Großbritannien:Unterhosen im Unterhaus

  • In Großbritannien ist ein Gesetz, das verbieten soll, Frauen unter ihrem Rock zu fotografieren, gescheitert.
  • Grund war eine einzige Gegenstimme im Parlament: die von dem konservativen Abgeordneten Sir Christopher Chope.
  • Chope wird seitdem stark kritisiert; er selbst begründet seine Entscheidung mit rein formalen Fehlern.

Von Cathrin Kahlweit, London

Sir Christopher Chope hat es sich nicht nehmen lassen, nach all der Unbill, die er erleiden musste, einen in der Form angemessenen, im Ton leicht beleidigten Leserbrief an die Times zu schreiben. In dürren Worten erklärt er der Nation, dass durchaus nichts gegen ein Gesetz zu sagen sei, welches Upskirting unter Strafe stelle. Er würde es sogar unterstützen, betont der 71-jährige konservative Abgeordnete - wenn es denn auf andere, in seinen Augen legitimere Weise ins Parlament eingebracht würde. Aber, wie dem Subtext seines Briefes zu entnehmen ist: So nicht!

"Up" wie hinauf, und "skirt" wie Rock - Upskirting also beschreibt im Englischen die Unsitte, Frauen eine Kamera unter den Rock zu halten und die Unterwäsche oder, falls nicht vorhanden, die nackte Scham zu fotografieren. Chope würde gar nicht bestreiten, dass das ein unerträglicher und unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre von Frauen ist. Er ist ja kein Neandertaler. Aber er findet, es geht nicht, dass, wie geschehen, ein solches Gesetz in einer Art Schnelldurchlauf, ohne Debatte, durchgepeitscht wird - in der Annahme, dass es sowieso alle Abgeordneten unterstützen und man sich dann wieder strittigeren Themen wie dem Brexit zuwenden kann.

Vorlagen, die von einzelnen Abgeordneten eingebracht und per Akklamation angenommen werden können, gelten gemeinhin als "no-brainer", als eine Selbstverständlichkeit, für die es nicht viel Hirn braucht. Upskirting etwa ist unerträglich, es unterminiert das Recht der Frau auf ihren Körper, es muss unter Strafe gestellt werden. Punkt. Die Abgeordnete Wera Hobhouse hatte eine entsprechende Gesetzesvorlage eingebracht, nachdem die Publizistin Gina Martin eine landesweite und viel beachtete Kampagne initiiert hatte.

Martin war auf einem Festival gewesen, wo ein Mann unter ihren Rock fotografiert und das Bild umgehend gepostet hatte; die Journalistin entdeckte auf den Handys der Männer, die um sie herumstanden, plötzlich Fotos ihrer Beine und ihrer Unterwäsche. Sie wurde wütend, verfolgte und stellte den Täter - und zeigte ihn an. Ohne Erfolg. Die Polizei sagte, da könne man nichts machen, das sei nun mal nicht verboten.

Antragstellerin Hobhouse hatte auch die Unterstützung der Regierung, als sie damit ins Unterhaus ging. Aber Kollege Chope rief im letzten Moment als einziger: "Object", was heißt, er war dagegen. Die anderen Parlamentarier waren erst verdutzt, dann wütend. Seither ist Chope ziemlich abgemeldet bei seinen Kolleginnen. Seine Bürotür in Westminster und die Tür seines Abgeordnetenbüros in Christchurch wurden in den vergangenen Tagen von empörten Feministinnen mit Unterhosen verhängt.

Am Montag debattierte dann das Unterhaus die Unterhosenfrage in einer aktuellen Stunde. Bezeichnenderweise waren ganz überwiegend Frauen anwesend, die sich zudem darin einig waren, dass diese Gesetzeslücke nun, nach Chopes Intervention, umgehend mit einer Regierungsvorlage gestopft werden muss.

Dieser wiederum hat sich mittlerweile durch die Wäschestücke gekämpft, seinen Leserbrief geschrieben, ein paar erklärende Interviews gegeben und sich als "Sündenbock" bezeichnet. Er fühlt sich missverstanden. Er habe doch gar nichts gegen das Gesetz, betont er immer wieder, im Gegenteil, aber er habe eben etwas gegen die Art, wie es eingebracht wurde. So etwas müsse dem üblichen Regelwerk unterliegen, es dürfe nicht vorschnell beschlossen werden, und sei es aus Effizienzgründen.

Zudem hat Chope einen Ruf zu verteidigen; es ist nicht das erste Mal, dass er "object" gerufen hat. Er tat das auch bei anderen no-brainern, über die Konsens bestand: beim Verbot der grausamen Behandlung von Zirkustieren und Parkplatzgebühren vor Krankenhäusern, der Begnadigung des berühmten Forschers Alan Turing, der in den 50er-Jahren wegen Homosexualität angezeigt und zur chemischen Kastration verurteilt worden war, sowie bei unzulässigen Kündigungen von Mietern. Chope war dagegen. Aus formalen Gründen, sagt er.

Trotzdem hat die Premierministerin ihn vor sechs Monaten in den Adelsstand erhoben. Auf die Frage eines BBC-Moderators, womit er das verdient habe, antwortet May ausweichend: Er sei ein langjähriges Mitglied des Parlaments. Ansonsten findet May, Upskirting sei "invasiv und übergriffig", ein Angriff auf Frauen. In der Fragestunde am Mittwoch sagte May im Unterhaus zu, dass die Regierung schon am Donnerstag einen Gesetzentwurf einbringen werde. Außerdem würden Wiederholungstäter in das Register für Sexualstraftäter aufgenommen würden. Von Chope war dazu nichts zu hören.

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