Fragen und Antworten zum Dioxin-Skandal:Nicht das Gelbe vom Ei

Wie schädlich ist das Gift? Welche Lebensmittel sind betroffen? Wer trägt die Schuld? Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Dioxin-Skandal.

Katrin Blawat, Ralf Wiegand, Cornelius Pollmer und Melanie Ahlemeier

Wie groß ist der Skandal?

A picture illustration of an empty chicken egg shell next to the raw egg white and yolk taken in Berlin

Dioxin-verseuchte Eier sind "nicht akut gesundheitsschädlich", mittel- und langfristig kann die Aufnahme von Dioxin aber gefährlich sein.

(Foto: REUTERS)

Verseuchte Produkte könnten über Wochen oder sogar über Monate in den Handel gelangt sein, heißt es im Ministerium für Verbraucherschutz und Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen; "wir nehmen die Sache sehr ernst", sagt Abteilungsleiter Peter Knitsch. Zwar haben sich alle Behörden auf die Sprachregelung geeinigt, dass auch der Verzehr von verseuchten Produkten , "nicht akut gesundheitsschädlich" sei, mittel- und langfristig könne die Aufnahme von Dioxin aber gefährlich sein.Laut niedersächsischem Landwirtschaftsministerium sind hauptsächlich norddeutsche Betriebe mit verseuchtem Futter beliefert worden - deren Produkte aber, Eier wie Fleisch, würden bundesweit gehandelt und auch ins Ausland geliefert, etwa in die Niederlande. Auch wie viel Futter aus den verseuchten Fetten hergestellt wurde, ist unklar.Beispiel: Ein einziger Betrieb in Sachsen-Anhalt hat aus 54 Tonnen verseuchten Fetten etwa 1000 Tonnen fertiges Futter hergestellt. Da mindestens 527 Tonnen kontaminiertes Material aus Schleswig-Holstein an Futtermittelhersteller geliefert wurde, könnten daraus circa 10.000 Tonnen Futter entstanden sein, das nicht nur an Hühner, sondern auch an Puten und Schweine verfüttert wurde.

Warum ist Dioxin schädlich?

Es gibt etwa 200 chemische Verbindungen, die man unter dem Begriff Dioxin zusammenfasst. Alle bestehen aus den chemischen Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Chlor. Dioxine werden nicht hergestellt, sondern entstehen unter bestimmten Bedingungen als Nebenprodukt bei vielen Verbrennungsvorgängen. Ihr chemischer Aufbau unterscheidet sich geringfügig; in der Giftigkeit gibt es hingegen große Unterschiede.Am gefährlichsten ist eine Substanz namens TCDD, die 1976 bei einem Chemieunfall im italienischen Seveso frei wurde und seither unter dem Namen "Seveso-Gift" bekannt ist. Es ist krebserregend und hemmt wichtige Vorgänge in den Zellen. Über den Typ im aktuellen Skandal ist nichts bekannt.Wie das Dioxin im aktuellen Skandal in das Futter gelangen konnte, ist noch unklar. Dioxine entstehen erst bei einer Temperatur ab 300 Grad. Die meisten Verfahren zur Produktion von Biodiesel benötigen weniger als 100 Grad. In der Vergangenheit gab es immer neue Wege, wie Dioxin Tierfutter verseucht hat. Einmal entstand das Gift bei Verbrennungsvorgängen in einer Maschine, die Gras trocknen sollte. Ein anderes Mal enthielt das Futter sogenannte Tonerden, die aufgrund eines früheren Vulkanausbruchs mit Dioxin verseucht waren.Außer über das Futter nehmen Tiere das Gift auch über den Boden auf; Helmut Schafft, Leiter der Abteilung Futtermittelsicherheit des Bundesinstituts für Risikobewertung (RKI), spricht von einer "unvermeidbaren Belastung". Dioxin aus Chemie- und Verbrennungsabfällen bleibt jahrelang im Boden. Die Tiere lagern das aufgenommene Gift im Körper ein. Eine Henne etwa baut bis zu 0,5 Prozent des Dioxins, das sie aufnimmt, innerhalb kurzer Zeit in den Eidotter ein.

Welche Lebensmittel sind betroffen?

Über Eier, Fisch, Fleisch, Milch und die daraus entstehenden Produkte nehmen Menschen 95 Prozent allen Dioxins auf. Eier sind oft betroffen, da Hühner das Dioxin nicht nur über verseuchtes Futter aufnehmen, sondern auch, indem sie Erdkrumen vom Boden aufpicken. Auch in verarbeiteten Produkten bleibt Dioxin erhalten.Daher untersuchen die Behörden derzeit auch Fertigprodukte wie Eis, Tiefkühl-Kuchen oder Nudeln, für deren Herstellung womöglich dioxinbelastete Eier oder Eipulver verwendet wurden. Möglich ist auch, dass Schweine und Puten das verseuchte Futter erhalten haben - das RKI hält das für nicht ausgeschlossen.Generell müssen Verbraucher bei allen Nahrungsmitteln mit einer Grundbelastung durch Dioxin rechnen. Auch auf pflanzlichen Lebensmitteln wie zum Beispiel Salat kann sich Dioxin wie ein Film ablagern. Fünf Prozent allen Dioxins, das ein Mensch im Lauf seines Lebens zu sich nimmt, stammen von pflanzlichen Produkten.Dioxin lagert sich im Fettgewebe ab. Daher sind Produkte mit hohem Fettgehalt besonders anfällig: Schweinespeck mehr als Muskelfleisch, Eidotter mehr als Eiweiß. Fettreiche Fische wie Aal, Lachs oder Makrele sowie die Leber verschiedener Tiere gelten ebenfalls als anfällig für eine hohe Dioxin-Belastung.

Wie stellt man fest, ob zum Beispiel Eier belastet sind?

Grundsätzlich können Verbraucher nicht nachvollziehen, ob ihr Ei aus einem betroffenen Betrieb stammt. Auch die auf jeder Packung aufgedruckte Nummer hilft dabei nicht, weil entsprechende Informationen nicht frei zugänglich sind. "Der Verbraucher ist ohnmächtig", kritisiert Jutta Jaksche vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Sie plädiert für eine Datenbank, die Verbraucher auf Grundlage der Ei-Nummer informiert. Wer ganz sicher sein möchte, dem bleibt nichts anderes übrig, als nun eine Weile auf eihaltige Produkte zu verzichten.Derweil setzen die Länder auf größere Transparenz und kündigen an, Informationen nun möglichst schnell an die Verbraucher weiterzugeben. Das Verbraucherschutz-Ministerium in Nordrhein-Westfalen veröffentlichte auf seiner Internetseite (www.umwelt.nrw.de) den Code von zwei Betrieben, in denen Dioxin in Eiern gefunden worden war. Verbraucher können in diesem Fall durch Abgleich der Codes selbst prüfen, ob sie noch Eier dieser Produktion im Kühlschrank haben. In Niedersachsen ist eine Telefon-Hotline beim Landesamt für Verbraucherschutz geschaltet worden (0441/57026333).

Was ist Mischfettsäure?

Mischfettsäuren sind ein Nebenprodukt, das bei der Herstellung von Biodiesel anfällt. Aus Preisgründen dient als Ausgangsstoff für Biodiesel oft ein Gemisch mehrerer Öle, etwa aus Raps-, Palm-, und Sojapflanzen. Aus diesen Rohstoffen entsteht neben dem Biodiesel ein Gemisch verschiedener Fettsäuren, die je nach Typ in der chemischen oder technischen Industrie oder im Tierfutter verwendet werden. Setzt man dem Futter die richtigen Fettsäuren zu, dient das der Gesundheit der Tiere. Hühner etwa brauchen - wie Menschen - Linolsäure, die ebenfalls in der Biodiesel-Produktion anfallen kann.Zudem sorgen die beigefügten Fettsäuren im Hühnerfutter für einen großen Eidotter. "Wenn ich aber zum Beispiel Altöl statt in die Deponie ins Tierfutter gebe, ist das wie eine Lizenz zum Gelddrucken", sagt Ellen Kienzle, Inhaberin des Lehrstuhls für Tierernährung an der LMU München.

Was darf in Futtermitteln drin sein?

Mischfutter besteht aus zehn bis 30 Komponenten. Sie werden lose beim Hersteller angeliefert und dann vermahlen. Der Anteil der vier Hauptbestandteile dieses Kraftfutters - Getreide, Eiweiße, Mineralien/Vitamine sowie Fette - unterscheidet sich je nach Tierart. Getreide hat mit 60 bis 70 Prozent den höchsten Anteil und wird meist aus der Region bezogen, um die Transportkosten gering zu halten.Haupteiweißträger ist Sojaschrot, das über Importeure in Nord- und Südamerika gekauft und per Schiff geliefert wird. Eiweiß liefert auch Rapsschrot von hiesigen Märkten. Mineralstoffe und Vitamine beziehen Hersteller von Mineralfutterfirmen als Mischungen. "Die enthalten Kalk, Salze und viele Vitamine, je nach Tierart in verschiedener Zusammenstellung'', sagt Produzent Knut Fehse. Zusätzliche Energieträger sind pflanzliche Fette wie Soja- oder Sonnenblumenöl sowie besagte Mischfette. Tierische Zutaten wurden nach Aufkommen des ersten BSE-Falls in Deutschland vor zehn Jahren verboten. Die einzige, mit Auflagen verbundene Ausnahme ist Fischmehl.Die Staatsanwaltschaft Itzehoe ermittelt seit Dienstag gezielt gegen die schleswig-holsteinische Firma Harles & Jentzsch wegen Verstoßes gegen das Futtermittelgesetz. Deren Geschäftsführer Siegfried Sievert sagte dem Westfalen-Blatt: "Wir waren leichtfertig der irrigen Annahme, dass die Mischfettsäure, die bei der Herstellung (...) von Biodiesel anfällt, für die Futtermittelherstellung geeignet ist." Harles & Jentzsch erwarb solche Fette wohl über längere Zeit von einem holländischen Händler, der das kontaminierte Material wiederum von der Petrotec AG bezogen hat. Dieses Unternehmen aus Borken produziert in seinem Werk in Emden Biodiesel-Kraftstoff aus altem Speisefett. Die Firma teilte am Dienstag aber mit, dass die gelieferte Mischfettsäure ausdrücklich nur für die technische Verwendung bestimmt gewesen sei, nicht für die Lebensmittelindustrie. Das sei vertraglich geregelt gewesen.

Wer haftet für die Verunreinigung?

Skandale um dioxinhaltiges Tierfutter gab es viele - lernen die Halter denn nicht dazu? Doch, sagt der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Helmut Born. Produktionen könnten jederzeit angehalten werden, um Proben zu ziehen. Und der Verband hat sich flugs für eine Gesetzesverschärfung ausgesprochen. Betriebe, die technische Fette produzieren, sollten von der Lieferung für den Futter- und Nahrungsmittelbereich "ausgeschlossen werden", so Born.Zudem pocht der Verband auf eine Entschädigung betroffener Landwirte. Doch "da müsste viel Glück dabei sein, damit Schadenersatz gezahlt wird - und es wird sehr lange dauern'', sagte ein Sprecher des niedersächsischen Landesverbandes der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.

Was sind die Konsequenzen?

Die Länder haben sich bei einer Telefonkonferenz am Montag gegenseitig solidarisches Handeln versprochen. Zudem hat das Bundesverbraucherministerium die Länder erstmals zur Vorlage sämtlicher Überwachungsdaten im aktuellen Fall verpflichtet, eine Möglichkeit, die gesetzlich erst seit dem Gammelfleischskandal von 2009 besteht. Auch der aktuelle Dioxinskandal soll politische Folgen haben.Nordrhein-Westfalens Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne) stellt die industrielle Produktion von landwirtschaftlichen Nahrungsmitteln generell in Frage und schlug vor, regionale Kreisläufe zu fördern. Konkret sollen Unternehmen künftig nur Futtermittel herstellen dürfen, wenn sie dafür eine Genehmigung beantragt haben. Auch sollen sie eine Versicherung abschließen müssen, damit Schäden nicht am Ende vom Steuerzahler beglichen werden müssen.

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