Frankreich:Chemische Kastration für Sexualstraftäter

Nach dem Mord an einer Joggerin diskutiert die französische Regierung über die Ausweitung der chemischen Kastration für Sexualstraftäter. Bislang gibt es die auf freiwilliger Basis.

Hätte der Tod von Marie-Christine Hodeau verhindert werden können? Diese Frage beschäftigt Frankreich seit Tagen. Ein verurteilter Sexualstraftäter hatte der 42-Jährigen beim Joggen aufgelauert, sie mit dem Messer bedroht, verschleppt, missbraucht und ermordet. Nach der schrecklichen Tat kündigte die konservative Regierung umgehend an, bei Sexualstraftätern künftig verstärkt die chemische Kastration einzusetzen.

Der Fall von Hodeau hielt Frankreich zwei Tage in Atem, weil das Opfer aus dem Kofferraum seines Mörders per Handy noch einen Notruf absetzen konnte. Das ganze Land hoffte, dass sie noch lebend gefunden würde, praktisch jede Zeitung druckte ihr Bild. Ihre Leiche wurde schließlich nackt in einem Waldstück entdeckt.

Ihr Mörder Manuel R. gestand, sie erwürgt zu haben. Der 47-Jährige war 2002 zu elf Jahren Haft verurteilt worden, weil er ein 13-jähriges Mädchen aus der Nachbarschaft vergewaltigt hatte. 2007 kam er unter Auflagen vorzeitig aus dem Gefängnis, ab 2008 war er vollkommen frei.

Kein Allheilmittel

Präsident Nicolas Sarkozy empfing die Familie des Opfers und verlangte härtere Strafen für Wiederholungstäter. Premierminister François Fillon sprach von einem "absolut unausstehlichen Verbrechen, das hätte verhindert werden können". Die chemische Kastration, die es für inhaftierte Straftäter bereits auf freiwilliger Basis gibt, müsse "zwingender" werden. "Wir verbieten uns keinerlei Überlegung zu dem Thema."

Die oppositionellen Sozialisten warfen der Regierung vor, "unpassend" zu reagieren. Und auch in der Regierungspartei UMP warnten einige Mitglieder davor, auf die Empörung in der Bevölkerung mit überstürzten Maßnahmen zu reagieren. "So eine Frage entscheidet man nicht nach einem Drama, so schrecklich es auch sein mag", sagte der Abgeordnete François Goulard.

Bisher können Gefangene in Frankreich freiwillig einer chemischen Kastration zustimmen, bei der Medikamente den Sexualtrieb "bremsen". Brechen sie die Behandlung ab, die alle drei Monate erneuert werden muss, können sie nicht auf eine vorzeitige Entlassung hoffen.

Experten warnen davor, die Hormonbehandlung als Allheilmittel anzusehen. "75 bis 80 Prozent der Sexualstraftäter werden nicht rückfällig", sagt der Kriminologe Roland Coutanceau. "Man muss sich auf die konzentrieren, die ein Rückfallrisiko haben." Innerhalb einer Therapie könne der Einsatz der Sexblocker ein "nützliches Werkzeug" sein. Diese verringern das sexuelle Verlangen und die Potenz, können aber auch schmerzhaftes Brustwachstum und Depressionen auslösen.

"Nicht ohne Einwilligung des Patienten"

Für Serge Stoléru vom staatlichen Gesundheitsforschungsinstitut Inserm führt aber auch in Zukunft an der Freiwilligkeit kein Weg vorbei. "Die Verabreichung der Medikamente kann nicht ohne Einwilligung des Patienten erfolgen."

Das dämmerte auch der Regierung. Justizministerin Michèle Alliot-Marie, die bis Ende Oktober einen Gesetzentwurf angekündigt hat, will aber den Druck erhöhen. Ihr zufolge soll die chemische Kastration nicht nur Voraussetzung für eine vorzeitige Entlassung sein, sie soll danach auch außerhalb des Gefängnisses fortgesetzt werden. Habe ihr ein Täter erst einmal zugestimmt, könne er nach einer vorzeitigen Entlassung "nicht mehr darauf verzichten, außer er geht zurück ins Gefängnis".

Polen hat als erstes EU-Land die chemische Kastration bereits auf den Weg gebracht. Das polnische Parlament votierte im September nahezu einstimmig für einen entsprechenden Gesetzesantrag der Regierung. Der Entwurf sieht vor, dass ein verurteilter Pädophiler zur Teilnahme an einer entsprechenden pharmakologischen Therapie gezwungen werden kann. Das Gesetz muss nun noch vom polnischen Senat verabschiedet werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: