Ganz große Gefühle:"Bei Ihnen. Heute Abend. Umsonst"

"Multimediale Konstruktion von Intimität": Was hat eine Flirt-WhatsApp mit dem guten, alten Liebesbrief gemeinsam? Herzensbotschaften und Liebesbriefe im Wandel.

Von Martin Zips

Eine beliebte Frage unter Paaren: "Habt ihr euch früher auch immer Liebesbriefe geschrieben?" Natürlich haben wir. Welche Beziehung beginnt nicht mit schriftlichen Herzensbekundungen, bevor es irgendwann zum Äußersten kommt? (Admiral Nelson im Jahr 1800 an Emma Hamilton: "Ich kann weder essen noch schlafen, weil ich nur an Dich denke, Liebste, ich mag nicht einmal mehr Pudding.") Allein die Art der Übermittlung ändert sich. So fühlte man sich einst als Revolutionär, bloß weil man seine Liebesbotschaften nicht - wie die Eltern noch - per Post, sondern bereits per Fax versandte. Und jede auf Thermopapier eingetroffene Antwort wurde sofort archiviert. Heute besteht der Liebesbrief-Ordner nur noch aus mehreren Dutzend leerer Seiten. Thermopapier ist ein flüchtiges Medium. Oft flüchtiger als die Liebe selbst.

In Koblenz fand dieser Tage der 3. Kongress der Gesellschaft für Angewandte Linguistik statt. 300 Sprachwissenschaftler aus 20 Nationen waren gekommen, um sich bei zwölf Symposien und 120 Vorträgen zum Thema "Sprachkulturen" auszutauschen. So gab es in Raum F 313 eine "interdisziplinäre Gesprächsrunde" zur "sprachlichen und multimodalen Konstruktion von Intimität". Kurz: Liebesgedöns. (Heinrich VIII. 1526 an Anna Boleyn: "Ich wünsche mich besonders am Abend in die Arme meines Schatzes, dessen hübsche Brüste ich bald zu küssen hoffe.") Germanistin Eva Lia Wyss, die in Koblenz ein Archiv mit 15 000 Liebesbotschaften aus fast allen Epochen leitet, führte ins Thema ein. Eine Ausstellung (einige Exponate finden sich auf dieser Seite) flankierte das Thema. Die Quintessenz: So viel romantischer Austausch wie heute war nie. Schließlich trägt jeder den anderen in der Hosentasche mit sich herum und tippt und schickt, was das Display hält. Selbstverständlich versucht auch der Digital-Schwärmer mit sprachlicher Eleganz, Humor und Poesie zu punkten.

Kurz, knackig, keck - das war noch nie ein Widerspruch. Um das Jahr 1840 schrieb der Prinz de Joinville der Schauspielerin Rachel Felix (zum Glück nicht als Thermofax) diese Worte: "Wo? Wann? Wie viel?" Ihre Antwort: "Bei Ihnen. Heute Abend. Umsonst."

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