Glamorama:Glitzerfasernackt

Marilyn Monroe Singing 'Happy Birthday' to JFK

Geheimnisvolles Nichts: Marilyn Monroe 1962 im Geburtstagskleid.

(Foto: Bettmann Archive)

Früher hatten die Skandale noch mehr Stil - weil man nicht dauernd Brustwarzen oder Popofalten gesehen hat, sondern die Nacktheit nur angedeutet war.

Von Nadeschda Scharfenberg

Die Erkenntnis ist bitter, aber ein Blick auf das Weltgeschehen lässt keinen anderen Schluss zu als diesen: Früher hatte einfach alles mehr Stil. Die US-Präsidentengattinnen, die Autokonzerne, die Skandale. Die US-Präsidentengattinnen schrieben ihre Reden selber, die Autokonzerne standen für Freiheit und nicht für Bescheißerei, und die Skandale beziehungsweise die Menschen, die die Skandale auslösten, kamen nicht mit dem Holzhammer daher, sondern verstanden sich auf die hohe Kunst der Andeutung.

Bestes Beispiel für den Skandal mit Stil ist Marilyn Monroe, die dem US-Präsidenten Kennedy, dessen Gattin eine Stilikone war, am 19. Mai 1962 ein öffentliches Geburtstagsständchen hauchte, obwohl dieser erst zehn Tage später Geburtstag hatte. Dieser Terminfauxpas war aber nicht der Skandal, sondern das Kleid, das die Monroe trug: ein hautfarbenes, mit 2500 Kristallen besetztes Nichts, das so eng war, dass nicht mal ein noch so zartes Höschen drunterpasste, und die Sängerin glitzerfasernackt erscheinen ließ. Der Clou: Die Gäste konnten sehen, dass sie nackt war, ohne die Nacktheit selbst zu Gesicht zu bekommen.

Im Vergleich zu den heutigen Red-Carpet-Nackideis hielt sich Marilyn Monroe sehr bedeckt. Bei den Dressgates der jüngsten Jahre, sei es bei Miley Cyrus im Netzhemd, sei es bei Heidi Klum mit Rückenausschnitt bis zu den Kniekehlen oder bei Rihanna im Durchsichtig-Look, war immer eine Brustwarze zu sehen, eine Popofalte oder gleich die ganze nackte Wahrheit. Während diese Stars mit ihren Outfits herausschreien: Wir! Sind! Interessant!, ist die Botschaft des Geburtstagskleides von 1962: Ich bin geheimnisvoll. Haben die Sängerin und der Präsident eine Liebelei? Wer weiß . . .

Ein Kleid sagt mehr als viele Worte. Und wenn es doch der Worte bedarf, um den Hintersinn des Kleides zu erklären, dann ist der Skandal missglückt. Wie bei Lady Gagas Fleischkleid von 2010, mit dem sie nicht etwa die Fleischindustrie oder das Vegetariertum kritisieren wollte, sondern - ja, was eigentlich? Ihre Erklärung: "Wenn wir nicht für unsere Rechte kämpfen, haben wir bald nicht mehr Rechte als das Fleisch auf unseren Knochen." Das Kleid wurde, bevor es der Verwesung anheim fiel, präpariert und geruchsneutral in ein Museum gehängt.

Marilyns Geburtstagsdress ist in der Nacht zu Freitag für 4,8 Millionen Dollar versteigert worden. Für ein Kleid, das undurchsichtig und kristallklar zugleich ist, ist das doch wirklich ein Schnäppchen.

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