Gaffer:Wir gucken alle hin

Schaulust gab es immer, doch mit dem Smartphone kommt eine neue Dimension hinzu.

Von Thomas Steinfeld

Der Gaffer ist, so scheint es, ein besonders dummer Mensch. Kaum ist etwas passiert, läuft der Schaulustige an den Ort des Geschehens und guckt sich an, was dort kaputtgegangen ist. Er kennt keine Diskretion und kein Mitleid, sondern genießt den Schrecken, insofern es nicht sein eigener ist: Mit weit geöffneten Augen steht er da, zu keinem anderen Zweck, als das Ereignis wahrzunehmen. Und weil ihm das Bedürfnis nach Wahrnehmung so dringend ist, dass alle anderen Interessen dahinter zurücktreten, bemerkt er nicht, dass er vielleicht helfen könnte. Außerdem steht er den Menschen, die helfen wollen, im Wege, er behindert die Rettungskräfte, es fällt ihm nicht ein, dass Krankenwagen und Feuerwehrfahrzeuge einen Weg brauchen, um an den Ort des schrecklichen Ereignisses zu gelangen. Stattdessen zückt er sein Mobiltelefon und hält, der Steigerung seiner Wahrnehmung wegen, das Geschehen auch noch in Bildern fest. Zugleich dokumentiert er damit, dass das Geschehene nicht nur stattgefunden hat, sondern dass er selbst zum unmittelbaren Zeugen des Geschehens wurde. Vielleicht freut er sich in diesem Augenblick sogar, dass nicht er, sondern ein anderer Mensch zum Opfer eines schrecklichen Ereignisses wurde, was bedeuten würde, dass die Schaulust auch eine Art Rettungsfantasie wäre. Möglicherweise wehren sich manche Gaffer deswegen gegen das Eingreifen der Rettungskräfte. Aber das weiß man nicht, weil Gaffer in der Regel über die Gründe ihres Verhaltens nichts zu sagen wissen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: