Frankreich diskutiert über Homo-Ehe:Heilige Hartnäckigkeit

Mit einem Gebet für die traditionelle Familie - Vater, Mutter, Kind - hat der Pariser Erzbischof André Vingt-Trois die Debatte um die Ehe unter Homosexuellen neu entfacht. Dabei war die Diskussion in Frankreich fast schon entschieden. Der letzte Streitpunkt: Dürfen gleichgeschlechtliche Paare Eltern sein?

Joseph Hanimann, Paris

Es war ein Zeichen ungeschwächter Inszenierungskunst der französischen Kirche, sich in die Debatte über die Ehe unter Homosexuellen nicht mit politischen Verlautbarungen, sondern mit einem schlichten Gebet einzuschalten. Die Diskussion klingt nicht mehr ab, seit der Pariser Kardinal und Erzbischof André Vingt-Trois zum Fest Mariä Himmelfahrt in der vergangenen Woche unter anderem dafür beten ließ, dass es den Kindern fortan erspart bleibe, bloß "Wunsch- und Konfliktobjekt der Erwachsenen zu sein". Vielmehr sollten sie "in den Genuss der Liebe eines Vaters und einer Mutter" kommen.

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Kardinal André Vingt-Trois, Erzbischof von Paris, provozierte zu Mariä Himmelfahrt mit einem Gebet für die traditionelle Familie.

(Foto: AFP)

Das sei katholische Stimmungsmache gegen die Homosexuellen, hieß es in Frankreich sofort. Und die Vereinigung "Act up", ein Zusammenschluss von Homosexuellen, stellte einen Film ins Netz, in dem ein in Lust Schmachtender den Gebetstext rezitiert, im Untertitel aber sein angebliches Unterbewusstsein reden lässt - in der Art: dass den Seelsorgern doch das Monopol auf die Knabenliebe gesichert bleibe. Die Kirche sei es gewohnt, als Türvorlage gebraucht zu werden, auf der jeder seine dreckigen Schuhe abwische, antwortete der Erzbischof von Lyon, Philippe Barbarin, lakonisch.

Bei der Debatte über die Ehe unter Homosexuellen, die der Präsidentschaftskandidat François Hollande versprochen hat und die nun von der Regierung für kommendes Frühjahr in Aussicht gestellt wird, geht es nicht primär um die Gleichstellung in Sachen Erbschaftsrecht oder Steuern. Die ist in dem 1999 eingeführten "Pacs" (Pacte civil de solidarité) weitgehend schon angelegt und weiter kein Thema mehr.

Umstritten bleibt jedoch, dass vollberechtigte homosexuelle Ehepartner auch selbst gezeugte oder adoptierte Kinder aufziehen dürften. Unter den Franzosen scheint das zwar keine große Abneigungen mehr zu schüren. Sprachen sich 65 Prozent der Franzosen in einer Umfrage in diesem Sommer für die Ehe unter Homosexuellen aus, so fanden 53 Prozent auch nichts Besonderes mehr dran, dass diese Paare Kinder adoptieren. Selbst unter praktizierenden Katholiken waren es noch 45 und 36 Prozent.

Die kirchlichen Würdenträger sehen das anders. Der für seine spitze Sprache bekannte Lyoner Erzbischof Barbarin sprach von einem "zivilisatorischen Wendepunkt" der Familie als Lebensform. Der Vorsitzende des zuständigen Pontifikalrats in Rom, Vincenzo Paglia, unterstützte die französischen Bischöfe: Wo alles sich um das Individuum drehe, werde das "wir", wie es in der Familie gedeihe, infrage gestellt. In seinem Diözesanbrief hatte der Pariser Erzbischof noch vor seinem Himmelfahrtsgebet aufgerufen, dafür zu beten, dass die neue französische Regierung im Sinn des Gemeinwohls, nicht im Sinn von Einzelerwartungen entscheiden werde.

Manche Pfarrer ignorierten stillschweigend diesen Gebetsaufruf. Andere wie der traditionalistische Lobbyverein "Civitas", der in jüngster Zeit mit Kommandoaktionen gegen Theateraufführungen von sich reden gemacht hatte, betreiben offene Stimmungskampagnen gegen jede Form der Ehe unter Homosexuellen.

Im Abseits längst entschiedener Kämpfe

Nicht die Einmischung der Kirche als solche sorgt in der laizistisch verfassten Republik Frankreich für Gesprächsstoff. Schließlich gelte die Redefreiheit für sie wie für alle anderen Gemeinschaften, geben auch erklärte Atheisten zu. Mit ihrer starren Haltung gegen die Tendenz der Zeit manövriere die Kirche sich aber ins Abseits längst entschiedener Kämpfe und bringe sich unnötig in die Nähe der Schwulenhasser, lautet hingegen die Kritik, unlängst etwa in einem Leitkommentar der Tageszeitung Le Monde.

Wäre die Kirche allen Zeitströmungen einfach gefolgt, wäre schon lang keine Rede mehr von ihr, antwortete darauf der Schriftsteller und Literaturkritiker Patrick Kéchichian in einem Text, den der Osservatore Romano im vollen Wortlaut abdruckte. Es sei nichts als ihre Aufgabe, schreibt Kéchichian, "mit einer heiligen Hartnäckigkeit die Dauerhaftigkeit einer bestimmten anthropologischen Vision zu behaupten". Was die Antwort auf den Verdacht des Schwulenhasses angeht, übernahm wiederum der Kardinal Barbarin das Wort. Wer aus einem Gebet für Kinder mit Vater und Mutter so etwas wie Schwulenhass ableite, sagte er, betreibe Meinungsterror gegen den gesunden Menschenverstand.

Intellektuelle monieren moralisch enthemmte Gesellschaft

Die untereinander gespaltenen Politiker des konservativen Lagers lassen am liebsten die Finger vom heiklen Thema. In einem Land, in dem für das allgemeine Selbstverständnis die Kirche nicht mehr ins Gewissen, wohl aber ins Dorf gehört und wo Intellektuelle wie Marcela Iacub seit Jahren erfolgreich eine moralisch enthemmte Gesellschaft verkünden, in der künstliche Fortpflanzung und sexuelle Freiheit bis hin zur Vergewaltigung nur noch nach individuellen Einschätzungskriterien beurteilt werden, ist die kirchliche Kritik an der Ehe unter Homosexuellen das Salz in einer längst schon fade gewordenen Diskussion.

Verglichen mit ihren spanischen oder italienischen Kollegen seien die französischen Bischöfe geradezu behutsam in ihrer Einmischung, sagt dazu der katholische Religionshistoriker Anthony Favier. Einen französischen Kardinal als Gast in der wichtigsten abendlichen Nachrichtensendung des Fernsehens, das habe es seit der letzten Papstwahl nicht mehr gegeben. Dem künftigen Gesetz kann es, selbst mit seiner beschränkten Wirkung, nur nützen.

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