Guck-in-die-Luft-Club:Gemälde am Himmel

Mehr als 5000 Mitglieder zählt die exzentrische Cloud Appreciation Society, nun hat ihr Gründer ein Handbuch der Wolkenschau verfasst.

Claudia Fromme

Manchmal können es Nichtigkeiten sein, die das Band der Liebe zerstören. Bei Dieter Bohlen zum Beispiel war es so, dass seine Angetraute Verona Feldbusch so gar nicht kochen konnte. Nach sechs Wochen reichte er darum die Scheidung ein. Michelle Hunziker soll Eros Ramazotti nach drei Jahren Ehe verlassen haben, weil er angeblich rasend eifersüchtig wurde, wenn sie zu viel Wangenrot aufgelegt hatte. Auch David Kitching hat seine Frau verlassen, und der Auslöser dafür könnte manchen ähnlich nichtig erscheinen. "Sie hatte keinen Sinn für die Schönheiten des Alltags", klagt der Manager einer Farbenfirma im englischen Stratford-upon-Avon.

Guck-in-die-Luft-Club: Ein Elefant? Goofy? Nicht jedem erschließt sich die Schönheit des Altokumulus auf Anhieb.

Ein Elefant? Goofy? Nicht jedem erschließt sich die Schönheit des Altokumulus auf Anhieb.

(Foto: Foto: oh)

Eines Tages sei ihm das aufgefallen, als er mit ihr auf der Autobahn fuhr. Am Himmel hing ein Wolkenmonster vom Typ Kumulonimbus, eine klassische Gewitterwolke. Während Kitching die imposante Schönheit bestaunte, schimpfte seine Frau über das miese Wetter. Eine Woche später reichte er die Scheidung ein.

Eine wahre Geschichte, und David Kitching ist mit ihr auf viel Verständnis gestoßen, jedenfalls bei seinen Freunden von der Cloud Appreciation Society, die sich in ihrem Internetforum hingebungsvoll mit Schlüsselerlebnissen wie dem seinen befassen.

Die wundersame Vereinigung für Wolkenfreunde hat es sich zum Ziel gesetzt, den Himmelsgebilden endlich eine Lobby zu geben und - so steht es im Manifest auf www.cloudappreciationsociety.org - Front zu machen gegen das allgegenwärtige "Blaue-Himmel-Denken".

Wolke des Monats: Die Kelvin-Helmholtz-Wellenwolke

Seit April 2004 gibt es den Wolkenclub, und heute hat er mehr als 5000 Mitglieder in 40 Ländern. Diese küren eine Wolke des Monats (im August war es die Kelvin-Helmholtz-Wellenwolke), schreiben Gedichte ("Wohin des Weges, graue Wolke?"), tauschen Fotos von Doppelgängern aus (Formationen, die Elefanten ähneln) oder lassen sich von Sonnenanbetern beschimpfen ("Wolken haben meinen Urlaub ruiniert!").

Selbst Menschen aus wolkenarmen Ländern wie Indien oder Südafrika werben mit, jüngst bekam der erste Iraker einen Mitgliedsausweis, Deutschland stellt 34 Cloudspotter. Mit 3800 Mitgliedern die größte Gruppe sind die Briten. Die Vertreter einer Nation also, die besessen vom Wetter scheint und als Wiege ähnlich schrulliger Betätigungen wie Trainspotting und Birdwatching gilt.

Wenig erstaunlich ist daher, dass der Gründer der Cloud Appreciation Society ein Brite ist. Gavin Pretor-Pinney, 38, hat Philosophie in Oxford studiert und ist Herausgeber der britischen Zeitschrift The Idler, in der es eigentlich nur um eins geht: gepflegtes Nichtstun.

Das mache auch die Faszination des Cloudspotting aus, einer Kunst, "die frei ist von jedem Zweck, die sich selbst genügt", sagt Pretor-Pinney, und er vergisst nicht zu erwähnen, dass er gerade in Somerset weilt und über ihm eine "absolut gigantische Nimbostratuswolke" hängt, aus der es seit Stunden regnet.

Wolkengucken als "neue Religion"?

Wer sich in der Kunst der Himmelsschau üben will, findet Anleitung in Pretor-Pinneys "Cloudspotter's Guide", der nun auf Deutsch unter dem Titel "Wolkengucken" bei Heyne erschienen ist. Wochenlang hielt sich das Buch in den britischen Bestsellerlisten, für die BBC arbeitet Pretor-Pinney nun an einer Fernsehserie über Wolken. Die Sunday Times erklärte Cloudspotting zur "neuen Religion".

Gemälde am Himmel

Zehn Wolkengattungen gibt es, und die wiederum spalten sich in zahlreiche Arten und Unterarten auf. Die Wolkenklassifikation geht auf den Quäker Luke Howard zurück, der 1802 Wolken in die Familien Stratus (Schichtwolken), Cumulus (Haufenwolken), Cirrus (Schleierwolken) und Nimbus (Regenwolken) einteilte.

Guck-in-die-Luft-Club: Was aussieht wie ein Tribal-Tattoo ist die Wolke des Monats August: Die Kelvin-Helmholtz-Wellenwolke.

Was aussieht wie ein Tribal-Tattoo ist die Wolke des Monats August: Die Kelvin-Helmholtz-Wellenwolke.

(Foto: Foto: oh)

Diese Ordnung hat die World Meteorological Organization zur Grundlage der heute geltenden Klassifikation gemacht, die im "Internationalen Wolkenatlas" verzeichnet ist. Fast vierzig Arten, Unterarten und Sonderformen stehen darin, und Pretor-Pinney verteidigt jede einzelne. Wolken nur als Verhinderer des perfekten Sonnentages zu sehen, drücke zu sehr aufs Gemüt, sagt er. Darüber hinaus sei ein ständig blauer Himmel sowieso langweilig.

"Darth Vader" des Wolkenreichs

Pretor-Pinney hat einen ganz speziellen Blick auf die Wolken, die er "Sofas der Heiligen" nennt und die er schon als Kind beobachtete. Weil der Kumulonimbus heftigen Regen und zerstörerische Stürme nach sich zieht, nennt er ihn den "Darth Vader des Wolkenreichs". Die typische Altokumuluswolke erkenne man daran, dass sie aussehe, wie ein "Blech mit Brötchen". Die Schönwetterwolke, den Kumulus, kenne jeder, weil die Schäfchenwolke "der Star jeder Kinderzeichnung" sei.

Am schwersten tue er sich mit der Stratuswolke, weil sich dieser tiefe Wolkentyp wie eine starre Decke grau über unsere Breiten und Gemüter legt, sagt Pretor-Pinney. Wie ein Bekannter, "der einem ständig zu nah kommt", sei er. Eine schlechte Presse hätten die Stratuswolken, was aber auch kein Wunder sei. Ganz anders sein Liebling, der Cirrus, der "wie Löckchen" am Himmel hängt.

Und doch führe uns dieser Wolkentyp vor Augen, dass schnell alles anders sein kann. Dann nämlich, wenn er sich in fransigen Streifen ausdehnt und zum Vorboten schlechten Wetters wird. Diese Wandlungsfähigkeit sei das Beste am Cloudspotting, ständig veränderten sich Wolken, im Schnitt alle zehn Minuten. Oder, so erklärt Pretor-Pinney: "Sie ändern ihr Aussehen so oft wie Cher ihr Outfit bei einem Konzert."

Auch wenn er schon einmal ins australische Queensland gereist ist, um mit einer Cessna durch die imposante Wolkenwalze "Morning Glory", eine Sonderform des Stratokumulus, zu fliegen, bleiben derlei Touren für Pretor-Pinney die Ausnahme. Das sei das Besondere am Wolkengucken: Unabhängig von Mitteln und Herkunft könne man jede Wolkenart an jedem Ort der Welt sehen - selbst die "Morning Glory", wenngleich sie mancherorts vielleicht ein wenig kleiner auftauche. Das sei eben die Demokratie des Himmels.

Rorschachbilder des Himmels

Sehr wichtig bei der Wolkenbetrachtung sei "der entspannte Blick", denn wichtiger als zu wissen, dass das etwa die zu den orographischen Wolken gehörende Altocumulus lenticularis ist, die über einem Berg hängt, sei doch die emotionale Interpretation: "Wow, das sieht ja aus wie ein Ufo! Oder doch eher wie ein Brummkreisel?"

Wolken seien die Rorschachbilder des Himmels, abstrakte Formen also, auf die wir unsere Wunschbilder projizieren. Dabei seien sie eigentlich etwas ganz Banales, erklärt Pretor-Pinney: Ein Haufen von Wassertröpfchen, die unterschiedlich stark Licht reflektieren.

Seiner Beziehung hat die Leidenschaft für die banalen Schönheiten des Alltags nicht geschadet. Im Oktober wird er seine Freundin Liz heiraten, die ebenfalls Gefallen am Wolkengucken gefunden hat. Ihrer gemeinsamen Tochter Flora haben sie den Zweitnamen Cirrus gegeben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: