Germanwings-Hinterbliebene gegen Lufthansa:Auch im Trauerfall geht es um Geld

Relatives Remember The Victims of Germanwings Airbus Flight Near To The Crash Site

Angehörige in der Nähe des Absturzortes in Le Vernet in den französischen Alpen.

(Foto: Getty Images)
  • 40 Anwälte vertreten Hinterbliebene der Absturzopfer; die Hälfte kommt aus dem Ausland.
  • 85 000 Euro Schmerzensgeld für enge Angehörige hält die Lufthansa für ein großzügiges Angebot.
  • Nach dem Concorde-Absturz bekamen selbst entferntere Verwandte eine Million.

Von Hans Leyendecker

"Menschen können grausam sein. Anwälte sowieso", hat der Düsseldorfer Anwalt Rüdiger Spormann unter ein Foto geschrieben, auf dem die schwarze Schleife für die 150 Opfer des Germanwings-Flugs 4U 9525 zu sehen ist. Daneben brennt eine Kerze. Wortreich beklagt der Strafrechtler einen "Wettlauf" der Kollegen "um die Opfer", wie er es formuliert. "Wenn Sie mich fragen: Seriös geht anders."

Seine Kanzlei vertrete die Angehörigen bei Strafanzeigen und stehe auch für Nebenklagen zur Verfügung. "Dabei kann es auch um hohe Geldbeträge gehen, die ihnen zustehen, natürlich." Aber: "Menschlichkeit und Respekt vor den Opfern bestimmen unser anwaltliches Handeln." Seine Kanzlei trommle jedenfalls nicht "reklamehaft, um Aufträge zu erhalten". Dieser Anwalt trommelt leise.

40 Anwälte sind registriert

Insgesamt 40 Rechtsvertreter von Angehörigen haben sich bei den Anwälten von Germanwings registrieren lassen. Hinter den Kulissen tobt ein Krieg der Juristen.

Versierte Opferanwälte aus den USA haben deutschen Hinterbliebenen angeboten, die deutsche Luftverkehrsgesellschaft in den USA zu verklagen. Dort sind die Summen, die gezahlt werden, bekanntlich viel höher als in Deutschland. Sehr fraglich ist aber, ob im Fall Germanwings deutsche Hinterbliebene in den USA klagen können.

Insgesamt etwa zwanzig deutsche Anwälte treten derzeit für die Hinterbliebenen der 71 deutschen Opfer auf. Weitere zwanzig Anwälte vertreten die 79 ausländischen Opfer. Auch Juristerei ist ein Geschäft. Und natürlich geht es auch im Trauerfall und bei all dem Leid um eines: um Geld. Die Nullen vor dem Komma zählen.

Eigentlich ist der Umstand, dass zwanzig deutsche Anwälte für die deutschen Opfer im Geschäft sind, etwas überraschend.

Auf dem Papier teilen sich zwei deutsche Kanzleien die Fälle. Die meisten Mandanten, weit mehr als dreißig, hat der Berliner Luftverkehrsrechtler, Professor Elmar D. Giemulla. Auch deutlich mehr als dreißig Mandate hat die Kanzlei des Mönchengladbacher Anwalts Christof Wellens.

Mehrere Anwälte für eine Familie

Wie kommen die restlichen Anwälte noch ins Spiel? Die Lage ist ein bisschen unübersichtlich, weil sogar manche Ehepartner unterschiedliche Anwälte mandatiert haben. So werden Familien von Opfern nicht selten von mehreren Anwälten vertreten.

Wie berechnet man Schmerz, wie entschädigt man für Leid, wie viel ist ein Menschenleben wert? Und wie findet man den richtigen Anwalt? Das sind die wichtigsten Fragen für Germanwings und deren Konzernmutter Lufthansa sowie für die trauernden Angehörigen der Opfer.

Wie viel die Concorde-Angehörigen bekamen

Über die Entschädigung der Hinterbliebenen des vom Copiloten Andreas Lubitz herbeigeführten Absturzes ist ein erbitterter Streit ausgebrochen, der von einigen Anwälten auch in Medien geführt wird. Und Angehörige haben, wie berichtet, mit einem offenen Brief an Lufthansa-Chef Carsten Spohr in den Streit eingegriffen.

Was Germanwings fürs Erste angeboten hat, ist offenbar von vielen Angehörigen als Demütigung empfunden worden: 50 000 Euro Soforthilfe, 25 000 Euro Schmerzensgeld und, bei nahen Angehörigen, noch einmal 10 000 Euro für "unterstellte Gesundheitsschäden".

"Völlig ungenügend" findet Wellens die Offerte. Das Angebot verrate eine "gewisse Hilfslosigkeit", eine "gewisse Ablehnung". Professor Giemulla nennt das Angebot eine "Unverfrorenheit".

Beide Juristen sind auf diesem Gebiet Experten. Beide haben beispielsweise im Jahr 2000 Angehörige der Opfer des Absturzes des Überschallflugzeugs Concorde vertreten. Das Schmerzensgeld lag im Schnitt bei deutlich mehr als einer Million Euro pro Opfer. Auffallend war auch, dass selbst entferntere Verwandte in Frankreich großzügig bedacht wurden. "Fünf bis sechs Hinterbliebene" pro Opfer hätten Geld erhalten, erinnert sich Wellens.

In Frankreich zählen Nähe und Verwandtschaft, was oft nicht dasselbe ist. Tanten, die ihre Neffen großgezogen haben, wurden auch bedacht. Beide Anwälte können auf Anhieb Flugunglücke aufführen, bei denen im Ausland deutlich mehr gezahlt wurde, als jetzt die Lufthansa anbietet.

Die Reaktion des Germanwings-Anwalts

Der Kölner Anwalt Rainer Büsken aus der Kanzlei BLD findet die Diskussion "unsachlich und falsch". Er führt ein Anwaltsteam an, das die Interessen von Germanwings vertritt. BLD steht im Ruf, fachlich exzellent und knallhart zu sein.

Ob das in diesem Fall mit der Härte so ist, wird sich zeigen. Er halte es für "unseriös", sagt Büsken, Fälle aus anderen Ländern heranzuziehen, bei denen angeblich oder tatsächlich "mehr gezahlt" worden sei. Man müsse sich an deutsches Recht halten. Und da sei Germanwings "großzügig". Es gebe auch Länder, da werde "sehr viel weniger gezahlt".

Unter "Germanwings./.Diverse" hat er seine Rechtssicht den Kollegen mitgeteilt: "Soweit für einzelne Mandanten von Ihnen Besonderheiten gelten, erhalten Sie dazu gesonderte Schreiben von uns."

Lufthansa ignoriert internationale Standards

Weil Germanwings seinen Sitz in Deutschland hat, werden Zahlungen für deutsche Angehörige nach deutschem Recht bestimmt werden. Angesichts der aktuellen restriktiven deutschen Rechtslage ist das Angebot vermutlich wirklich großzügig, aber wer verpflichtet die Lufthansa, sich an dieser Rechtslage zu orientieren? Wenn der Gesetzgeber internationale Standards ignoriert, muss das die Lufthansa dann auch machen?

Die Luftfahrtversicherer jedenfalls haben für alle Schäden des Absturzes vorsorglich einen Betrag von rund 300 Millionen Dollar zurückgestellt. Der Betrag kann sich nach unten, aber auch nach oben ändern.

Für die Hinterbliebenen ist das schwer zu verstehen. Bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf ist der Fall noch immer ein Todesermittlungsverfahren. In Frankreich gibt es indes auch ein Unternehmensstrafrecht. In diesen Tagen bekamen deutsche Hinterbliebene deshalb Post vom Amtsgericht Marseille. Drei Untersuchungsrichterinnen teilten mit, bei der "Gerichtsstelle für Kollektivunfälle" sei ein Verfahren wegen Verdachts der "fahrlässigen Tötung durch eine juristische Person" anhängig. Die Geschädigten könnten dem Verfahren als Nebenkläger beitreten.

"Juristische Person" meint Germanwings. Einige Angehörige haben bereits der zuständigen Gerichtskanzlei mitgeteilt, dass sie als Nebenkläger auftreten möchten.

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