Freispruch für Amanda Knox:Die Geister, die sie riefen

Mord, Sex und eine schöne Amerikanerin: Im Revisionsprozess gegen Amanda Knox spielten Anklage und Verteidigung auf gefährliche Weise mit Emotionen und Vorurteilen. Die Odyssee der nun vom Mordverdacht freigesprochenen Knox hält zwei wichtige Lehren parat.

Stefan Kornelius

Zum amerikanischen College-Mythos gehört das junior year abroad, das Jahr im Ausland. Ein Jahr raus aus dem reglementierten, verschulten Universitätssystem der USA, ein Jahr raus aus dem streng geschnürten Verhaltenskorsett, mit dem die Gesellschaft gerade den jungen Leuten die Luft abschnürt. Das Auslandsjahr riecht nach Freiheit, nach Kultur, nach Abenteuer - für die Studentin Amanda Knox aus Seattle roch es vier Jahre lang nach Gefängnis.

Italien hat selten einen so spektakulären Mordprozess erlebt wie das Verfahren gegen Amanda Knox und den italienischen Studenten Raffaele Sollecito. Dafür gibt es viele Gründe, die sich in ihrer Kombination zu einem Drama in Echtzeit fügten: ein bestialischer Mord, sehr junge und sehr gut aussehende Verdächtige, Sex, Drogen, die mittelalterliche Kulisse Perugias, der Zusammenprall der amerikanischen College-Kultur mit einem wenig versteckten Antiamerikanismus in Italien.

In den vier Jahren seit der Tat konnte sich so eine Dramaturgie entfalten, die besser war als alle Fiktion: Kulisse, Tat und die Akteure stimmten, Perugia ist nicht zufällig ein bevorzugter Schauplatz in der Literatur. Perugia ist aber auch nur eine normale Stadt in Italien, weshalb nach dem geradezu zwingenden Freispruch für die beiden jungen Leute nach einer Erklärung gesucht wird für diesen gewaltigen Justizirrtum. Sind Justizpannen dieses Kalibers also überall möglich in Italien?

Zwei wichtige Lehren hält die Odyssee der Mordverdächtigen parat. Sie gelten nicht nur für Italien, sondern auch für die USA oder andere demokratische Länder. Erstens: Pauschalisierungen helfen nicht weiter, vor allem wenn sie mit Hilfe eines Systemvergleichs angestellt werden - Justizirrtümer passieren überall, auch in den USA. Und zweitens: Komplexe Verfahren wie ein Indizienprozess in einem Mordfall brauchen Ruhe und Besonnenheit, keinen Krawall.

Wer nun also auf das italienische Rechtssystem deutet, von mittelalterlichen Strukturen und mafiösen Verbindungen spricht, der bedient zwar Klischees, beschreibt aber nicht die eigentlichen Probleme im Knox-Prozess. Dort sind die Fehler vor allem bei den Akteuren im Verfahren zu finden. Die Beweiserhebung gegen die beiden Studenten war von Beginn an verkorkst, was der Staatsanwaltschaft und den Ermittlern zuzuschreiben war.

Ein systemisches Problem zeigt sich darin nicht unbedingt. In Italien werden sehr erfolgreich große Verfahren gegen die organisierte Kriminalität geführt und die Justiz ermittelt gegen Verfehlungen in der Politik. Ja, in den USA sind die Strafverfahren anders organisiert, und ja, die Indizienschlamperei wäre in fast jedem Rechtsstaat vielleicht schon früher aufgeflogen.

Deswegen ist das italienische Rechtssystem noch lange nicht in toto diskreditiert, auch wenn die Regierung den Fall zum Anlass nehmen sollte, über Zuständigkeiten in einem verwirrend komplizierten Apparat und über das Niveau der Kriminalistik im Land nachzudenken.

Viel schwerer wiegt, dass in einem an Emotionen wahrlich nicht armen Fall die Staatsanwaltschaft auf der Klaviatur der Vorurteile spielte, statt zu dämpfen und zu versachlichen. Umgekehrt entfachte die Familie der amerikanischen Verdächtigen eine Kampagne, die sich geradezu erging in Klischees. Emotionen sind Gift in einem schwierigen Strafverfahren, und ein Staatsanwalt handelt fahrlässig, wenn er sie weiter schürt.

Der italienische Justizapparat muss deswegen die letzte Revision sorgsam planen und die Wucht der überprüfbaren Argumente wirken lassen, wenn er die Geister bändigen will, die sich im Fall Amanda Knox und Raffaele Sollecito wecken ließen. In Perugia geht es um die Aufklärung eines brutalen Mordes, nicht um nationale Rechthaberei, die Überlegenheit der Systeme oder literarische Phantasien. Denn aufgeklärt ist diese Tat noch lange nicht.

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