Gerichtsposse in Frankreich:Wie Reinigungskraft Thierry T. eine Adelsfamilie um ihr Vermögen brachte

Lesezeit: 4 min

Ein Anwalt der Opferfamilie bezeichnet den Angeklagten als "Leonardo da Vinci der mentalen Manipulation". Die Reinigungskraft Thierry T. schaffte es, zum Guru eines elfköpfigen Hugenotten-Clans zu werden. Die Familie zehn Jahre lang in ihrem Schloss einzusperren - und damit Millionen zu machen.

Stefan Ulrich, Bordeaux

Die Geschichte klingt nach einem Märchen, wenn auch nach einem monströsen: Es war einmal eine reiche Familie aus altem hugenottischen Adel. Die lebte in einem Schloss in Südwestfrankreich nahe dem Städtchen Monflanquin. Eines Tages tauchte ein junger Mann namens Thierry T. auf. Er wurde als Chef einer Reinigungsfirma von einer Frau aus dem Adelsgeschlecht beauftragt. Bald begann er, Gehirne zu waschen.

Großmutter, Kinder und Enkel - insgesamt elf Menschen - gerieten in seinen Bann und wurden allmählich zu Gefangenen im eigenen Haus. Angst und Paranoia überwucherten den Adelssitz wie einst die Ranken das Schloss Dornröschens. Als die Familie, nach fast zehn Jahren, aus ihrem Albtraum erwachte, war sie ruiniert.

Nun muss sich das Landgericht von Bordeaux mit dem bizarren Fall befassen. Dort ist der heute 48 Jahre alte Thierry T. wegen Freiheitsberaubung und Ausbeutung psychisch Abhängiger angeklagt. Immobilien, Geld, Schmuck und Möbel im Gesamtwert von schätzungsweise 4,6 Millionen Euro soll er der Familie V. nach und nach abgeschwatzt haben. Der Staatsanwalt sagt, Thierry T. habe die Schlossbesitzer wie ein Vampir ausgesaugt.

2001 war die feindliche Übernahme der Familie gelungen

Dabei wirkt der schmächtige Mann mit der randlosen Brille im jungenhaften Gesicht weder wie ein Blutsauger noch wie ein Guru. Er selbst stellt sich allerdings als eine Art Übermensch dar.

Von den Habsburgern stamme er ab, und schon im Alter von zwölf Jahren sei er aus einer Transall abgesprungen und habe ein Fallschirmspringerabzeichen erhalten. Später hätte er Tennis- oder Fußballprofi werden können. Doch er erwarb lieber zahlreiche Diplome, unter anderem in Jura und Marketing, wirkte für die Vereinten Nationen und die Nato und verdingte sich als Geheimagent, wobei er ein Vermögen verdiente.

Die Vorsitzende Richterin bezweifelt all das. T. stieß 1999 auf die Familie V. in ihrem Schloss. Intelligent, beredt und psychologisch geschickt, wie er war, gewann er bald das Vertrauen der Adelsfamilie. Laut der Anklage erhob sich Thierry T. zu ihrem Strategie-, Vermögens- und Lebensberater. Und er verstand es, den Clan von sich abhängig zu machen. 2001 soll er ihn bereits beherrscht haben. Die feindliche Übernahme der Familie V. war gelungen.

Relativ schnell, so rekonstruierte die Staatsanwaltschaft, rückte Thierry T. mit einem angeblichen Geheimnis heraus. Er redete der Familie V. ein, sie werde von einer Verschwörung bedroht, hinter der - die Mischung macht's - Freimaurer, Pädophile und Rosenkreuzer steckten. Er, Thierry T., werde das Adelsgeschlecht retten. Die V.'s sollten sich seinen Anordnungen unterwerfen, so wenig Kontakt wie möglich mit anderen Menschen pflegen und sich in ihrem Schloss einigeln. Er werde ihr Vermögen in Sicherheit bringen.

Die Familie V. - und nun wird es wirklich märchenhaft - glaubte dem großen Manipulator. Und sie folgte ihm. "Wir lebten in einer totalen Paranoia, mit einer Art Psycho-Pistole an der Schläfe", beschrieb es die Zeugin Diane V. jetzt im Prozess. Eine andere Familienangehörige sagte: "Thierry T. hat uns in Untermenschen verwandelt. Wir waren in einer anderen Welt und physisch wie psychisch sehr erschöpft."

Ein Anwalt der Familienmitglieder beschrieb den Angeklagten als "Leonardo da Vinci der mentalen Manipulation". In der französischen Presse wird er mal als "Guru", mal als "Teufel von Monflanquin" hingestellt. Laut den Aussagen der Familie V. und der Sachverständigen ging er jedenfalls teuflisch vor. Er erspürte Probleme und Eifersüchteleien, wie es sie in jeder Familie gibt, und nützte sie aus. Er säte Misstrauen zwischen den Verwandten, redete den einen ein, sie würden von ihrem Partner betrogen, und anderen, sie seien von ihren Eltern missbraucht worden. Einem besonders gläubigen jungen Mann aus dem Adelshaus machte er weiß, dieser habe pädophile Neigungen und müsse daher monatelang in Isolation leben.

Auch veranlasste Thierry T. einen Teil der Familie, nach Großbritannien zu ziehen und dort in primitiven Verhältnissen nach seinen Anweisungen zu leben. Eine Frau aus der Familie ließ er einsperren und ohne Nahrung tagelang ausharren. So berichtete die Frau es jedenfalls dem Gericht. Manche Familienmitglieder kommunizierten nur noch über Thierry V. miteinander. Teile und herrsche, nannten die alten Römer diese Strategie.

Nicht nur dem Gericht drängt sich die Frage auf: Wie konnte die Familie V. in solcher Weise auf diesen Mann reinfallen? Der Psychiater Daniel Zagury, der als Sachverständiger beauftragt wurde, rechnete nach dem Studium der Akten damit, es mit "bizarren" Leuten zu tun zu bekommen. Stattdessen stellte er fest: Die V.'s sind "eine ganz normale Familie". Dennoch habe es der Angeklagte geschafft, solche Macht über sie zu bekommen. Thierry T. habe, psychoanalytisch gesprochen, das schutzbedürftige Kind in ihnen angesprochen und sich selbst zum alles dominierenden Vater gemacht.

Gesteuert von einem Hintermann?

T. streitet die Vorwürfe ab. Die Familie V. sei habgierig gewesen und habe schon vor seiner Ankunft Probleme gehabt. Er habe nur helfen wollen. Seine Hinweise auf eine Freimaurer-Verschwörung seien scherzhaft zu verstehen gewesen. Das eigentliche Opfer sei er selbst.

Sein Verteidiger kritisierte, die Medien hätten den Angeklagten vorverurteilt und die Psychiater den Prozess "psychologisiert". Thierry T. habe in seiner Kindheit viele Abenteuerromane gelesen und lebe in einer surrealen Welt. Er habe all das geglaubt, was er der Familie V. erzählte. Zudem sei er von einem Hintermann gesteuert worden.

Staatsanwalt Pierre Bellet ließ sich davon nicht umstimmen. In seinem Plädoyer bezeichnete er Thierry T. als "strategischen Mythomanen, Lügner, Hochstapler" und "übles Subjekt mit ekelhafter Überheblichkeit". Der Angeklagte habe Schwächen ausgenutzt, die in jedem Menschen steckten. Das Gericht solle ihn zur Höchststrafe von zehn Jahren Haft verurteilen. So lange habe er selbst die Familie V. in seinem geistigen Gefängnis gehalten.

© SZ vom 06.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: