Haftbedingungen in der Türkei:In der Zelle Türkisch lernen

Seit elf Wochen sitzt Marco Weiss in Antalya in Haft - weil er angeblich eine 13-Jährige sexuell missbraucht hat. Gerade die viel kritisierten Haftbedingungen könnten ihm helfen.

Der letzte Tag seines Osterurlaubs in Antalya wurde für Marco Weiss zum Albtraum: Statt zusammen mit seinen Eltern den Heimweg ins niedersächsische Uelzen anzutreten, wo sein Realschulabschluss bevorstand, wurde der Teenager am 11. April im Hotel von Polizisten abgeführt.

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Marco Weiss (undatiertes Foto)

(Foto: Foto: ddp)

Sexueller Missbrauch einer Minderjährigen lautet der Strafvorwurf, der auf eine Anzeige der Mutter des mutmaßlichen Opfers aus Großbritannien zurückgeht. Inzwischen sitzt Marco seit fast elf Wochen in Untersuchungshaft.

Haftbedingungen könnten helfen

Beim langen Warten auf die Fortsetzung seines Prozesses am 6. Juli könnten dem 17-jährigen nach Ansicht eines Experten ausgerechnet die viel kritisierten Haftbedingungen im Gefängnis von Antalya helfen.

Marco ist bei weitem nicht der erste deutsche Urlaubshäftling in der Türkei. Vor sechs Jahren sorgte die damals 18-jährige Berlinerin Andrea Rohloff für Schlagzeilen, als sie bei der Heimreise am Flughafen der westtürkischen Großstadt Izmir mit sechs Kilogramm Heroin im Koffer festgenommen wurde.

Der Anwalt Ülkü Caner, der Rohloff damals vertrat, kann sich noch gut daran erinnern, dass seine Mandantin - wie Marco heute auch - in einer Großraumzelle mit vielen anderen ausländischen Häftlingen untergebracht war. Diese großen Schlafsäle in alten türkischen Gefängnissen wie dem in Antalya sind für ihre schlechten sanitären Verhältnisse berüchtigt.

In Marcos Fall stehen angeblich nur eine Toilette und eine Dusche für rund 30 Häftlinge zur Verfügung. Die Haftanstalt von Antalya ist zudem mit 1600 Häftlingen völlig überbelegt - das Gefängnis ist für lediglich 600 Insassen geplant.

Dennoch war die Unterbringung in der Großraumzelle zumindest für Rohloff eher ein Segen als ein Fluch, sagt Anwalt Caner: "Immerhin sitzen die Häftlinge dort nicht in Isolationshaft, sondern haben soziale Kontakte."

Brettspiele statt Verzweiflung

Rohloff etwa lernte in ihrer Haftzeit von anderen Häftlingen Türkisch und schloss einige Freundschaften. Auch Marco Weiss ist dem Vernehmen nach in seiner Großraumzelle in Antalya nicht verzweifelt, sondern spielt mit anderen Insassen Brettspiele.

Absichtlich steckten die türkischen Behörden den deutschen Teenager nicht mit türkischen Jugendlichen in eine Zelle, weil er dort zwangsläufig ein Außenseiter gewesen wäre und möglicherweise einen sehr schweren Stand gehabt hätte. Statt dessen teilt sich Marco seinen Schlafsaal mit erwachsenen ausländischen Häftlingen, vor allem Menschen aus Osteuropa.

Zumindest mit einigen von ihnen kann er sich verständigen. "Wenn die Leute allein in einer Zelle wären, wäre das ganz schlimm", sagt Caner.

Bisher fanden sich vor allem mutmaßliche Drogenkuriere wie Rohloff oder angebliche Antiquitätendiebe aus Deutschland während ihres Urlaubs plötzlich in einer türkischen Gefängniszelle wieder.

Vor vier Jahren kam der westfälische Familienvater Stefan G. ebenfalls in Antalya vor Gericht, weil der türkische Zoll bei seiner Ausreise nach dem Urlaub einen Stein im Gepäck gefunden hatte, der als wertvolles antikes Stück galt. G.'s neunjähriger Sohn hatte den Stein am Strand gefunden und eingepackt.

In den meisten Fällen bemühen sich deutsche wie türkische Behörden darum, den Betroffenen eine lange Haftzeit in der Türkei zu ersparen. So wurde Rohloff zwar zu sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt, doch konnte die Berlinerin nach etwa einem Jahr im türkischen Knast nach Deutschland zurückkehren, um in ihrer Heimatstadt die Reststrafe abzusitzen und ihre Ausbildung zu beenden. Der als Antiquitätenschieber angeklagte Stefan G. wurde noch während des Prozesses auf freien Fuß gesetzt und konnte nach Deutschland heimkehren.

Politischer und öffentlicher Druck

"Das wird häufiger so gehandhabt", sagt Anwalter Caner. Ob auch Marco Weiss von dieser Praxis profitieren kann, ist offen.

Die Bundesregierung in Berlin, deutsche Diplomaten in der Türkei sowie Marcos Anwaltsbüro in Antalya dringen bei den türkischen Behörden darauf, den 17-Jährigen noch vor der Fortsetzung des Prozesses im Juli freizulassen.

Bisher haben die türkischen Richter allerdings eine Haftverschonung abgelehnt. Noch ist nicht klar, ob der politische und öffentliche Druck aus Deutschland Wirkung zeigen wird - oder ob die Forderungen nach Freilassung die Haltung der Richter eher verhärtet.

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