Giorgio Armani und seine Mode:Kriminell schön

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Bei seiner Mode steht oft eine Null mehr vor dem Komma. Aber das ist spätestens vergessen, wenn man aus der Umkleide vor den Spiegel tritt. Giorgio Armani, der italienische Modeschöpfer, wird 70 Jahre alt.

Von Andrian Kreye

Man darf so einen Anzug nicht unterschätzen. Für die Börsenjockeys an der Wall Street ist der erste Einkauf bei Armani immer noch ein Initiationsritus, mit dem sie nun offiziell in die Welt von Geld, Erfolg und Reichtum eintreten.

Giorgio Armani: "Es geht nicht um den Faltenrock oder den V-Ausschnitt. Es geht um Bilder, die man der Welt gibt." Foto: ddp (Foto: N/A)

Ein Ritterschlag, den sie sich mühsam verdienen mussten. Dazu gehört schon die Anreise aus den engen Schluchten des Bankenviertels im Süden von Manhattan hinauf in die edlen Gefilde der Madison Avenue auf der Upper Eastside.

Es ist der Postbezirk mit dem höchsten Steueraufkommen der Nation, wo die Seitenstraßen mit prächtigen Bürgerhäusern gesäumt sind, die im Schatten der ausladenden Bäume patrizierhaftes Understatement vorgaukeln.

Hierhin verirren sich die Männer aus dem Fußvolk der Finanzwelt nur selten. Sonst verbringen sie ihre Tage unter dem blassen Monitorlicht in den Stollengängen der Bankhäuser und fahren ihren Adrenalinpegel höchstens in einer der lauten irischen Bierkneipen herunter, in denen über dem Tresen stumme Baseballspiele laufen und die breitbeinigen Posen der Gäste darüber hinwegtäuschen, dass sie von den wilden Berg- und Talfahrten der Aktienkurse eigentlich ganz zerzaust sind.

Hier oben an der Madison aber werden sie ruhig. Hier fließt das Geld nicht mehr mit dem Tempo reißenden Wildwassers, sondern mit der behäbigen Macht eines breiten Stromes, und spätestens wenn sie die schwere Türe aufgestemmt und aus der Schwüle eines New Yorker Sommerabends in die kühle Klimazone der spartanisch ausgestatteten Räumlichkeiten getreten sind, spätestens dann dämpft die Ehrfurcht ihren Ungestüm.

Dann fahren ihre Finger über die scharfen Stoffkanten, dann täuschen sie Fachkunde vor, während die Verkäufer sie noch mit verächtlichen Seitenblicken ignorieren.

Das sind wertvolle Minuten, die sie auskosten, ein ganz anderes Einkaufen als unten bei den neonbeleuchteten Discountern des Bankenviertels, bei Syms, Century 21, Men's Wearhouse, wo sie sich sonst nach Börsenschluss aus endlosen Reihen voll gestopfter Hängestangen hastig Rest- und Billigware pflücken.

Die Aura eines Herrenschneiders

Beim Blick aufs Etikett kommt ihnen vielleicht noch ein letzter Zweifel. Bei Armani steht eben eine Null mehr vor dem Komma. Aber das ist spätestens vergessen, wenn sie aus der Umkleide vor den Spiegel treten.

Jetzt zeigt sich, was am Bügel nur zu ahnen war. Jetzt scheint es für einen Moment, als stünde der weißhaarige Signore Armani persönlich hinter ihnen, der Modezar, der sich doch immer noch die vertrauens-erweckende Aura eines Herrenschneiders erhalten hat, der weiß, was Männer von einem Anzug erwarten.

Haltung, Form, Stil und Klasse soll er ihnen verleihen, jene Aura von lässiger Autorität, wie sie Männer verströmen, die die Stromschnellen der ersten Million längst hinter sich gelassen haben.

"Typen in Zweitausenddollaranzügen"

Und genau das tut der Anzug in diesem Moment vor dem Spiegel. Fällt locker von den Schultern und hält trotzdem Linie, fältelt sich leicht um die abgestoßenen Budapester, die nun plötzlich so schäbig und deplaciert wirken wie der ausrasierte Zehndollar-Haarschnitt.

Lässt Raum für Gesten, ganz anders als die steifgebügelten Alltags-zwirne, deren Schultern sich unter dem Gewicht der Laptoptaschen verziehen und deren Hosenbeine im Sitzen über den Sockenrand rutschen.

Jetzt sehen sie den Mann vor sich, der sie immer sein wollten. Jetzt gehören sie zu jenen Auserwählten, die sie in New York mit einer Mischung aus klassenkämpferischer Verachtung und Respekt die "Typen in ihren Zweitausenddollaranzügen" nennen.

Zu diesem Erlebnis gehört natürlich auch ein gewisses Maß an Gaukelei, und darauf versteht sich niemand so gut wie Giorgio Armani. Sicher, da gibt es endlose Designtheorien über die Dekonstruktion der Herren-jacketts, die er mit seiner ersten Kollektion 1974 begann, aber das wahre Geheimnis von Giorgio Armani besteht darin, dass er den Trägern seiner Anzüge das Gefühl vermittelt, gleichzeitig so eindrucksvoll wie ein Industriekapitän und so sexy wie ein Filmstar zu sein.

Aus der Vergangenheit schöpfen

Das kann nur, wer die Stile, Formen und Klischees beherrscht und aus der Vergangenheit schöpfen kann. Das kann Armani wie kein zweiter, denn kaum ein Couturier hat die Kraft des Kinos so gut verstanden, wie Armani.

Als Filmausstatter beweist er regelmäßig, dass er die Vergangenheit beherrscht. Der Stil der Cops und Gangster in "Untouchables", Sam Shepards lässige Eleganz in "Homo Faber", und in diesem Kinosommer rechtzeitig zu seinem 70. Geburtstag — der endgültige Ritterschlag aus Hollywood.

Giorgio Armani durfte "De-Lovely" ausstatten, den Film, der die Geschichte von Cole Porter erzählt, jenes Komponisten, der einen guten Teil der klassischen amerikanischen Songs geschrieben hat — "Night and Day", "I Get A Kick Out Of You", "Begin the Beguine", jenes Komponisten, der Generationen von Hollywoodstars als Stilikone diente.

Da konnte Giorgio Armani aus dem Vollen schöpfen, konnte mit zweireihigen Smokings und breitschultrigen Blazern, mit wallenden Leinenhosen, Einstecktüchern und mit Ascots spielen.

Ein ordentlicher Anzug

Doch einen guten Teil der Vergangenheit hat Giorgio Armani ja selbst geschaffen. Mit Richard Gere in dem Film "American Gigolo" fing es an, mit einer Mischung aus teurem Stil und teurem Sex.

Dann folgte die Kurskorrektur bei "Miami Vice", wo Don Johnson und Philip Michael Thomas Armanis Dekonstruktion mit herben Machismo auf die Spitze trieben, unterm Jackett hundert-Dollar-T-Shirts trugen und die Ärmel hochkrempelten.

Und drei Jahre später, als Michael Douglas in der Rolle des arche-typischen Erzkapitalisten Gordon Gekko in Oliver Stones Film "Wall Street" Charlie Sheen zusammenstaucht, er solle sich erst einmal einen ordentlichen Anzug kaufe, da wusste schon jeder, dass er damit Armani meinte.

© SZ vom 10. Juli 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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