Glamorama:Göttinnen niesen nicht

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Gesangs-Zaubergöttin aus Houston: Beyoncé Knowles-Carter, 34.

(Foto: Foto: AFP)

Die Sängerin Beyoncé zeigt auf der Bühne eine menschliche Regung, und die Welt ist begeistert. Hätte sie sich nicht zusammenreißen können?

Von Hilmar Klute

Weil die meisten von uns so irdisch daherkommen wie Maulwürfe, verehren die meisten von uns Göttinnen. Ja, Göttinnen mehr noch als Götter, denn die Götter haben immer etwas Anmaßendes; sie wollen herrschen, während die Göttinnen in der Regel nur atemberaubend sein möchten. Schnell mal die Göttinnen der letzten drei-, viertausend Jahre checken: Nofretete, Spitzengöttin, geheimnisvoll, seltsame Mütze auf dem Kopf, zieht immer noch Unzählige auf die Berliner Museumsinsel. Maria Callas, dunkel-entrückte Diva: Wer zu hören versteht, erkennt in ihren Aufnahmen geheime Botschaften aus dem Olymp. Marlene Dietrich, Premiumgöttin mit sympathisch distanziertem Verhältnis zu Deutschland; mochte eigentlich nur Berlin wirklich gerne, starb aber dann doch lieber in Paris. Greta Garbo, nordisch unterkühlte Top-Göttin, die ihre Göttlichkeit gewissermaßen als Berufsbezeichnung führte. Und natürlich Beyoncé, Gesangs-Zaubergöttin aus Houston, eine der besten Sängerinnen dieser Welt, nicht verhandelbare Größe, makellose Ästhetik, hochklassige Aura - bis vor drei Tagen. Da hat Beyoncé bei einem Konzert plötzlich niesen müssen. Sie tat es nicht wie die Idioten in der Bahn, die einfach in der vagen Hoffnung losniesen, ihre Bakterien würden schon den richtigen Adressaten finden. Nein, Beyoncé nieste in ihre Armbeuge wie eine Hofdame, sie arbeitete mit Sichtblende, mit hygienischem Filter, anders gesagt: Sie nieste exakt so, als hätte sie gewünscht, niemals niesen zu müssen. Und, um es frei heraus und ohne vorgehaltene Hand zu sagen: Wir anderen wünschten dasselbe. Zum Teufel mit den durchschnittlichen Fan-Darstellern, die jetzt ganz gerührt sind von der überraschenden Nahbarkeit der Göttin, dem erbärmlichen Sie-ist-auch-nur-ein-Mensch-der-niest-Pathos derer, die alles auf ihren eigenen kleinen Nenner herunterbrechen wollen. Eine Göttin niest nicht. Eine Göttin besteht nicht aus Fleisch und Blut und sie belästigt uns um keinen Preis mit profanen Regelverletzungen, zu denen wir selber auch ohne Weiteres fähig wären. Denn niesen kann schließlich jeder; sich zusammenreißen und die Würde der Makellosigkeit aufrechterhalten, das können nur verzauberte Wunschgestalten wie Beyoncé, die wir ja schließlich dafür bezahlen, dass sie dem menschlichen Elend, der Hinfälligkeit und der Unschicklichkeit ihre körperlose Vollkommenheit entgegensetzen.

Die Nies-Affäre stand übrigens in einem Zusammenhang mit einer weiteren Entzauberungs-Formel. Beyoncé trat auch bei den amerikanischen Modedesignern in New York auf - stilistisch perfekt in Distanz gebietendem Nadelstreifenanzug und krönendem Hut. Aber sie sang dort nicht. Was tat sie stattdessen? Sie plauderte im Wortsinn aus dem Nähkästchen. Ihre Großmutter sei Näherin gewesen, erzählte sie. Also haben wir das wirklich richtig verstanden: Ihre Großmutter war nicht Diana oder Proserpina oder Olympia? Sondern wirklich nur eine einfache Näherin aus Texas oder woher auch immer? Auch wenn es die Wahrheit ist, Beyoncé hätte sie der Welt niemals verraten dürfen. Beyoncé hätte unbedingt schweigen sollen, oder in Gottes Namen niesen, wenn es gar nicht anders geht.

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