Frankreich:Vermisster Höhlenforscher ist tot

Lange machten sich die Helfer Hoffnungen, denn sie hörten Klopfzeichen: Ein Hobby-Höhlenforscher wurde in der Ardèche-Schlucht vermisst - die spektakuläre Suche bewegte ganz Frankreich. Doch jetzt weiß man: Éric Establie ist ertrunken.

Stefan Ulrich

Sie hielten die Hoffnung bis zuletzt hoch, die Rettungsleute an der südfranzösischen Ardèche-Schlucht. Sie berieten sich mit Geologen, Höhlenforschern und Hydrologen, sprengten Gestein, gruben mit Baggern und Schaufeln, während sich einige Spezialisten immer wieder auf lebensgefährliche Tauchgänge in ein überflutetes, verzweigtes, kaum erkundetes Höhlensystem vorwagten.

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Zwei britische Spezialisten bereiten sich auf den Rettungseinsatz vor - doch der Höhlenforscher Eric Establie konnte nach neun Tagen in einer Höhle in der Ardèche-Region nur noch tot geborgen werden.

(Foto: AFP)

Starke Regenfälle erschwerten die Arbeiten und trübten das Wasser. Dennoch verstärkten die Hilfskräfte am Montag noch einmal ihre Anstrengungen, Éric Establie zu finden. Der 45 Jahre alte Familienvater und Hobby-Höhlenforscher war vor neun Tagen in diesem Unterwasserlabyrinth verschwunden. Die Retter vermuteten, dass er in irgendeiner Luftkammer in etwa 200 Meter Tiefe auf sie wartete. Ganz Frankreich fieberte mit ihnen mit. Am Montag Abend überbrachten zwei britische Taucher dann die Nachricht: Establie ist tot. Ertrunken.

Nässe, Dunkelheit und Kälte

"Unser Ziel ist es, Kontakt zu ihm herzustellen", hatte Éric Zipper, der Chef des französischen Höhlenrettungsdienstes noch gesagt, bevor sich die britischen Taucher auf den Weg machten. Sie und die anderen Retter setzten auf die Erfahrung, den Überlebenswillen und die Stärke des Vermissten. Establie, der eine Firma für Unterwasser-Arbeiten in Cannes betrieb, sei einer der besten Taucher der Welt, versicherte sein Freund und Tauchgefährte Philippe Assailly. Zudem sei er besonnen, kaltblütig und perfekt mit seiner Ausrüstung vertraut. Kurzum: ein Mann, dem es zuzutrauen war, sogar länger als eine Woche allein in Nässe, Dunkelheit und Kälte auszuharren.

In den vergangenen Jahren hatte Establie immer wieder bei der Rettung anderer geholfen. "Er war stets verfügbar, wenn sich eine Aktion schwierig gestaltete", sagte Zipper. 2009 konnte Establie einen anderen Höhlentaucher nur tot aus einem unterirdischen Fluss bergen. Nun ereilt ihn das gleiche Schicksal. In den kommenden Tagen wird man versuchen, seine Leiche an die Oberfläche zu holen.

Establie war am 3. Oktober mit anderen Tauchern in das Höhlenreich der Gorges de l`Ardèche vorgedrungen. Hier, im Nordwesten von Avignon, hat die Ardèche einen tiefen, gewundenen Canyon in ein zerklüftetes Kalkplateau gegraben, ein beliebtes Revier für Kletterer, Kajak-Fahrer und Höhlentaucher. Da das Gestein sehr wasserdurchlässig ist, haben sich unterirdische Bäche und Flüsse gebildet, die ein Gewirr aus Gängen, Kaminen und Grotten ausspülten. Establie hatte in seiner Freizeit Teile dieses Reiches erforscht und galt als einer der besten Kenner der Höhlen. Am 3. Oktober tauchte er mit einem "Scooter", einer Art Unterwasserpropeller, den anderen voraus. Er sollte nicht mehr zurückkehren.

"Starke Vermutung des Ablebens"

Bereits vergangenen Samstag hatte der zuständige Unterpräfekt des Départements von einer "starken Vermutung des Ablebens" gesprochen. Doch dann vernahmen die Rettungskräfte Geräusche, als ob jemand in 200 Meter Tiefe auf ihre Klopfzeichen reagierte. Sie klopften "SOS" - und jemand antwortete. Zudem fanden Taucher an einer Engstelle in dem Unterwassertunnel einen Teil von Establies Ausrüstung, die dieser offenbar gezielt dort hinterlassen hat. Der Höhlenrettungsdienst Spéléo Secours Français sah "ein klares und unbestreitbares Lebenszeichen". Der Gesuchte habe einen Hohlraum ohne Wasser gefunden.

Die Retter versuchten bis zuletzt auf drei verschiedenen Wegen, zu Establie vorzudringen. Sie bohrten von dem Plateau aus in Tag- und Nachtarbeit einen Schacht nach unten, um Lebensmittel und Medikamente zu dem Eingeschlossenen herunterlassen zu können. Zugleich versuchten sie, sich von oben über Felskamine und Spalten bis zu ihm vorzuarbeiten. Außerdem verfolgten Taucher den Weg, den Establie entlang geschwommen ist.

Briefe von den Angehörigen

Sie erkundeten den Unterwassergang 780 Meter weit und stießen auf die Engstelle. Hier hatte abgerutschtes Geröll Establie den Rückweg versperrt und hier wurden die Teile seiner Ausrüstung entdeckt. Die Rettungskräfte vermuteten, dass sich seine Luftkammer hinter diesem Ort befände. Sie hinterließen in einem Behälter ein Funkgerät und Essen für Establie, sowie Briefe seiner Frau und seines Sohnes. Er sollte sie nie lesen.

Am Montag begaben sich die britischen Taucher in das umbratrübe Wasser, um die Engstelle zu umgehen und Establie zu erreichen. Sie fanden seine Leiche 70 Meter hinter dem Geröll-Hindernis. In Frankreich widmen sich etwa 30.000 Menschen dem Erforschen von Höhlen. Sie entdecken jährlich etwa 30 Kilometer im Untergrund ihres Landes neu. Auch wenn ihr Hobby gefährlich ist, kommt es selten zu Unfällen. Nun ist einen der Erfahrensten unter ihnen ertrunken.

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