Frankreich:Wann ist ein Held ein Held?

Frankreich: Mamoudou Gassama rettete ein Kleinkind, wenig später erwirkte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für ihn die Einbürgerung.

Mamoudou Gassama rettete ein Kleinkind, wenig später erwirkte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für ihn die Einbürgerung.

(Foto: AFP)
  • Vergangene Woche ist ein 22-Jähriger in Frankreich zum Helden geworden, weil er ein Kind gerettet hat, das drohte von einem Balkon zu stürzen.
  • Dem Flüchtling aus Mali wurde daraufhin die Staatsbürgerschaft verliehen.
  • Nun hat sich ein Mann in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet, weil er vor drei Jahren zwei Kinder aus einer brennenden Wohnung rettete, aber keine Staatsbürgerschaft bekam.

Von Nadia Pantel

Nachdem Aymen zwei Leben gerettet hatte, ging er nach Hause. Es war der 10. April 2015, ein Freitag, der junge Tunesier hatte eine Frau um Hilfe schreien gehört. Ihre Küche stand in Flammen, ihre zwei kleinen Kinder waren in der Wohnung eingeschlossen. Gemeinsam mit zwei Freunden kämpfte Aymen sich durch den Rauch. Er trug die Kinder ins Freie.

Sein Mut und seine Hilfsbereitschaft brachten dem jungen Mann damals die Ehrenmedaille der Stadt Fosses ein, einer Gemeinde nördlich von Paris. Heute ist Aymen, der Interviews nur unter seinem Vornamen gibt, 25 Jahre alt. Seine Aufenthaltsgenehmigung wurde nicht verlängert, ein Abschiebebescheid erlassen.

Man könnte nun fragen, was diese beiden Umstände überhaupt miteinander zu tun haben. Schließlich hängen die Entscheidungen der Asylbehörde nicht von Charakterfragen ab. Solange man sich an die Gesetze hält, kann man so feige, geizig oder unsympathisch sein, wie man will. Und auch so heldenhaft, wie man will.

Die Umstände sind aber trotzdem wichtig, und das hat mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron persönlich zu tun, der vergangene Woche mit großer Geste die Staatsbürgerschaft verliehen hat, als wäre sie ein Blumenstrauß. Etwas, das man zur Belohnung für eine gute Tat bekommt.

Macrons glücklicher Ehrenfranzose heißt Mamoudou Gassama. Er wurde weltweit als "Spider-Man von Paris" bekannt, nachdem Gassama eine Fassade hochgeklettert war und ein Kind davor bewahrt hatte, von der Balustrade eines Balkons zu stürzen.

Ein Video seiner Kletterkünste wurde im Internet tausendfach geteilt. Zwei Tage nach seiner Tat, am 28. Mai, wurde der bis dahin illegal in Frankreich lebende Gassama in den Élysée-Palast eingeladen. Macron schüttelte dem 22-jährigen Mann aus Mali strahlend die Hand und erwirkte für ihn in präsidialer Express-Geschwindigkeit die Einbürgerung.

"Muss man ein Baby retten, zwei Babys retten?", fragt die Anwältin

Auf genau diesen Fall bezog sich jetzt auch die Anwältin des glückloseren Helden Aymen. In einem Interview mit dem Fernsehsender BFMTV sagte Philippine Parastatis am Montag, dass sie im Namen ihres Klienten einige Fragen an den französischen Präsident Macron habe: "Gibt es eine Skala, auf der sich Mut bemisst?

Muss man ein Baby retten, zwei Babys retten? Womit verdient man sich eine ausnahmsweise Aufenthaltsgenehmigung?" Parastasis fordert die Behörden auf, den Abschiebebescheid für Aymen zurückzuziehen. Der Parisien berichtet, der Bürgermeister von Fosses habe sich bereits 2017 dafür eingesetzt, dass sich Aymen, gelernter Informatiker, ein Leben in Frankreich aufbauen darf. Damals ohne Erfolg.

Es ist nun allerdings nicht so, als hätte Macron mit der Einbürgerung Gassamas einen nie dagewesenen Präzedenzfall geschaffen. Es ist eher so: Die französische Staatsbürgerschaft wurde in den vergangenen Jahren zu etwas wie dem Bundesverdienstkreuz für Einwanderer.

So wurde sie an den algerischen Türsteher des Bataclan verliehen, der während des islamistischen Terroranschlags am 13. November 2015 immer wieder zurück in die Konzerthalle ging, um Menschen zum Notausgang zu führen. Doch um "Didi", der nicht mit echtem Namen in den Medien stehen möchte, zum Franzosen zu machen, brauchte es eine Petition mit 100 000 Unterschriften.

Auch nach der Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt in Paris am 7. Januar 2015 wurde ein bis dahin nur geduldeter Mann aus Mali zum Franzosen erklärt. Lassana Bathily wurde zum Helden der Stunde, weil Medien schrieben, dass er einige der Geiseln gerettet hätte. Bathily selbst hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Berichte über ihn deutlich übertrieben. Staatsbürger wurde er dennoch.

Das französische Asylgesetz sieht vor, dass "Ausnahmebegründungen" angeführt werden können, um Flüchtlingen und Migranten den Aufenthalt in Frankreich zu gewähren. In ganz besonderen Fällen, wie bei Spider-Man Gassama oder Bathily, kann sogar die Staatsbürgerschaft verliehen werden, um - laut Gesetz - den "Dienst für die Gemeinschaft" zu würdigen. Das Innenministerium gibt an, dass diese Regelung 2017 in fünf Fällen angewendet wurde. Gleichzeitig schreibt das Gesetz fest, dass die Einbürgerung nicht an bestimmte Leistungen gebunden ist.

Für den von der Abschiebung bedrohten Tunesier Aymen setzte sich nicht nur seine Anwältin ein, sondern auch die Mutter der Kinder, die er gerettet hat. "Ich hoffe, dass er anerkannt wird. Aber es hat natürlich eine andere Wirkung, wenn man so eine Heldentat auch sieht", sagte sie BFMTV.

Vielleicht wäre Aymen niemals mit Abschiebung gedroht worden, wenn jemand die Rettung gefilmt hätte. Vielleicht wäre er dann ein Held geworden, den Frankreich sofort für sich vereinnahmt hätte. Tatsächlich war der junge Mann nach seiner Tat so schnell verschwunden, dass die Mutter einen öffentlichen Aufruf starten musste, um ihn zu finden.

Man werde den Fall neu prüfen, hieß es zuletzt von den Behörden. Am Dienstag dann überraschend schnell die Meldung von der zuständigen Präfektur, wie die Zeitung Le Parisien berichtet: Die Abschiebebescheid werde aufgehoben. Zur Begründung hieß es, dem Tunesier sei längst eine Arbeitsstelle in Frankreich angeboten worden. Das ändere die Lage. Außerdem sei die "altruistische Tat" aus dem Jahr 2015 bei der Entscheidung über den Aufenthaltstitel gewürdigt worden.

Sieht ganz so aus, als werde Aymen nun auch zum Helden erkoren - mit Verspätung.

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