Großbritannien:Hoch radioaktive Substanzen angeblich in Sellafield ausgetreten

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Der Bericht einer Tageszeitung klingt haarsträubend: Ein Leck in einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage bleibt neun Monate unbemerkt, es laufen hoch gefährliche Substanzen aus - in einer Größenordnung von mehr als 80.000 Litern. Der verarbeitete Atom-Müll soll aus deutschen Kernkraftwerken stammen.

Ein Loch in der umstrittenen britischen Atomanlage Sellafield ist nach Informationen der Zeitung Independent on Sunday bis zu neun Monate lang unbemerkt geblieben.

Kühltürme der Atomanlage Sellafield (Foto: Foto: AFP)

Aus einem Untersuchungsbericht über den kürzlich bekannt gewordenen Zwischenfall gehe auch hervor, dass es die schwerste Panne in einem britischen Atomkraftwerk seit 13 Jahren gewesen sei. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien haben den Vorfall als "ernst" eingestuft, was selten vorkomme.

Die britische Regierung erwäge nun, die vorläufig stillgelegte Wiederaufbereitungsanlage von Sellafield gar nicht mehr zu öffnen. Die Reinigung eines abgedichteten Raums, in den ein hochaktives Uran-Plutonium-Gemisch geflossen ist, gilt als äußerst schwierig. Voraussichtlich müssen dafür erst Spezialroboter gebaut werden.

Dennoch denkt die Regierung nach Angaben von Premierminister Tony Blair über den Bau einer neuen Generation von Atomkraftwerken nach.

Die Betreibergesellschaft British Nuclear Group hat zugegeben, dass in der Wiederaufarbeitungsanlage durch ein gerissenes Rohr viele Tonnen uran- und plutoniumhaltige Salpetersäure ausgelaufen sind.

Neu ist, dass das Rohr dem Independent zufolge möglicherweise schon seit August vergangenen Jahres leckte, dies aber erst am 19. April entdeckt wurde. Nach Angaben der Zeitung bestätigt die Betreibergesellschaft auch dies. Mehr als 83.000 Liter sollen ausgetreten sein. Der Unfall sei auf eine Verkettung "technischen und menschlichen Versagens" zurückzuführen, hieß es. Die radioaktiven Abfälle, um die es geht, stammen demnach aus Deutschland.

Der irische Umweltminister Dick Roche reagierte empört auf die Nachricht von dem Leck. Es handele sich um ein "weiteres vernichtendes Urteil" über die Sicherheitsvorkehrungen in dem Werk. Die irische Regierung sei sehr besorgt angesichts der wiederholten Vorfälle in Sellafield und werde sich für eine "sichere und ordentliche Schließung" des Werks einsetzen.

Erst im Februar hatte ein Zeitungsbericht für Aufsehen gesorgt, wonach 30 Kilogramm Plutonium aus Sellafield verschwunden waren - genug für den Bau von sieben bis acht Atombomben. Die Betreibergesellschaft hatte dies mit "Buchhaltungsproblemen" erklärt.

Sellafield (früher Windscale) an der Nordwestküste Englands und das französische La Hague sind die größten Wiederaufarbeitungsanlagen für Atombrennstäbe in Europa.

Strahlende Wolke im Jahr 1957

Sellafield gehört zu den ältesten nuklearen Anlagen der Welt. Schon 1946 beschloss die britische Regierung, eine Anlage zur Anreicherung von Uran zu errichten. Nach einem drei Tage währenden Brand 1957, eine der größten atomaren Katastrophen in der britischen Geschichte, wurden die Fabriken vorübergehend geschlossen. Damals zog eine radioaktive Wolke über Großbritannien hinweg.

1956 wurde auf dem Gelände ein Atomkraftwerk in Betrieb genommen, das anschließend mehr als 45 Jahre lang Strom lieferte. Nach technischen Schwierigkeiten wurden die vier Reaktorblöcke seit 2001 nach und nach abgeschaltet, der vierte Ende März 2003.

1964 wurde in Sellafield eine erste Fabrik zur Aufbereitung von Magnox-Atombrennstoff in Dienst gestellt. Sie soll 2010 geschlossen werden.

© sueddeutsche.de/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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