Frankreich:Der Lesomat

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Lesestoff aus der Maschine: Der Kurzgeschichten-Apparat hält 600 Storys bereit. Menschen in Ämtern und Büros können sich damit die Wartezeit verkürzen. (Foto: Jean-Pierre Clatot/AFP)

Belletristik auf Knopfdruck: Französische Unternehmer haben einen Apparat entwickelt, der kostenlose Kurzgeschichten druckt. Der Automat hält 600 Storys bereit - und könnte die Lesewelt revolutionieren.

Von Christian Wernicke, Paris

Wer die Idee zuerst hatte, das weiß keiner von beiden mehr. Aber Christophe Sibieude und Quentin Pleplé, zwei der Mitbegründer von "Short Édition", erinnern sich genau, wo ihnen eines Nachmittags 2013 während einer Pause der Einfall kam. "Wir standen vor so einem Automaten mit Schokoriegeln und Getränken", erzählt Sibieude. Der Präsident des Internet-Startups in Grenoble lächelt: "Einer von uns sagte, man sollte so eine Maschine auch für Literatur bauen: einen Automaten, der etwas zum Lesen ausspuckt, während man irgendwo warten muss."

Gesagt, getan. Eine gute Woche später hatte Quentin Pleplé, der Daten- und Computerfreak von "Short Édition", einen Prototyp gebastelt. Es dauerte, bis alles passte - aber nun gibt es ihn: den weltweit ersten "Automaten für Kurzgeschichten". Schon reifen in der Zentrale des kleinen, kreativen Unternehmens große Träume: "Es gibt Anfragen aus Griechenland und aus Dubai, aus China und aus den USA." Ihr Patent, der "Distributeur d'histoires courtes" für die kostenlose Pausenlektüre, könnte die Lesewelt erobern.

Die ersten acht Exemplare werden seit Oktober in ihrer Geburtsstadt Grenoble getestet. An Orten, wo man oft anstehen muss: im Rathaus, in Bürgerzentren, in der Leihbücherei, im Tourismusbüro. Ein Meter hoch ist der elegante Automat, oben auf dem orangenen Schaltpult fallen drei Knöpfe auf, daneben stehen die Ziffern 1, 3 und 5. Eine, drei oder fünf Minuten Lesezeit - der Kunde kann je nach Laune und absehbarer Wartezeit auswählen, wie viel literarische Unterhaltung ihm die Maschine schenken soll. Der Apparat hat 600 Storys gespeichert, der Zufall bestimmt, wer welchen Text erhält. Ein Fingertippen genügt, schon druckt der Automat den Zeitvertreib auf einen Streifen weißen, dicken Papiers. "Das sinnliche Papier ist mal etwas anderes als der ewige Blick auf das eigene Smartphone", sagt Christophe Sibieude, "noch vor fünf oder sechs Jahren hätten die Leute wahrscheinlich nicht so enthusiastisch reagiert."

Bis zu 10 000 Kurzgeschichten und Gedichte kommen monatlich per Automat unters Lesevolk - für die Nutzer ist das völlig kostenlos. Die Maschinen sind nur der neueste Zweig der Internetfirma. Schon seit fünf Jahren verbreitet "Short-Édition" per Website die Werke und Ideen von beinahe 10 000 Amateur-Autoren: Krimis, Liebesromane, Gedichte, auch Comics. Die 140 000 Nutzer der Literatur-Plattform stimmen ab, was ihnen am besten gefällt, und den Autoren winkt als Auszeichnung die Produktion eines E-Books oder gar eines echten Buches aus Papier. Das Unternehmen finanziert sich durch Sponsoring, zu den Partnern des Verlags zählen ein französischer Gas-Konzern und der Telekom-Riese Orange.

So ähnlich soll nun auch das neue Automatengeschäft funktionieren. "Unser Ziel ist es, die Lesekultur zu verbreiten", erklärt Manon Landeau, die Firmensprecherin, "der kostenlose Zugang zur Literatur ist Teil unserer Philosophie. Wer immer seine wartenden Kunden demnächst am Behördenschalter, am Flughafen oder in der Arztpraxis mit Lektüre beglücken will, der muss zahlen. Die Monatsmiete pro Gerät liegt bei 500 Euro, zu kaufen ist der Automat für exakt 6150 Euro (plus 98 Euro pro Monat für Wartung und die Belieferung mit immer neuen Kurzgeschichten). Die Hobby-Autoren übrigens erhalten ungefähr zehn Prozent der Einnahmen.

"Short Édition" hat inzwischen einen ersten Großauftrag ergattert. Die Bahngesellschaft SNCF will in der westfranzösischen Region Bretagne zunächst 30 Literatur-Automaten in ihren Bahnhöfen aufstellen. Vielleicht bald auch mehr. Zugleich rüstet sich der innovative Verlag für den Export von Maschinen und Literatur in alle Welt: "Short Édition" sucht Übersetzer, um seine Leseware demnächst auch auf Englisch, Arabisch und Chinesisch feilbieten zu können.

© SZ vom 08.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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