Frankreich:Schuldig, aber frei

Hollande begnadigt Möderin Jacqueline Sauvage

435 000 Unterstützer: Jacqueline Sauvage (hier: im Gerichtssaal).

(Foto: Philippe Renaud/dpa)

Nach großem öffentlichem Druck begnadigt Präsident François Hollande eine verurteilte Mörderin.

Von Christian Wernicke, Paris

Am Ende ging alles schneller als erhofft. "Diese Entscheidung ist eine totale Überraschung für uns", sagte Carole Marot, die zweite der drei Töchter von Jacqueline Sauvage, "wir sind einfach überglücklich, unsere Mutter bald wieder bei uns zu haben." Das war am Montagmorgen. Da wusste die Familie bereits seit etwa zwölf Stunden, dass Frankreichs Präsident François Hollande die wegen Mordes an ihrem Ehemann zu zehn Jahren Gefängnis verurteilte Frau begnadigt hatte. Jacqueline Sauvage hatte ihren seit Jahrzehnten gewalttätigen Mann im September 2012 mit drei Schüssen in den Rücken getötet. Sie bleibt schuldig - aber sie kommt frei.

Am Sonntagabend hatte Hollande zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen zur Audienz in den Élysée-Palast gebeten wegen der "Causa Sauvage". Beim ersten Gespräch am Freitagabend hatten vor allem die drei Töchter von Sauvage sprechen dürfen. "Der Präsident ist ein Mann, der sehr gut zuhören kann", lobte Tochter Carole Marot, die wie ihre Schwestern Sylvie und Fabienne leidenschaftlich um Gnade für ihre Mutter baten. Bald darauf teilte Hollande den Anwältinnen knapp mit, dass er deren Mandantin zwei Jahre und vier Monate ihrer Haftstrafe erlasse. Gerade so viel, wie es braucht, um Sauvage aus dem Gefängnis zu holen.

Die Entscheidung des Präsidenten erntete am Montag Lob von fast allen Seiten. "Es ist wunderbar, dass er das getan hat", jubelte Eva Darlan. Die Schauspielerin gehörte zu den Initiatoren einer Petition, die im Internet mehr als 435 000 Franzosen unterschrieben hatten. Politiker aus allen Parteien hatten das Gnadengesuch für die Mörderin unterstützt. Aus prinzipiellen Gründen - das präsidentielle Gnadenprivileg ist ein Relikt aus monarchischen Zeiten - hatte Hollande zwar gezögert. Aber als Politiker, auf den in 14 Monaten Neuwahlen lauern, überwand er diese Skrupel. Als Lehre aus dem Fall wollen mehrere Politiker nun das Strafrecht reformieren und Frauen ein Recht auf "legitime Selbstverteidigung mit Verzögerung" zubilligen.

Sauvage hat im Gefängnis in den Nachrichten von Hollandes Gnade erfahren. Sie sitzt seit 12. September 2012 hinter Gittern, seit jenem Tag, da alles geschah: Ihr Mann Norbert Marot hatte sie verprügelt, wie immer in 47 Jahren Ehe. Diesmal aber holte Sauvage die Jagdflinte, trat auf die Terrasse und drückte drei Mal ab. Marot, getroffen in Rücken und Kopf, war sofort tot, die Täterin war sofort geständig. Seither hatten die Töchter, die der Vater ebenfalls über Jahre geschlagen und vergewaltigt hatte, für ihre Mutter gekämpft. Sauvages viertes Kind, Sohn Pascal, hatte sich am Abend vor der Tat aus Verzweiflung über den Vater erhängt. Davon hatte Sauvage erst nach ihrer Verhaftung erfahren.

Sauvage wird nun noch warten müssen, ehe sie wieder bei ihren Töchtern leben darf. Frankreichs Strafvollzug verlangt bei Haftstrafen über zehn Jahren routinemäßig strenge Gutachten über die Gefährlichkeit des Täters und seine Fähigkeit, sich wieder einzugliedern. Diese Prozeduren werden sich mindestens sechs Wochen hinziehen, manchmal dauern sie sogar sechs Monate.

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