Großfahndung in Boston:Festnahme mit Panne

US-Präsident Obama lobt die Sicherheitsbehörden - und schweigt gnädig über eine Ermittlungsspanne. Die Aufarbeitung der unglaublichen Jagd auf die mutmaßlichen Attentäter dreht sich auch um die Frage: Wie gut war die Arbeit von Polizei und FBI?

Von Sascha Gorhau

Im Kurznachrichtendienst Twitter, auf dem er hunderte unauffällige Nachrichten absetzte, wirkt Dschochar Zarnajew wie ein gewöhnlicher Jugendlicher aus den USA. Ein Nachbar nannte Dschochar bei CNN einen "liebenswerten Jungen". Dass er mit seinem Bruder Tamerlan drei Menschen getötet und 180 weitere verletzt haben soll, könne er nicht glauben.

Zarnajew wurde nach zunächst erfolgloser Großfahndung mit 9000 Einsatzkräften erst durch einem Hinweis auf verdächtige Blutspuren in einem Motorboot in einem Garten von Watertown aufgegriffen und dann schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht.

Wie gut war die Arbeit der Sicherheitsbehörden?

Der Zustand Zarnajews ist weiter ernst. Bei einer Schießerei mit der Polizei war er in den Hals getroffen und an der Zunge verletzt worden, wie eine mit den Ermittlungen vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters sagte. Es sei unklar, wann er wieder sprechen könne.

Nach Angaben der US-Bundespolizei FBI ist er weiterhin nicht vernehmungsfähig. Zarnajew schwebe noch immer in Lebensgefahr, teilte das FBI am Sonntag unter Berufung auf behandelnde Ärzte mit. "Wir wissen nicht, ob wir ihn eines Tages befragen können", sagte der Bürgermeister von Boston, Thomas Menino, dem Fernsehsender ABC. Zudem berichtet die Nachrichtenagentur dpa, dass Fahnder der Bundespolizei FBI mutmaßten, dass Zarnajew sich die Wunde am Hals selber zugefügt haben könnte, um sich vor seiner Ergreifung durch die Polizei am Freitag das Leben zu nehmen.

Bis dahin geht die Aufarbeitung der unglaublichen Jagd durch Bostons Vororte weiter. Dabei geht es auch um die Frage: Wie gut war die Arbeit der Sicherheitsbehörden?

Die Bürger Bostons beklatschten die Polizei, US-Präsident Barack Obama lobte in einer kurzen Rede im Weißen Haus die Einsatzkräfte. Nicht nur Obama, auch das FBI schweigt über eine Ermittlungsspanne. Denn das Grundstück, auf dem der 19-Jährige am Freitagabend schließlich umzingelt und nach einem Feuerwechsel gefasst wurde, war bereits zuvor durchsucht worden - ohne Ergebnis.

Boston Marathon Anschlag Grafik

Die Schauplätze der Bombenanschläge von Boston.

(Foto: SZ Grafik)

Dass die Fahnung am Ende doch noch erfolgreich war, verdankten die Ermittler einer wachsamen Öffentlichkeit, den neuen Medien - und dem Zufall.

Erdrückende Bilderflut

Die Behörden hatten die Bürger dazu aufgerufen, ihnen Bilder und Videos zukommen zu lassen, die Hinweise zu dem Anschlag hätten liefern können. Die Flut an Zusendungen war erdrückend. Edvard Davis von der Polizei in Boston bezeichnete gegenüber der Washington Post die Sichtung und Auswertung des Materials als "fast schon ein Problem", so groß sei die Menge an Material gewesen. US-Reporter berichten von einem FBI-Agenten, der eine einzige Aufnahme 400 Mal analysiert haben soll.

Einen wichtigen Hinweis lieferte jedoch Jeffrey Bauman, ganz analog. Er überlebte den Bombenanschlag schwer verletzt. Doch ihm war ein Mann mit Baseballmütze und einer schwarzen Sporttasche aufgefallen. Noch auf der Intensivstation notierte er auf einen Zettel: "Bag. Saw the guy, looked right at me". Wenig später traten zwei FBI-Beamte an sein Krankenbett. Ihnen erzählte er von einem Mann mit schwarzer Baseballkappe und Sonnenbrille.

Die Behörden filterten das Videomaterial nun nach Männern, die auf die Beschreibung passten - und lenkten auch die Hinweise aus der Öffentlichkeit in diese Richtung. Denn über soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter waren zuvor zahllose Theorien über die Täter und ihre Hintergründe gestreut worden. Diese würden die Ermittlungen eher schwieriger gestalten als erleichtern, so die Ermittler.

"Findet Leute, die schwarze Taschen tragen"

Um die Oberhand über den Verlauf der Fahndung zu behalten, wendet sich das FBI am Donnerstagnachmittag an die Öffentlichkeit und zeigt Bilder der beiden Verdächtigen. Damit wollte das FBI auch die zahllosen Unschuldigen schützen, die im Internet des Attentats verdächtigt werden.

Das Internet bietet viele Plattformen für Hinweise aller Art. Doch sie haben auch das Potenzial, den Raum zum Ort einer digitalen Hexenjagd werden zu lassen. Diesem Vorwurf sah sich jedenfalls der anonyme Moderator eines Forums auf Reddit.com ausgesetzt. Auf der Internetseite waren hunderte User seinem Aufruf gefolgt, Bilder von Leuten zu posten, die schwarze Taschen auf dem Marathon trugen. Schwarmintelligenz sei effizienter, schrieb er auf der Internetseite.

Doch weder die 9000 Polizisten, die die Brüder jagten, noch ein Tipp aus dem Internet hat ihn überführt: David Hennenberry wurde zum Helden, weil er zufällig bemerkte, dass die Abdeckplane seines Bootes verrutscht war. Er verständigte die Polizei, die den geschwächten und verletzten Zarnajew überwältigte.

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