Gewalt gegen Zugbegleiter:Angst im Zug

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  • Eine Umfrage unter Zugbegleitern zeigt: Anfeindungen und Gewalt stehen auf der Tagesordnung. Fast zwei Drittel der Schaffner gaben an, schon einmal körperlich angegriffen worden zu sein; 93 Prozent, täglich beschimpft zu werden.
  • Viele Übergriffe werden der Bahn gar nicht erst gemeldet - weil die Schaffner wenig Hoffnung haben, dass ihr Arbeitgeber sich dafür interessiere.

Von Jannis Brühl, Düsseldorf

Sven Schmitte erzählt Horrorgeschichten: Fahrgäste spucken, schlagen, manchmal zücken sie Messer oder Schusswaffen. Auch das Smartphone ist für den Lokführer und Vorsitzenden der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) in Nordrhein-Westfalen eine Waffe: Komme es zum Streit, filmten manche Fahrgäste den Schaffner. Dann stellten sie das Video auf Youtube, mit hämischen Kommentaren und, dank Schildern am Revers der Schaffner, mit vollem Namen. "Mediales Mobbing" nennt Schmitte das. Oft drohten Fahrgäste auch: "Ich weiß, wo du wohnst!" Das ängstige Zugbegleiter vor allem auf Pendlerstrecken, wo ihnen ein aggressiver Fahrgast regelmäßig begegne.

Die GDL hat unter Hunderten ihrer Zugbegleiter in Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland mit dem dichtesten Schienennetz Deutschlands, eine Umfrage durchgeführt, und das Ergebnis ist: Zugbegleiter arbeiten mit der ständigen Angst vor der Eskalation, vor Gewalt durch Fahrgäste. Für Schmitte bestätigen die Zahlen einen landesweiten Trend: "Die Hemmschwelle zur Gewalt sinkt rapide", sagt er. Fast zwei Drittel gaben an, schon einmal körperlich angegriffen worden zu sein; 93 Prozent, täglich beschimpft zu werden.

Das größte Problem aus Sicht der GDL: Im Nahverkehr sind Zugbegleiter oft allein für ganze Züge zuständig. 78 Prozent der Befragten gaben an, sich davor zu fürchten, allein zu arbeiten. Schon ein zweiter Kollege wirke deeskalierend - er ist ein potenzieller Zeuge. Im Gegensatz zur Bahn, die den Kampf gegen die Aggression zur "gesamtgesellschaftlichen Aufgabe" erklärt, sieht Schmitte Arbeitgeber und Landesregierung in der Pflicht. Letztere müsse mehr Geld investieren, damit die Verkehrsverbünde Schichten doppelt besetzen könnten. Die Polizei solle nicht nur bei Demos oder Fußballspielen Präsenz in Zügen zeigen. Dass Nordrhein-Westfalen sich darauf einlässt, ist aber unwahrscheinlich. Dort klagen Beamten besonders über die Arbeitsbelastung und viele Überstunden.

Knapp vier Körperverletzungen am Tag. Oder doch mehr?

Zwei alarmrote Ordner füllen die Antworten der Befragten, sie stehen auf dem Tisch neben Schmitte. Darin stehen die Hilferufe der Kontrolleure: "Ganze Kerle zur Sicherheit" wünscht sich einer, ein anderer schrieb: "Man will nach jeder Schicht nur heil und in ganzen Stücken zur Familie nach Hause kommen."

Die Bahn hat im März in ihrem Sicherheitsbericht eine Zahl genannt: 1500 Körperverletzungen gegen das Personal habe es 2014 gegeben, ein Viertel mehr als 2013. Schmitte bezweifelt, dass diese Zahl die Realität widerspiegelt, so viele Fälle habe es seiner Schätzung nach ja allein in NRW gegeben. Diese Hochrechnung aus der Umfrage sei zwar statistisch unscharf. Aber viele Übergriffe würden nun einmal gar nicht erst gemeldet - weil die Schaffner wenig Hoffnung hätten, dass ihr Arbeitgeber sich dafür interessiere.

© SZ vom 08.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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