Frankreich:Ein Kuss, der viele wütend macht

Frankreich: Frauenfeindlich oder romantisch? Die Skulptur des Künstlers Seward Johnson.

Frauenfeindlich oder romantisch? Die Skulptur des Künstlers Seward Johnson.

(Foto: AP)

Spontane Romantik oder sexuelle Gewalt? Französische Feministinnen fordern den Abriss einer Skulptur in der Normandie, die auf ein bekanntes Foto anspielt. Sie verhöhne alle Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung wurden.

Von Christian Wernicke, Paris

Er gilt als der berühmteste Kuss des 20. Jahrhunderts, und er bewegt die Welt bis heute: "The Kiss", aufgenommen bei Kriegsende im August 1945 während der Freudenfeiern auf dem New Yorker Times Square, ist längst eine fotografische Ikone - und inzwischen ein übergroßes Monument: acht Meter Höhe misst die Skulptur, die die scheinbar leidenschaftliche Begegnung eines US-Marinesoldaten und einer Krankenschwester in Übergröße reproduziert.

Das bunte Werk des amerikanischen Künstlers Seward Johnson steht seit Ende September im französischen Caen, direkt vor den Toren jenes düsteren Memorials, das der Landung der Alliierten vor 70 Jahren in der Normandie gedenkt. Französische Feministinnen geißeln das Monument als Verherrlichung sexueller Gewalt.

Feministinnen erinnern an Vergewaltigungen durch Soldaten

Bis Freitag hatte die Gruppe "Osez le féminisme" ("Wagt den Feminismus") 805 Unterschriften für ihre Petition gesammelt, die den sofortigen Abriss der Skulptur verlangt. Die Frauen fahren schweres Geschütz auf. Sie erinnern an Schätzungen, wonach amerikanische GIs während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich, Großbritannien und Deutschland 14 000 Frauen vergewaltigt hätten.

Und sie warnen, Johnsons Kunstwerk "Unconditional Surrender" (Bedingungslose Kapitulation) verhöhne jene 75 000 Frauen, die alljährlich in Frankreich Opfer einer Vergewaltigung werden.

Die Direktion des Memorials von Caen gibt nicht nach. Die Besucher würden die Statue "sehr positiv" annehmen, heißt es. Dem Vorwurf der Glorifizierung sexueller Gewalt begegnet die Museumsleitung, indem sie auf Zeugnisse der amerikanischen "Sculpture Foundation" verweist.

Widersprüchliche Geschichten

Die US-Stiftung, die das Kunstwerk als kostenlose Leihgabe für ein Jahr in Caen aufgestellt hat, will die damalige Krankenschwester schon vor vielen Jahren ausfindig gemacht haben: Das sei eine New Yorkerin namens Edith Shain gewesen. Und die habe wiederholt vor ihrem Tod bekundet, so Caens Museumsdirektor Stéphane Grimaldi, "sie habe sich niemals als Opfer eines Gewaltaktes gefühlt".

Nur, so einfach ist die Historie des Kusses nicht. Zwei US-Autoren veröffentlichten 2012 eine andere Geschichte. Demnach war die Krankenschwester in Wahrheit eine Zahnarzthelferin namens Greta Zimmer. Und diese junge Immigrantin, die aus Österreich vor den Nazis geflohen war, hat 2005 eine andere, bösere Geschichte von der unverhofften Begegnung mit dem Soldaten erzählt: "Ich spürte, er war sehr stark, er hielt mich sehr fest (. . .) Das war nicht romantisch."

Bis heute ist nicht geklärt, wer die Frau war. Aus Sicht der Feministinnen ist dies aber ohnehin unwichtig. Sie zitieren als Kronzeugen Alfred Eisenstaedt, den Fotografen jenes Moments im August 1945. Der hat bereits 1969 erzählt, wie er damals jenen Soldaten ausmachte, der wahllos fremde Frauen küsste - "junge Mädchen wie alte Damen": "Dann sah ich die Krankenschwester. Ich fokussierte mich auf sie - und genau wie erhofft kam der Seemann vorbei, packte sie und beugte sich nieder, um sie zu küssen."

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