Gutachten im Fall Breivik:Was bedeutet "unzurechnungsfähig"?

Die Überraschung könnte bei den Beobachtern des Falls Breivik kaum größer sein: Der Attentäter von Utøya soll schuldunfähig sein. Doch was bedeutet dies für ihn? Und wie unterscheidet sich das norwegische Recht vom deutschen? Ein Überblick.

Hans Holzhaider

Wenn in einem spektakulären Strafprozess ein psychiatrischer Sachverständiger zu dem Ergebnis kommt, der Angeklagte sei "unzurechnungsfähig" - oder, wie es im deutschen Strafrecht heißt, schuldunfähig oder vermindert schuldfähig, dann gibt es in der Öffentlichkeit nicht selten einen Aufschrei der Empörung: Da solle einer seiner gerechten Strafe, nämlich dem Für-immer-Wegsperren, entzogen werden, und dürfe sich stattdessen ein vergleichsweise angenehmes Leben in einer Klinik machen, natürlich auf Staatskosten.

Deutsche Gerichte waren deshalb mit der Anerkennung einer Schuldunfähigkeit lange Zeit sehr restriktiv. Das hatte Folgen, über die sich dieselbe Öffentlichkeit jetzt wieder sehr erregt: Wer zu einer zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe verurteilt wird, muss, wenn er diese verbüßt hat, auch wieder entlassen werden. Auch wer zu lebenslanger Haft verurteilt wird, hat eine gute Chance, nach 15 oder höchstens 20 Jahren wieder in Freiheit zu kommen. Die Unterbringung in der Psychiatrie, der sogenannte Maßregelvollzug, geschieht dagegen ohne zeitliche Begrenzung, sie dauert potentiell also tatsächlich lebenslang. Entlassen wird ein Patient nur dann, wenn zwei Gutachter bestätigen, dass von ihm keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr ausgeht. Dieses Risiko gehen Psychiater nur noch in sehr seltenen Fällen ein, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, sie seien schuld, wenn ein Täter trotzdem rückfällig wird.

Die Rechtslage in Norwegen ist mit der deutschen vergleichbar, allerdings gibt es in Norwegen keine lebenslange Freiheitsstrafe. Die Höchststrafe beträgt 21 Jahre. Wenn ein Täter unter Schwachsinn, einer schweren Bewusstseinsstörung oder einer psychischen Krankheit leidet, wird er nicht verurteilt, sondern zeitlich unbegrenzt in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Die Unterbringung muss alle drei Jahre überprüft werden.

Eine paranoide Schizophrenie, wie sie bei Breivik diagnostiziert wurde, wäre auch in Deutschland ein Kriterium für die volle Schuldunfähigkeit. Schizophrenien sind durch Medikamente behandelbar. Ob und wann eine dauerhafte Heilung eintritt, lässt sich allerdings nicht vorhersagen.

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