Guam:"Wir bereiten uns nicht auf eine Massenvernichtung vor"

Nordkorea bedroht die Pazifikinsel Guam. Und was sagen die Bewohner zum Machtspiel zwischen Kim Jong-un und Donald Trump? Sie gehen lieber grillen, als in Panik auszubrechen.

Von Max Sprick

Die Wetterlage hat Guam derzeit fest im Griff. Das flache sogenannte "Außengebiet" der Vereinigten Staaten, das auf einem Kalkplateau 6000 Kilometer westlich von Hawaii und 2000 Kilometer östlich der Philippinen im Westpazifik liegt, wird gerade von der Regenzeit bestimmt. "Die startet eigentlich Anfang Juli, hat sich in den vergangenen Jahren aber immer öfter verspätet", sagt Topher Barretto, der auf der Insel geboren ist. "Unser Wetter verändert sich momentan so schnell, wie ein Lichtschalter die Helligkeit eines Raumes verändert."

Der traumhafte, wolkenlose Postkartenhimmel, wird mehrmals am Tag von Unwettern schwarz gefärbt. Dann fallen enorme Niederschläge, ehe nach spätestens 15 Minuten die Sonne wieder rauskommt. "Das Leben auf Guam ist friedlich und gechillt", sagt Paulina Yim, eine 25-jährige Friseurin. Das hat sich auch durch die gegenseitigen Drohungen von US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un kaum geändert. "Wir haben wunderschöne Strände und sind sehr gastfreundlich."

Neben den Stränden ist Guam vor allem für seine zwei Militärstützpunkte mit mehr als 7000 amerikanischen Einsatzkräften berühmt. Auf der Luftwaffenbasis Andersen im Norden sind Hubschrauber und Langstreckenbomber stationiert, die Marine hat ihre Basis im Süden. Die Lage der Insel macht sie zum strategisch wichtigen Punkt, um den Pazifik zu überwachen. Bis zum Zweiten Weltkrieg war sie nur dünn besiedelt, 1940 lebten lediglich 22 000 Menschen hier. Die meisten von ihnen einheimische Chamorro gemischter austronesischer und spanisch-philippinischer Herkunft.

Seit die USA 1944 ihren Luftwaffenstützpunkt an der Nordspitze der Insel eröffnet haben, wächst die Bevölkerungszahl. Anfangs rapide (1950 lebten fast 60 000 auf Guam), inzwischen nur noch langsam. Aktuell liegt die Einwohnerzahl bei etwas mehr als 160 000 - Chamorro, Philippiner, Japaner, Chinesen, Koreaner, Angehörige anderer westpazifischer Ethnien, Weiße.

"Der Alltag für uns Einheimische wird nicht so sehr beeinflusst vom amerikanischen Militär", sagt Paulina Yim. "Die Soldaten leben in abgesicherten Bereichen. Manchmal kommt man mit ihnen in Berührung, wenn sie als Kunde zum Haare schneiden kommen, oder im Nachtleben." Viel eher als mit Amerikanern habe sie mit Touristen zu tun. Mehr als eine Millionen urlauben jedes Jahr auf Guam, die Hälfte von ihnen kommt aus Japan. In den vergangenen Jahren aber auch verstärkt aus Südkorea. Ein Nonstop-Flug aus der Millionenmetropole Seoul zu den Stränden von Guam kostet etwas mehr als hundert Euro und dauert viereinhalb Stunden.

Innerhalb weniger Minuten verbreitete sich auf der Insel die Nachricht, Nordkorea wolle Guam mit seinen Bomben in ein "historisches Feuer hüllen". Konkret drohte Diktator Kim Jong-un damit, Mittelstreckenraketen in die Gewässer etwa 30 bis 40 Kilometer vor Guam abzufeuern. Die Einheimischen erfuhren vor allem über die sozialen Medien davon. Topher Barretto, der als Crossfit-Trainer arbeitet, lag gerade am Strand in Tumon, als er auf seinem Smartphone von der Drohung las. "Weder ich, noch die Leute um mich herum, sind in diesem Moment in Panik ausgebrochen", sagt er. "Das war nicht das erste Mal, dass Kim Jong-un das US-Militär auf Guam bedroht und es ist sicher nicht das letzte Mal." Auch Paulina Yim war nicht überrascht. "Die USA und Nordkorea werden beide von Kindsköpfen regiert", sagt sie. "Außerdem gab es auch während der Regierungszeit von Barack Obama Drohungen von Kim Jong-un gegen uns."

Dass der Befehlshaber des nordkoreanischen Raketen-Kommandos nun die Nuklearwaffen-Einheit in Wartestellung berufen haben will, sei in Guam kein Grund zu besonderer Hektik, sagt Yim. "Natürlich reden wir darüber. Aber wir bereiten uns nicht auf eine Massenvernichtung vor."

Die Bedrohung durch Nordkorea sei eher Teil einer größeren Diskussion, sagt Barretto. In nicht allzu ferner Zukunft soll es auf der Insel ein Referendum über deren politischen Status geben. "Wir sind gerade US-Gebiet, jeder von uns ist von Geburt an US-Bürger, aber wir bekommen weniger finanzielle Unterstützung als US-Bundesstaaten." Ein Stimmrecht bei Präsidentschaftswahlen in den USA haben die Inselbewohner trotz ihres Passes nicht. Die Einwohner Guams sollen bei dem Referendum drei Wahlmöglichkeiten bekommen: Die vollständige Unabhängigkeit, die Wahrung des Status quo aber mit mehr Befugnissen - oder den Antrag, Bundesstaat der USA zu werden.

Deswegen würden sich die Diskussionen der Bevölkerung vor allem darum drehen, welche Vorteile die Zugehörigkeit zu den USA der Insel bringen, sagt Barretto, und ob die Bedrohung ohne den Militärstützpunkt geringer wäre: "Die einen denken genau das, die anderen sind froh über das Militär, weil es uns beschützt." 2013 wurde auf der Insel das Raketenabwehrsystem THAAD (Terminal High Altitude Area Defense) installiert, das ballistische Raketen in der Endphase ihres Fluges zerstören kann.

Barretto selbst kann die Vor- und Nachteile einer endgültigen Entscheidung pro oder contra USA noch nicht ausreichend abschätzen. Einerseits brächten die Soldaten und ihre Angehörigen Geld in die lokale Wirtschaft, andererseits nehme deren Stützpunkte ein Drittel der ganzen Insel ein. Außerdem sei Guam ein "spirituelles und traditionelles Land". Das US-Militär mache daraus aber einen Übungsplatz, auch für Waffen- und Bomben-Tests. "Und weil wir gläubig und ideell geprägt sind und eine Vielzahl bedrohter Tierarten haben, verursacht das eine Menge Probleme."

Guam hat bislang nur selten die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gezogen. Ferdinand Magellan schaute 1521 mal vorbei, 1668 einige spanische Jesuiten, die den christlichen Glauben verbreiteten. Dann war für einige Jahrhunderte Ruhe, bis Washington 1898 die Kontrolle über die Insel von den Spaniern übernahm. Kurz nach dem Angriff auf Pearl Harbor 1941 landeten die Japaner hier, drei Jahre später eroberten US-Streitkräfte Guam zurück, errichteten ihren Luftwaffenstützpunkt und schleppten vermutlich die Braune Nachtbaumnatter ein, die gleich mal fast die komplette Vogelwelt auf Guam ausrottete. Seitdem nutzten die Amerikaner den Stützpunkt im Koreakrieg, im Vietnam- und im Irakkrieg.

Ungeachtet des Weltgeschehens grillen die Chamorro am liebsten am Strand. "Wir sind eine so kleine Insel, jeden Tag lädt hier irgendwer, den du kennst, zum Barbecue ein", sagt Barretto. Seine Landsleute seien stolz auf ihre Rezepte und ihr lokales Essen und ihre Dorffeste. Jeden Abend gäbe es neben dem Barbecue auch irgendwo Live-Musik. Und die werde niemals verstummen. Schon gar nicht wegen des Regens, der die Insel gerade heimsucht - oder wegen des angedrohten Feuers.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: