Germanwings:"Die Eltern des Copiloten sind uns willkommen"

dpa-Story - Jahrestag Germanwings-Absturz

"Bis heute musste ich für die 150 Toten mehr als 2600 Urkunden unterschreiben": Bernard Bartolini, 64, ist Bürgermeister von Prads-Haute-Bléone. In der Nähe der Gemeinde stürzte der Germanwings-Airbus vor einem Jahr ab.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Bernard Bartolini hat nach dem Germanwings-Unglück alle 150 Sterbeurkunden unterschrieben. Der Bürgermeister von Prads-Haute-Bléone über die Folgen des Absturzes für sein Dorf.

Interview von Christian Wernicke

Die Einwohner von von Le Vernet und Prads-Haute-Bléone, den beiden Dörfern nahe der Unglücksstelle, erwarten an diesem Donnerstag bis zu 900 Trauergäste. Um 10.41 Uhr werden sie alle schweigen, das ist der Moment, als der Germanwings-Airbus am 24. März 2015 in den französischen Alpen zerschellte. Wie damals werden die Einheimischen bereitstehen, mit den Angehörigen zu trauern, sie zu trösten oder ihnen eine Unterkunft anzubieten.

SZ: Monsieur Bartolini, der 24. März, was bedeutet dieses Datum für Sie, für Ihr Dorf?

Bernard Bartolini: Das ist der erste Jahrestag einer schrecklichen Katastrophe, auch für uns. Wir wollen für die Angehörigen, für die Trauernden da sein. Einige der Familien kennen wir mittlerweile recht gut, manche sind unsere Freunde geworden. Darunter finden sich Deutsche und Spanier, aber etwa auch Mexikaner. Wir sind uns nahe, wir schreiben uns Mails, wir telefonieren. Und wir schulden es den Opfern, sich ihrer zu erinnern - immer!

Vor einem Jahr, unmittelbar nach dem Unglück, haben Sie prophezeit: Nichts wird je wieder sein wie zuvor.

Stimmt, so ist es auch. Für uns gibt es ein Vorher und ein Nachher, vor und nach dem Crash. 150 Tote, ich bitte Sie: Meine Gemeinde hat 195 Einwohner! Jedes Mal, wenn ich am Himmel die Spur eines Flugzeugs sehe, denke ich an das Unglück.

Sind Sie seither selbst geflogen?

Ja, ich war in Köln, in Berlin, auch in Barcelona. Aber natürlich denke ich dann sofort an das Unglück. Fast jeden Tag gibt es irgendeinen Anlass. Diese Tragödie hat uns für immer geprägt. Und untereinander näher gebracht, etwa mit unseren Nachbarn in Le Vernet, wo die Gedenkfeier stattfindet. Wir arbeiten Hand in Hand, um die Angehörigen würdig zu begrüßen.

Dennoch hat Ihr Dorf eine eigene Erinnerungsstätte errichtet - in Konkurrenz zum Memorial in Le Vernet?

Nein, nein, wir ergänzen uns. Von unserer Stele führt jetzt ein Weg hinüber in das Tal, wo das Flugzeug aufgeschlagen ist. Dort, am Pass des Col de Mariaud, können Sie innehalten, gedenken. Und danach marschieren Sie weiter nach Le Vernet. Das ist eine sehr schöne Wanderung, dafür brauchen Sie drei, vielleicht vier Stunden.

Die Stele besteht aus 149 Metallstangen. Aber am 24. März 2015 starben 150 Menschen. Den Copiloten Andreas Lubitz, der den Absturz herbeiführte, wollten Sie nicht einbeziehen?

Die Stele stammt von Eric Klein, einem Künstler aus unserer Region. Seine Idee war es, für jedes Opfer einen Stab gen Himmel ragen zu lassen - und wenn der Wind in die Stäbe greift, schlagen sie gegeneinander und machen Geräusche. Inzwischen ist dies unser Ort der Erinnerung, der Besinnung. Die Frage, ob wir 149 oder 150 Stäbe aufstellen, haben wir ausführlich im Gemeinderat diskutiert. Und einstimmig entschieden: Ja, der Copilot ist hier gestorben, aber nein, er war kein Opfer. Zugleich sage ich Ihnen: Die Eltern des Copiloten sind uns willkommen. Ihr Sohn mag etwas Unentschuldbares getan haben. Als Mutter und Vater jedoch leben sie in demselben Schmerz wie alle anderen Eltern.

Sie kennen alle Namen der Opfer auch deshalb, weil sie sämtliche Sterbeurkunden unterschreiben mussten.

Ja, das war meine traurige Pflicht. Als Bürgermeister bin ich der zuständige Standesbeamte, und das Flugzeug ist nun mal auf dem Gebiet unserer Gemeinde aufgeschlagen. Alle brauchten diese Urkunde, die Familien, aber auch die Lufthansa, die Botschaften, die Versicherungen, und so weiter. Bis heute musste ich für die 150 Toten mehr als 2600 Urkunden unterschreiben. Manchmal musste ich auch zweimal ran. Am Anfang wollten wir etwas zu schnell sein, da haben sich kleine Fehler eingeschlichen: Die deutsche Schreibweise mit ihren Umlauten sind wir nicht so gewöhnt.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat Ihnen für Ihren Einsatz das Bundesverdienstkreuz verliehen. Und Sie anschließend zum Fußball-Länderspiel eingeladen.

Ja, das war eine Auszeichnung für das ganze Dorf, nicht nur für mich. Ich erinnere mich genau, denn das war ja am 13. November, dem Tag der Pariser Attentate. Uns ist nichts passiert, aber wir waren im Stadion, als es losging. Ich bin mir bewusst: Voriges Jahr habe ich sehr viel mehr Glück gehabt als manch anderer.

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