Gutachten zu Anders Behring Breivik:Schizophrener Streit

Seit Anders Breivik für unzurechnungsfähig erklärt worden ist, gibt es Kritik an dieser Entscheidung. Doch keiner dieser Skeptiker hatte Kontakt zum Attentäter - bis sich nun die Gefängnispsychologen geäußert haben. Die halten die Einschätzung der Kollegen für falsch.

Gunnar Herrmann, Stockholm

Ist er doch zurechnungsfähig? Der Streit um den geistigen Zustand des norwegischen Attentäters Anders Behring Breivik geht in eine neue Runde. Denn Fachleute des Gefängnisses Ila halten ihren bekanntesten Häftling offenbar für völlig gesund. Norwegische Medien zitieren nun aus Berichten von Gefängnismitarbeitern, denen zufolge der 32-Jährige seit seiner Festnahme keine Anzeichen für eine Psychose aufweist.

Norway attacks in Oslo and Utoya Island

Ist Anders Behring Breivik zurechnungsfähig oder doch nicht? Zwar waren sich die Verfasser des Gutachtens ihrer Entscheidung sicher, doch die Kritik ebbt nicht ab.

(Foto: dpa)

Die Beobachtungen widersprechen dem rechtspsychiatrischen Gutachten, das dem Massenmörder im November paranoide Schizophrenie attestierte und ihn für schuldunfähig befand. Ein Osloer Gericht entscheidet nun, ob Breivik erneut untersucht wird.

Die aufsehenerregenden Bewertungen von Breiviks Zustand stammen von drei Psychologen und einem Psychiater, die in Ila die Häftlinge betreuen. Seitdem Breivik am 26. Juli dort eintraf, haben sie ihn mehr als 80 Mal untersucht, die ersten sieben Wochen lang sogar täglich, berichtet die Zeitung Aftenposten. Der Untersuchungshäftling sei bei guter Gesundheit, er wirke nicht depressiv, nichts deute auf eine Psychose hin, notierten die Fachleute ein ums andere Mal ins Journal. Es bestehe weder Selbstmordgefahr noch Bedarf für irgendeine Art von Behandlung.

Eine abschließende Diagnose stellten die vier Experten zwar nicht; ihre Aufgabe ist es nur zu verhindern, dass die Gefängnis-Insassen krank werden oder sich Schaden zufügen. Dennoch stehen ihre Aussagen in krassem Gegensatz zu den Befunden des Gutachtens, das die Rechtspsychiater Synne Sørheim und Torgeir Husby am 29. November dem Gericht vorgelegt hatten.

Sørheim und Husby hatten Breivik für ihre Untersuchung 13 Mal befragt. Am Ende erklärten sie den Mann, der am 22. Juli 77 Menschen ermordet hatte, für schizophren. An der Diagnose hätten weder er noch seine Kollegin je gezweifelt, sagte Husby damals selbstsicher. Eine Expertenkommission des Gerichts bestätigte das Gutachten dann kurz vor Weihnachten. Wenn es Bestand hat, kann Breivik nicht mit Gefängnis bestraft werden. Das Gericht müsste ihn nach dem Prozess in eine psychiatrische Anstalt einweisen.

Die Frage nach Breiviks Zurechnungsfähigkeit ist längst Gegenstand einer großen Debatte. Vor allem wird bemängelt, dass Husby und Sørheim die rechtsradikalen und islamfeindlichen Äußerungen Breiviks als Symptome für Geisteskrankheit deuteten - nicht als politische Äußerungen eines Extremisten. Experten aus Norwegen, Schweden und Dänemark haben die Diagnose in Frage gestellt.

"Fachliche Uneinigkeit"

Doch hat keiner dieser Experten Breivik je persönlich getroffen. Darum kommt den Berichten aus dem Gefängnis nun besonderes Gewicht zu. "Das zeigt mir, dass eine fachliche Uneinigkeit besteht. Darum sind weitere Untersuchungen notwendig", sagte Rechtsanwalt John Arild Aasen dem Fernsehsender TV2. Aasen vertritt drei Überlebende des Massakers von Utøya und forderte schon vor Wochen ein neues rechtspsychiatrisches Gutachten. Mehrere Opferanwälte schlossen sich am Mittwoch seinen Forderungen an.

Bis zu diesem Donnerstag haben die am Prozess beteiligten Parteien Zeit, sich zum Gutachten äußern. Das Gericht will bis Mitte Januar über Einwände entscheiden. Breiviks Verteidiger erklärte bereits, dass er und sein Mandant weitere Untersuchungen für überflüssig halten. Auch die Staatsanwaltschaft erklärte am Mittwoch, dass sie ein neues Gutachten für unnötig hält.

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