Griechenland und der Kampf gegen das Feuer:Als habe sich die Erde geöffnet

"Wir werden hier bei lebendigem Leibe verbrennen": Hilferufe, die ins Leere gehen - und ein Ministerpräsident, der versucht ein Volk zu trösten, das sich schon längst gegen die Politiker gewendet hat.

Kai Strittmatter, Istanbul

Eine Titelseite pechschwarz, darauf nur ein Satz: ,,Es fehlen die Worte''. Vielleicht war die Sonntagsausgabe der Athener Tageszeitung Eleftherotypia die angemessenste Reaktion auf das, was in Griechenland geschehen war. Was immer noch geschieht. Andere rangen sichtlich um Vokabeln, die das Monströse begreiflich machen sollten.

Von der ,,Apokalypse'' schrieben andere Zeitungen, von ,,Szenen biblischer Zerstörung'' sprach Oppositionschef Georgios Papandreou, Worte, die sich mühen, den Endzeit-Bildern gerecht zu werden, die Griechenland derzeit gefangen halten. Aus Bergen und Wäldern quellende Wolkentürme, so düster und undurchdringlich, als habe sich unter dem Peloponnes die Erde geöffnet.

Die Sonne ist vielerorts verschwunden in einem rauchgeschwängerten Himmel und wenn doch einmal leuchtender Widerschein den Dunst durchsetzt, dann ist das oft ein Alarmzeichen: Feuer. Der Premier hat den nationalen Notstand ausgerufen und Staatstrauer angeordnet, drei Tage lang, bis zum Montag.

Gespenstische Bilder. Flammenwände. Geisterdörfer. Autogerippe. Auch Bilder des Widerstands, oft ebenso rührend wie entmutigend: Löschflugzeuge, deren Wasserbombardements schon in der Luft zu verdunsten scheinen, lange bevor sie die Feuerherde erreichen. Zwei orthodoxe Priester, der eine streckt dem Inferno ein Kreuz entgegen, der andere eine mit beiden Händen fest umklammerte Ikone. Vielleicht hilft ja die Jungfrau.

Flucht in den Tod

Eindringlicher vielleicht noch die Stimmen, auch sie suchen all jene Häuser und Wohnzimmer heim, die sicher sind. Ohnehin sicher. Oder noch sicher. Stimmen ohne Gesicht sind es, die Stimme jenes Mannes aus dem Dorf Andritsaina zum Beispiel. ,,Ich höre das Prasseln der Flammen vor meiner Tür'', hört man ihn sagen: ,,Es gibt hier kein Wasser, keine Hilfe. Wir sind allein.'' Ein verzweifelter Hilferuf, live ins ganze Land übertragen.

Mit seinem Mobiltelefon hat er einen Fernsehsender angerufen. Für viele ist das in diesen Momenten die letzte Verbindung zur Außenwelt, Dutzende von Dörfer sind eingekesselt, Hunderte von solchen Anrufen gehen in ganz Griechenland bei Radio- und TV-Sendern ein.

,,Das Feuer rast auf unser Dorf zu. Wir müssen es verlassen. Keiner hilft uns'', meldet sich ein Bewohner der Insel Euböa. Orte auf dieser Insel nördlich von Athen werden nun evakuiert, Fähren brachten am Sonntag die Menschen aufs Festland. Spät am Samstagabend hatten die Kirchenglocken im Dorf Kolyri bei Olympia vor der drohenden Gefahr gewarnt.

Am Sonntag erreichten die Flammen die ersten Häuser an der antiken Stätte. Hier, im Hera-Tempel, wird alle vier Jahre das olympische Feuer entzündet, nun wird auch Olympia evakuiert. Die Lage ist vielerorts noch unübersichtlich. Als am Sonntag die Moderatorin von BBC zu ihrem Reporter nach Olympia schaltete und fragte, wie die Lage sei, antwortete der entwaffnend offen: ,,Ehrlich gesagt - ich habe keine Ahnung. Wir sind komplett in Rauch eingehüllt.'' Auch aus Olympia meldeten sich Anrufer im Fernsehen. Eine Frau, zugeschaltet per Handy aus dem Dorf Lambeti: ,,Wir werden hier bei lebendigem Leibe verbrennen.''

In Griechenland tut keiner mehr solche Worte als Panikmache ab. Nicht, seit das Land am Samstagmorgen von dem Schicksal des Dorfes Artemida bei Zacharo erfuhr. Artemida liegt im Westen der Halbinsel Peloponnes. Keinen Ort haben Tod und Zerstörung härter getroffen. Den Großteil der mittlerweile mehr als 50 Menschenleben hat das Feuer hier gefordert, als es sich in rasender Geschwindigkeit den Berg hinunter auf den Ort stürzte.

Es erreichte die Bewohner in ihren Häusern, es verschlang die Fliehenden, die sich in ihren Autos sicher wähnten. Ein Wagen stieß mit einem Feuerwehrauto zusammen, andere fuhren auf. Das Todesurteil. Neun Menschen starben in den herbeieilenden Flammen, darunter drei Feuerwehrmänner. Das Fernsehen zeigte am folgenden Tag die ausgebrannten Wracks, daneben Überlebende und Verwandte, manche brachen zusammen.

Keine Fernsehbilder, nur Augenzeugenberichte, gibt es von jener Szenerie, die sich in einem ausgebrannten Haus bei Zacharo bot, und doch wird dies wohl die Momentaufnahme sein, die kaum einer vergessen wird. Die Suchtrupps berichteten von fünf verkohlten Leichnamen: eine Mutter lag da, ihre vier Kinder im Arm.

Manche fliehen zu spät. Oder gar nicht. Sie wollen ihr Hab und Gut retten, viele Häuser sind nicht versichert. Die Feuerwehr wird mittlerweile von 500 Soldaten unterstützt, aber es wird mehr und mehr klar, dass sie der Aufgabe von Anfang an hoffnungslos unterlegen war. ,,Das ist die Hölle'', sagte der Bürgermeister von Kalyvia bei Athen am Samstag. ,

,Wenn wir das Feuer nicht stoppen, wird hier nichts mehr übrig sein'', flehte seine Kollegin Sofia Moutsou aus Styra auf der Insel Euböa - Hilferufe, die ins Leere gehen. ,,Unsere Notfallreserven sind überdehnt, außerdem ist es nach Menschenermessen geradezu unmöglich, diese Macht der Natur bekämpfen zu wollen'', sagte ein Beamter der Feuerwehr dem Sender CNN.

Das Inferno als Weckruf

Der Ministerpräsident versuchte am Wochenende, die Initiative zu ergreifen, aber er wirkte dabei wie ein Getriebener. Getrieben nur vom politischen Gegner und vom wütenden Volk? Oder auch vom schlechten Gewissen? ,,Nationaler Ausnahmezustand'', ,,nationale Trauer'', ,,nationale Tragödie'' - alles feierliche Worte aus dem Mund von Kostas Karamanlis, doch gerade angesichts des Ausmaßes der Katastrophe spürten viele Griechen, wie hohl sie klangen. Zu wenig, zu spät.

,,Das ist die Stunde der Schlacht'', sagte Karamanlis in seiner Ansprache am Samstag und verlangte von den Landsleuten ,,Opfer'' und ,,Verantwortungsbereitschaft''. ,,Ich fühle tiefen Schmerz für die Mutter, die ihre Kinder umarmend den Flammen erlag'', sagte er: ,,Ich fühle Zorn- den selben Zorn, den Ihr fühlt.''

Das aber ist nur schwer vorstellbar. Denn die Zielscheibe eines großen Teils des Volkszorns ist momentan Karamanlis selbst. Zugegeben, nicht nur er. Aber seine Regierung führt im Moment die Feuerwehr, die Forstämter, den Staat. Also ist er verantwortlich. Opfer, Verantwortung, Kampfbereitschaft - viele Griechen fragen nun, ob es soweit hätte kommen müssen, wenn die Regierung nur selbst den hehren Tugenden gehuldigt hätte, die sie nun dem Bürger abverlangt. Die Bilder von Menschen, die auf Polizeibeamte losgehen, die Fäuste ballen gegen vorbeifahrende Feuerwehrwagen, die zeigen, dass etwas faul ist im Staate Griechenland.

Eigentlich ist das keine Neuigkeit: Mit Korruption, Vetternwirtschaft, Ignoranz und Fahrlässigkeit haben sich die Bürger hier stets arrangiert. Die einen mehr resignierend, die anderen, weil sie selbst mitmauschelten. Vielleicht brauchte es das Inferno als Weckruf. Hier wird das komplette Versagen der politischen Klasse offenbar.

Karamanlis' Trost: Die heutige Opposition, die alte Regierung also, trägt ihren Anteil an der Schuld. Für die Bürger aber ist es ein Schock. Der Staat konnte sie nicht nur nicht beschützen - wahrscheinlich hat er, so untätig und unfähig wie er agierte, viele eigenhändig dem Unglück ausgeliefert. Denn dies ist keine bloße Naturkatastrophe, diese Hölle hat sich der Mensch selbst mit eingerichtet.

Wie also kam es, dass das Land so völlig unvorbereitet in die Waldbrände marschierte (immerhin ist das jährlich wiederkehrende Feuer ein alter Bekannter Griechenlands)? Mit einer Feuerwehr, die so katastrophal ausgerüstet und so fatal unterbesetzt ist, dass die Feuerwehrleute nun, nach mehr als zwei Monaten pausenlosen Einsatzes und mehr als 3000 Bränden, vor Erschöpfung kaum mehr löschen können? Kostas Karamanlis gibt vor allem zwei Dingen die Schuld: Dem Klimawandel und den Brandstiftern.

Die Feuer könnten ,,kein Zufall'' sein. Aus seiner Sicht ist das praktisch, weil man beides nicht einem Ministerpräsidenten in die Schuhe schieben kann. Und während mancherorts tatsächlich Hinweise auf Brandstiftung gefunden wurden, etwa Benzinkanister und Lumpen an einem Berg bei Athen, so sind sich doch viele Beobachter einig, dass das als Erklärung lange nicht ausreicht. Die Gründe dafür, dass die Waldbrände zu einer solchen Tragödie werden konnten, sind vielfältiger und haben ihre Wurzeln oft tief im verrotteten System.

"Wenn die Regierung die Schuld auf organisierte Brandstiftung schiebt, vertuscht sie ihre eigene Verantwortung'', hieß es am Wochenende in einer Erklärung des linken parlamentarischen Bündnisses Syriza. Immerhin erklärt die konservative Regierung nicht mehr, die Feuer seien von den Sozialisten von der Pasok gelegt worden - wie dies noch im Juli Arbeitsminister Gerasimos Yakoumatos behauptet hatte: ,,Diese Brände wurden uns nicht von Gott geschickt'', sagte der Minister einem Radiosender. ,,Die sind parteipolitisch.''

Um die Umwelt und die Wälder hat sich Jahrzehnte keiner geschert im Land, da ist die Regierung Karamanlis keine Ausnahme. Hunderte von offenen Müllkippen in freiem Gelände entzünden sich regelmäßig; Kritik der EU an den Zuständen ließ bisher jeder Premier an sich abperlen. Bodenspekulanten errichten illegal Häuser auf abgebranntem Forstland und lassen sich die Bauten im Nachhinein von der Politik absegnen.

Bis heute gibt es noch nicht einmal ein ordentliches Wald- und Bodenkataster: Die Gemeinden sind vielerorts tatsächlich noch auf uralte Pläne aus osmanischer Zeit angewiesen. ,,Und wenn du ein Auge auf ein Stück Land im Gebiet von Attika geworfen hast, dann behauptest du einfach, es läge nebenan in Gerotsakouli'', erklärte unlängst der Bürgermeister von Vrilissia, Konstantin Ioannidis, die Praktiken der Spekulanten. Die Regierung Karamanlis erregte erst zu Beginn des Sommers den Ärger ihrer Kritiker, als sie daran gehen wollte, den Artikel 24 der Verfassung zu ändern: Sie wollte die Erschließung von Land erlauben, das bis 1975 noch als Waldgebiet eingestuft war.

Briefe von der Feuerwehr

Die Regierung hat versagt. Als Pasok-Chef Papandreou Ende Juli - da brannten die Wälder schon fünf Wochen - die Konservativen zu einem Waldbrand-Gipfel aufrief, ließen sie ihn abblitzen und sagten, der Oppositionschef ,,übertreibe'' den Ernst der Lage. Wenig später enthüllte die linke Zeitung Eleftherotypia, dass die Regierung erst 2006 die komplette Führungsspitze der Feuerwehr ausgewechselt hatte. Erfahrene ältere Beamte waren offenbar durch junge Karamanlis-Gefolgsleute ersetzt worden.

Am Sonntag wurde ein schon älteres Beschwerdeschreiben der Feuerwehr von Sparta an das Ministerium für öffentliche Ordnung bekannt. So viele offene Stellen seien nicht besetzt worden, klagt der Kommandant, dass ein ordentlicher Dienst nicht mehr möglich sei, zudem seien die meisten Feuerwehrautos mehr als 15 Jahre alt und wegen ständiger Reparaturen nicht einsatzbereit - Missstände, die offenbar aufs ganze Land übertragbar sind.

Am 16.September sollen Wahlen stattfinden, wird die Regierung dann abgestraft? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Die Griechen kennen ihre Politiker. Mehr als zwei Drittel haben bei einer Umfrage im Juli angegeben, die oppositionelle Pasok hätte die Krise keinen Deut besser gehandhabt. Vor Karamanlis hat die Pasok das Land zwei Jahrzehnte lang regiert, nach ähnlichem Muster. Staatspräsident Karolos Papoulias verlangt nun eine ,,Umweltschutz-Demokratie''.

Doch Forstlobbyist Nikolaus Antonoglou wies in einem Gespräch mit der Athen News auf das alte Gesetz hin, wonach abgebranntes Waldland umgehend wieder aufgeforstet werden muss. In den letzten 30 Jahren sind eine Million Hektar abgebrannt, davon wurden nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums weniger als 150000 neu bepflanzt. Antonoglou resigniert: ,,Kennen Sie irgendein Gesetz in Griechenland, das befolgt würde?''

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