Frankreich:Ausgeflogen

Häftling flüchtet spektakulär in Frankreich

Ein französischer Hubschrauber vom Typ Alouette II mit dem Redoine Faïd , der zu 25 Jahren Haft verurteilt worden war, eine spektakuläre Flucht aus dem Gefängnis in Reau gelang.

(Foto: Geoffroy Van Der Hasselt/dpa)

Seit Sonntag jagen 3000 französische Polizisten Redoine Faïd, den prominentesten Räuber des Landes. Er ist (zum wiederholten Male) aus einem Gefängnis geflohen - dieses Mal besonders spektakulär: mit einem Hubschrauber.

Von Leo Klimm, Paris

Der Hollywood-Regisseur Michael Mann sei sein "technischer Berater", sagte Redoine Faïd einmal. Besonders Manns 90er-Jahre-Streifen "Heat", eine Geschichte von Sprengstoff-Panzerknackern mit Robert de Niro, habe ihn inspiriert. Ein Dutzendmal hat Faïd den Film "Heat" gesehen, um davon zu lernen.

Diesen Schwank hat Faïd vor einigen Jahren erzählt, als er gerade nicht wegen schweren bewaffneten Raubüberfalls einsaß. Zu dieser Zeit präsentierte er sich auf allen französischen Fernsehkanälen als Buchautor und geläuterter Ex-Krimineller. Man muss zu Frankreichs prominentestem Dieb wissen, dass er bekannt ist für seine Intelligenz. Gefängnisaufseher loben außerdem seine guten Manieren. "Er ist ein charmanter Kerl, die Antithese zum Soziopathen-Gangster, wie man ihn sich gemeinhin vorstellt", sagt der Journalist Jérôme Pierrat, der einst mit Faïd das Buch vom reuigen Ganoven verfasste.

Jetzt hat der Schwerverbrecher seine Story auf eine Weise fortgeschrieben, die sich sein Inspirator Michael Mann für ein Drehbuch nicht besser ausdenken könnte: Faïd, 46 Jahre, ist aus einem Hochsicherheitsgefängnis südlich von Paris ausgebrochen, wo er nach neuen Straftaten in Haft war. Und er ist nicht irgendwie ausgebrochen - er türmte mit einem Hubschrauber. Seit Sonntag jagen fast 3000 Polizisten den "König der Ausbrecher" im ganzen Land. Und dann muss man noch über Faïd wissen, dass ihm nicht zum ersten Mal die Flucht aus einer Haftanstalt gelingt.

Ganz Frankreich verfolgt gerade fasziniert die Suche nach Faïd. Die Figur erinnert die Franzosen ein bisschen an Arsène Lupin, den "Gentleman und Dieb", einen bis heute äußerst populären Krimi-Klassiker. Im Fall Redoine Faïd empfinden die Franzosen eine Mischung aus Bewunderung und Verwunderung. Darüber, dass so etwas passieren kann.

Wie es passiert ist, weiß man: Keine zehn Minuten brauchte das Hubschrauber-Befreiungskommando in der Haftanstalt Réau. Alles war offensichtlich präzise vorbereitet: Faïds drei Komplizen hatten einen Flug mit einem Helikopter gebucht. An Bord zwangen sie den Piloten plötzlich, nach Réau zu fliegen und in einen kleinen Gefängnishof einzuschweben. Vermummt und mit Maschinengewehren bewaffnet hielten sie das Wachpersonal in Schach und arbeiteten sich mithilfe von Trennschleifern in den Besuchertrakt vor, in dem Faïd just in diesem Moment mit einem seiner Brüder verabredet war. Kurz darauf flog der Hubschrauber mit Faïd und seinen Befreiern wieder davon. Der Hubschrauber und der unter Schock stehende Pilot wurden später nahe des Flughafens Charles-de-Gaulle aufgefunden. Von hier aus waren die Gangster erst mit einem bereitstehenden schwarzen Renault geflohen, den sie nach Angaben von Ermittlern gegen einen weißen Lieferwagen eintauschten. Danach verliert sich die Spur.

Faïd sagte früher von sich, spektakuläre Coups seien seine "Berufung". Seine kriminelle Karriere begann der Mann, der in einer kinderreichen algerischstämmigen Familie in Creil nördlich von Paris aufwuchs, nach eigenen Angaben als Sechsjähriger. Damals soll er einen Einkaufswagen voll Bonbons aus einem Supermarkt geklaut haben. Mit zwölf Jahren dann habe er so richtig angefangen mit dem Diebstahl. Bis er sich auf das spezialisierte, was er als Königsdisziplin des Raubüberfalls ansieht: Attacken auf gepanzerte Geldtransporter.

Irgendwann wurde Faïd gefasst, landete im Knast. Kam wieder heraus. Und wurde nach dem Zwischenspiel als angeblich geläuterter Verbrecher erneut verurteilt. Zuletzt zu 25 Jahren Haft wegen eines Überfalls, bei dem 2010 eine Polizistin starb.

Dass der prominente Häftling jetzt fliehen konnte, findet Faïd-Kenner Pierrat mindestens merkwürdig. "Es ist überraschend, dass er so einen Plan durchziehen konnte", sagt Pierrat. Schließlich wurde Faïd besonders bewacht; es sei vorstellbar, dass es Fluchthelfer unter dem Wachpersonal gebe. Und schließlich war Faïd vor fünf Jahren schon einmal ausgebüxt. Damals nahm er Aufseher als Geiseln und bahnte sich mit Sprengstoff den Weg aus einem nordfranzösischen Gefängnis.

Besonders peinlich ist der neuerliche Ausbruch für Frankreichs Regierung. Es habe "vielleicht Versäumnisse" gegeben, sagte Justizministerin Nicole Belloubet. Vor einigen Monaten waren Beobachtungsdrohnen über der Haftanstalt von Réau gesichtet worden. Der Gefängnishof, in dem der Hubschrauber landete, ist der einzige, der nicht mit einem Schutznetz überspannt ist. Premierminister Édouard Philippe droht den Verantwortlichen mit "Konsequenzen". Aber das Drängendste sei, Faïd schnell wieder einzufangen.

Beim letzten Ausbruch dauerte das immerhin anderthalb Monate. Und der "König der Ausbrecher" dürfte seitdem hinzugelernt haben.

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