Germanwings-Absturz:Alternative Antworten

Pressekonferenz Günter Lubitz

"Unsere Trauer ist speziell": Günter Lubitz am Freitag in Berlin.

(Foto: dpa)

Am zweiten Jahrestag der Germanwings-Katastrophe mit 150 Toten tritt der Vater des Copiloten vor die Presse. Er zweifelt die Version der Ermittler von der Schuld des Sohnes an. Unterstützt wird er von einem Sachverständigen.

Von Verena Mayer

Günter Lubitz sagt, er wolle Gehör finden. Weil er und seine Familie mit massiven Beschimpfungen leben müssten und weil der Name seines Sohnes auftauche, sobald irgendwo auf der Welt ein Attentat geschehe. Vor allem aber wolle er zeigen, dass sein Sohn nicht der war, für den die Öffentlichkeit ihn hält. Nicht depressiv oder lebensmüde, sondern "ein verantwortungsvoller, lebensbejahender und engagierter Mensch". Er sei keiner, der mit Absicht 149 Menschen in einem Flugzeug mit in den Tod gerissen hätte.

Berlin, am Freitag. Zum ersten Mal tritt der Vater des Copiloten Andreas Lubitz vor die Presse. Es ist Viertel vor elf, als Lubitz den Konferenzsaal eines Hotels betritt, genau die Zeit, als vor zwei Jahren die Germanwings-Maschine an einer Bergwand in den französischen Alpen zerschellt war, während Andreas Lubitz im Cockpit saß und weder auf die Schreie in der Kabine reagierte noch auf die Versuche des Piloten, ins Cockpit zu gelangen. Auf der Aufzeichnung des Voice Recorders wird man von ihm später nur Atemgeräusche hören. Die Zeit auch, in der sich am Freitag im südfranzösischen Le Vernet die Angehörigen der Opfer treffen, um an einem Gottesdienst teilzunehmen und ein Denkmal zu enthüllen, eine riesige goldene Kugel mit 149 kleinen Kugeln darin, für jedes Opfer eine. Im Flieger waren auch eine Schulklasse und zwei Babys.

Günter Lubitz, 63, betritt also das Podium, flankiert von zwei Anwälten und einem Sachverständigen. Er legt einen Stapel Akten vor sich, dann sitzt er reglos da. Mit seinem dunklen Anzug, dem grauen Hemd und der runden Brille wirkt er nüchtern wie ein Vorstandsmitglied auf einer Bilanzpressekonferenz. Doch da ist noch der Bildschirm, auf dem eine schwarze Schleife eingeblendet ist, in der "4U9525" steht, die Flugnummer der abgestürzten Maschine.

Günter Lubitz wählt seine Worte sorgfältig, man merkt, dass er sie lange vorbereitet hat. Er sagt, er wolle niemanden verletzen, schon gar nicht die Angehörigen, die zuvor Kritik an ihm und seiner Familie geäußert hatten. Opferanwälte nannten es "unverantwortlich und geschmacklos", genau am Jahrestag des Absturzes die Öffentlichkeit zu suchen. Lubitz sagt, die Reaktionen wären immer die gleichen gewesen, "egal, welchen Tag wir gewählt hätten". Lubitz, studierter Glastechniker, der als Gruppenleiter bei einer Schweizer Firma arbeitet, sagt, er stehe "der Tragödie fassungslos gegenüber" und sei, wie alle anderen, "auf der Suche nach Antworten".

Die soll der Mann liefern, der ebenfalls auf dem Podium sitzt. Der Journalist und Filmemacher Tim van Beveren, der auf Luftfahrt spezialisiert ist und die Ermittlungsakten der französischen und deutschen Behörden durchforstet hat. Van Beveren lässt per Mausklick auf dem Bildschirm ein Foto von Andreas Lubitz in Piloten-Uniform erscheinen, dann beginnt er, aus seinem Gutachten vorzutragen. Die These: Die Behörden hätten sich voreilig auf Suizid festgelegt, der seiner Ansicht nach nicht hinreichend belegt sei. So habe Andreas Lubitz die Cockpit-Tür vielleicht irrtümlich verriegelt, schon zuvor soll es Probleme mit dieser Tür gegeben haben. Der Sinkflug, den er einleitete, nachdem der Pilot das Cockpit verlassen hatte, sei auch dadurch zu erklären, dass es an jenem Vormittag starke Schönwetter-Turbulenzen gegeben habe, die zu der Zeit auch die Piloten anderer Maschinen in niedrigerer Höhe umflogen hätten. Außerdem sei Lubitz nicht depressiv gewesen, als er vor dem Absturz zahlreiche Ärzte konsultierte, darunter Psychiater und Neurologen. Vielmehr habe er Augenprobleme abklären lassen wollen. Würde Lubitz noch leben, wäre dies ein Gerichtsverfahren, so van Beveren, "dann wäre das mit einem Freispruch beendet".

Alldem treten die Behörden entgegen. Es gebe keinen Anlass, an den Ermittlungsergebnissen zu zweifeln, wonach der Absturz "durch eine bewusste, geplante Handlung des Copiloten" verursacht wurde, "der entschieden hatte, Suizid zu begehen, während er alleine im Cockpit war", so ein Sprecher des Verkehrsministeriums. Günter Lubitz, der in den Niederlanden war, als er vom Absturz erfuhr, sagt nichts dazu, Fragen nach der Familie, dem Sohn weist er ab. Er sagt nur, dass er "auf der Suche nach der Wahrheit sei" und weitermachen wolle.

Gefühl mischt sich in die technokratischen Sätze. Das Gefühl eines Vaters, so wirkt es, der sich nicht damit abfinden kann, wie das Leben seines Sohnes endete. Und das von 149 anderen Menschen.

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