN haben es da schwerer. Die Strukturen, welche die Vereinten Nationen in Haiti aufgebaut hatten, sind weitgehend zerstört, Dutzende Mitarbeiter tot, Hunderte vermisst. Die Rettungs- und Hilfsarbeiten liefen erst nach einigen Tagen so recht an.

Die Überlebenden unter den etwa 7000 UN-Blauhelmen, die seit 2004 im Land sind, helfen bei den Aufräumarbeiten und schützen Retter bei der Ausgabe von Hilfsgütern; aber die Soldaten aus Bangladesch oder Brasilien sind keine Experten für den Wiederaufbau eines zerstörten Landes. Das Welternährungsprogramm hat Hunderte Tonnen Lebensmittel auf den Weg geschickt, von denen aber ein Großteil - wie andere Lieferungen aus aller Welt auch - am Nadelöhr Flughafen steckengeblieben sind.

Der komplizierte Hauptjob ist ohnehin auf höherer Ebene zu leisten: die Koordinierung der internationalen Hilfe - und der UN-eigenen Helfer. Der "Situationsreport" der OCHA, des Büros für eben diese Koordinierung humanitärer Hilfe, benennt acht UN-Organisationen, die sich derzeit in Haiti drängeln und das Strukturproblem offenlegen: Wer ist für was zuständig? Alle wollen helfen, aber die Führung will keiner abgeben - weder an die Zentrale in New York noch an die USA. Ebenso wenig wollen sich von einzelnen Nationen entsandte Rettungsteams einer dominanten Organisation unterordnen, die im Zweifel die Lage im Land ebenso schlecht einschätzen kann wie sie selbst.

Zweimal bereits wurde die Katastrophenhilfe der UN einem Reformversuch unterzogen, aber noch immer ist der Wirrwarr groß. Weniger Konkurrenzdenken und mehr Zusammenarbeit sind offenkundig überfällig. Bei der Geldbeschaffung wiederum sind die UN auf den guten Willen aller Beteiligten angewiesen: Sie müssen um Geld betteln. Mit sogenannten flash appeals, also der Bitte um schnelle finanzielle Unterstützung für konkrete Hilfe, werden Mittel gesammelt. Bislang aber ist nicht einmal die Hälfte dessen zugesagt worden, was nach Schätzung der UN benötigt wird.

Kompetenzgerangel und Geldmangel schwächen die UN. Aber wirklich bedeutend wird die Rolle der Vereinten Nationen erst, wenn die Not gelindert ist und es an den Aufbau funktionierender Strukturen in Haiti geht. Schon regt sich international ein Murren, weil sich die Amerikaner in ihrer Machtstellung auf Dauer einrichten könnten.

Der Sicherheitsrat tagte am Montag auch, um deutlich zu machen, dass der Einsatz für Haiti eine internationale Aufgabe bleiben muss, bei der die Weltgemeinschaft die Führung innehat. Es gibt kein Mandat für die Übernahme eines ganzen Staates - und sei es auf Zeit. Deshalb können nur die UN das schwierige Experiment schultern, gemeinsam mit den Menschen in Haiti diesem Staat wieder eine Kontur zu geben.

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