Frankreich:Geprobter Absturz

Recovery Operations Resume At Crash Site Of Germanwings Flight 4U9525

In den französischen Alpen ließ Andreas Lubitz das Flugzeug mit 150 Menschen abstürzen. Offenbar hatte er die Tat vorab geplant.

(Foto: Thomas Lohnes/Getty Images)

Hat der Copilot des verunglückten Germanwings-Flugzeugs den tödlichen Sinkflug vorab geplant? Neue Ermittlungen zeigen: Er hat die Maschine bereits beim Hinflug immer wieder absinken lassen.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Hat Copilot Andreas Lubitz etwa schon auf dem Hinflug versucht, den Airbus A320 absichtlich abstürzen zu lassen - oder hat er dies zumindest "geübt"? Und hätten sein Kollege, der Kapitän, und der Rest der Besatzung nicht etwas merken und sich dann weigern müssen, den Rückflug gemeinsam mit einem unberechenbaren Piloten anzutreten? Diese beiden drängenden Fragen versuchte die französische Unfalluntersuchungsbehörde BEA mit ihrem ersten, am Mittwoch vorgestellten Zwischenbericht zum Absturz des Germanwings-Airbus am Dienstag zu beantworten.

Der Bericht zum Flug 4U 9525 von Barcelona nach Düsseldorf, bei dem am 24. März alle 150 Menschen an Bord ums Leben gekommen waren, beantwortet die Fragen in erschreckender Deutlichkeit. Schon während des Hinfluges von Düsseldorf nach Barcelona am frühen Morgen drehte Lubitz, der wegen Depressionen behandelt wurde und zeitweise arbeitsunfähig war, mehrmals an dem Rädchen, das dem Autopiloten die Zielflughöhe vorgibt.

Auch beim Hinflug hatte der Kapitän das Cockpit verlassen. Vier Minuten war Lubitz allein

Die an dem Höhenrädchen eingestellten Werte wurden, wie viele andere Parameter, auf dem Flugdatenschreiber gespeichert, den die BEA in den vergangenen Wochen akribisch ausgewertet hat.

Demnach befand sich die Germanwings-Maschine zur fraglichen Zeit gegen 8.20 Uhr auf einer Höhe von 37 000 Fuß, als der Kapitän für gut vier Minuten das Cockpit verließ. 30 Sekunden nachdem er verschwunden war, forderte die Flugsicherung in Bordeaux die Germanwings-Maschine auf, auf 35 000 Fuß zu sinken. Andreas Lubitz war zu diesem Zeitpunkt als einziger Pilot im Cockpit sowohl für die Steuerung des Flugzeuges als auch die Kommunikation mit den Fluglotsen zuständig. Er bestätigte die Anweisung und leitete plangemäß den Sinkflug ein. Bis hierhin: alles Routine.

Doch dann reduzierte der Copilot die Flughöhe für drei Sekunden auf 100 Fuß, nur um sie sofort auf 49 000 Fuß zu verändern und anschließend auf den korrekten Wert von 35 000 Fuß zu stellen - Lubitz drehte also an dem Rad herum. Auf den bereits eingeleiteten Sinkflug hatte das aber keine Auswirkungen, denn er ließ die Sinkrate unverändert und stellte den korrekten Wert rasch wieder ein. Auch die nur für Sekunden gewählte Vorgabe 49 000 Fuß, die einen Steigflug hätte auslösen müssen, blieb deshalb folgenlos. Wenig später wies die Flugsicherung den Germanwings-Jet an, auf 21 000 Fuß zu sinken. Wieder drehte Lubitz am Rad herum und ließ diesmal die Zielhöhe über einen Zeitraum von rund zwei Minuten "die meiste Zeit" auf 100 Fuß. Kurz nach 8.24 Uhr war der Türsummer zu hören, der Copilot entriegelte die Cockpittür, sodass sein Kollege zurückkehren konnte.

Wie nah Lubitz daran war, die Maschine schon beim Hinflug zum Absturz zu bringen, ist nicht zu klären. Die Vermutung, er habe sein Vorhaben zumindest schon einmal durchgespielt, scheint jedoch plausibel. Das Herumdrehen am Knopf gilt unter Piloten als befremdlich. "Wir spielen damit nicht herum", sagt ein A320-Kapitän auf Anfrage. Und bevor Lubitz auf dem Rückflug die A320 dann tatsächlich gegen einen Berg in den südfranzösischen Alpen prallen ließ, hatte er ebenfalls als Zielhöhe für den Autopiloten 100 Fuß eingestellt.

Weil der Kapitän auch beim Hinflug zum betreffenden Zeitpunkt nicht im Cockpit war, hatte er keine Chance, das auffällige Verhalten seines Kollegen zu bemerken. Nicht er, sondern die Flugsicherung am Boden hätte laut Angaben aus dem Untersuchungsbericht etwas davon mitbekommen können.

Die Flugsicherung hätte sehen können, dass die Maschine immer wieder an Höhe verlor

Denn diese hätte die Möglichkeit gehabt, alle Aktionen des Copiloten einzusehen. Die Fluglotsen können sich bei allen mit einem sogenannten Mode-S-Transponder ausgestatteten Maschinen, wie der Germanwings-A320, die von den Piloten gewählte Zielhöhe auf ihrem Radarschirm anzeigen lassen. Normalerweise tun sie das jedoch nicht, da sie dann sehr viele Informationen gleichzeitig auf dem Schirm hätten. Die Lotsen rufen die Information per Mausklick nur dann auf, wenn sie beispielsweise überprüfen wollen, ob die Besatzung an Bord die richtige Höhe eingegeben hat.

Beim Hinflug nach Barcelona gab es keinen Anlass für eine solche Recherche, da die Maschine ja nicht von den vorgegebenen Flughöhen abgewichen war. Derart schnell und stark variierende, folgenlose Zieleingaben von 100 bis 49 000 Fuß hätten auf dem Schirm auch auf einen technischen Defekt oder einen unbedeutenden Übertragungsfehler hindeuten können.

Beim Unglücksflug 4U 9525 hingegen war die Flugsicherung sehr aktiv. Dem BEA-Bericht zufolge versuchte sie auf mehreren unterschiedlichen Frequenzen vergeblich, Kontakt zum Germanwings-Flieger herzustellen. Sie bat auch ein anderes Germanwings-Flugzeug, das zu probieren - vergeblich.

Die im Untersuchungsbericht veröffentlichten neuen Details legen auch nahe, dass Lubitz nicht im Affekt gehandelt hat, sondern das Szenario schon zuvor durchgegangen ist. Dafür sprechen auch Indizien, die Nachforschungen in Deutschland hervorgebracht haben: Lubitz, so heißt es im Bericht, habe sich vorab bereits im Internet über Möglichkeiten einer Selbsttötung informiert.

Der Bericht, der ansonsten viel Bekanntes bestätigt, rekonstruiert auch die letzten Minuten des Fluges detaillierter. Sechs Minuten vor dem Absturz ist der Türsummer zum ersten Mal zu hören, eine halbe Minute später Klopfen, zwei Minuten später "dumpfe Stimmen", die um Einlass bitten. Aber erst 90 Sekunden vor dem Crash sind "starke Schläge" gegen die Tür zu vernehmen, zuletzt 38 Sekunden vor dem Ende der Datenaufzeichnungen. Um 10.41 Uhr und sechs Sekunden stoppte der Rekorder "mit dem Aufschlag im Gelände".

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