Gunther von Hagens:Dr. Tod bittet zu Tisch

Wo der Tod kein Tabu ist: Fast 700 Körperspender blicken in Guben bei Kaffee und Kuchen mit Gunther von Hagens in ihre Zukunft.

Wenn man es erst einmal an den östlichen Rand Brandenburgs geschafft hat, ist es nicht schwer, den Tod zu finden. Er wohnt im gut ausgeschilderten Plastinarium, Gubens größter, wenn nicht einziger Attraktion. An der Zufahrt hat Kneipenwirt Tom das "Culinarium" eröffnet.

Plastinator Gunther von Hagens

Der Plastinator Gunther von Hagens im Schauraum des 'Plastinariums' in Guben.

(Foto: Foto: ddp)

Der Mann hat kapiert, dass das Plastinarium, in dem der Anatom Gunther von Hagens Leichen in Scheiben schneidet, Sensationshungrige anlockt.

Deswegen bietet er einen "Plastinatoren-Teller" an. Gericht Nr. 42 besteht aus "gemischten Bratenscheiben auf geschmalztem Zwiebelbrot", dazu gibt es "knackige Würstchen und Spiegelei".

Das Totenreich des Gunther von Hagens beginnt gleich hinter "Tom's Culinarium". In den hohen, weiten Hallen wurde früher Wolle verarbeitet; Efeu drängt durch roten und gelben Backstein.

Im "Großtierlager" stehen Container, in denen zwei Elefanten und eine Giraffe in Alkohol schwimmen, demnächst kommt eine Riesenkrake hinzu. Gleich nebenan sitzt eine Kirchengemeinde. Die Neuapostolischen scheinen keine Angst zu haben vor dem Mann, den der Spiegel dareinst "Dr. Tod" taufte.

"Lieber nicht vermodern"

Gunther von Hagens, alias: der Plastinator, lässt enthäutete Menschen- oder Tierkörper mit Kunststoff füllen und aushärten. So zeigt von Hagens in Guben Leichen her, die er zu Fußballspielern und Rockgitarristen hingebogen hat. Vom Fleisch befreit liegen Nerven und Muskeln bloß.

Auch wenn er sein Tun gern mit Philosophie umkränzt, ist Gunther von Hagens doch Geschäftsmann. Demnächst will er Geld damit verdienen, Plastinate an Ärzte und Privatleute zu verkaufen. Das kann eine Scheibe von der Leber sein, aber auch eine komplette, schöne Leich'.

Dr. Tod bittet zu Tisch

Am Samstag sind fast 700 "Körperspender" zu ihrem ersten Treffen nach Guben gekommen. Nach ihrem Ableben wollen sie sich von Gunther von Hagens plastinieren, portionieren und präsentieren lassen. Es sind unauffällige Frauen und Männer in ihren Vierzigern bis Sechzigern, wie man sie auch beim "Herbstfest der Volksmusik" anträfe.

Louis Keller aus Dortmund ist einer von ihnen. "Ich finde die Vorstellung nicht schön, in der Erde zu vermodern", sagt er. Der ehemalige Fliesenleger mit dem maladen Rücken und den kaputten Knien will zum "Komplett-Plastinat" und dann unbedingt ausgestellt werden. "Mit Name, Adresse und Beruf", wie er hinzufügt. Louis Keller erzählt ein bisschen vom Alltag in Dortmund-Brakel. "Ich habe eigentlich nur davor Angst, dass ich nicht gefunden werde, wenn mir was passiert", sagt er.

Zwischen Ernsthaftigkeit und Absurdität

Heino Hasse, Rentner aus Suhl, wundert sich, dass die Medien so viel Gewese um die Plastination machen, die er für eine "grundvernünftige Sache" hält. "Schließlich geht es doch nur um materielle Überbleibsel", sagt er.

Nichts Düsteres hat dieses Treffen an sich. Die Körperspender schlendern, plauschen und lassen sich Kaffee und Kuchen schmecken. Ein Rechtsanwalt bringt das Festzelt zum Lachen, als er die Unterschiede zwischen den Gesetzen herausarbeitet. "In Brandenburg wie in Niedersachsen bleibt ein Toter immer tot", sagt der Jurist. Glucksen im Festzelt.

Während der Tote jedoch in Brandenburg ewig als Leiche gilt, ist er dies in Niedersachsen nur so lange, bis er verwest ist, ergänzt der Anwalt - und wundert sich über das Gelächter, das jetzt durch das Zelt kollert. Auf diesem schmalen Grat zwischen Ernsthaftigkeit und Absurdität wandelt die gesamte Veranstaltung.

Dass mit dem Tod ein Tabu verhandelt wird, scheint nur selten durch. Im Plastinarium befreit Hagens' Crew Leichen von Fett und Bindegewebe. Geschickt hantiert Manuela Krause mit Pinzette und Skalpell. Wie lange sie an so einem Plastinat sitze, will Petra Jagel aus Köln wissen. "Ein Jahr", sagt Manuela Krause und fügt hinzu: "Das sind etwa 1500 Arbeitsstunden." Petra Jagel tritt zurück und schaut sich die Frau genau an. Denkt sie jetzt daran, dass sie irgendwann auch an ihr herumzupfen könnte? Petra Jagel ist eine gesunde Frau von 47 Jahren, die sich jetzt schon auf den Karneval freut. Ob sie den Körperspenderpass anfordern soll, hat sie noch nicht entschieden.

Das Plastinarium hat eine Statistik über Körperspender herausgegeben. Demnach wollen derzeit 6617 Deutsche nach ihrem Tod von Gunther von Hagens silberfarbenem "Bodymobil" abgeholt werden. Bei den Gründen liegt das recht schwammige "Einem guten Zweck dienen" (22 Prozent) vorn. Es folgen "Von der Plastination begeistert sein" (19 Prozent) und "Verbrannt oder begraben zu werden ist unangenehm" sowie "Von der Grabpflege befreit sein" (je 13 Prozent).

Gedichte auf den Plastinator

Obwohl Gunther von Hagens eher ein feuriger als ein guter Redner ist, hat er das Zelt im Griff. Elfriede Kneringer ist aus Österreich in die brandenburgische Provinz gekommen, um die Plastination per Gedicht zu verherrlichen. Auszug: "Möchtest Du Dich den Würmern hingeben/oder fein säuberlich verpackt sympathisch weiterleben?" Hagens bedankt sich, indem er die Menschen, deren sterbliche Überreste er irgendwann einmal in Scheiben schneiden will, als "ethisches Rückgrat der Plastination" bezeichnet.

Klar ist: Wenn der Plastinator "in etwa einem Jahr schwarze Zahlen schreiben will", wie er am Samstag ankündigt, braucht er ständig frische Körper. Und so wird das weltenferne Guben weiter Schlagzeilen liefern. Weihnachten will Gunther von Hagens Markt halten. "Wir setzen einen plastinierten Weihnachtsmann auf einen Schlitten, den drei plastinierte Rentiere ziehen", sagt er. Von so viel Ideenreichtum begeistert, stürmt eine seiner Jüngerinnen an das Mikrofon. Ihr Herz erfüllt vor allem ein Wunsch: "Lassen Sie sich bloß Zeit mit dem Sterben, lieber Herr von Hagens!"

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