Flutkatastrophe in Pakistan:"Ganze Städte sind im Schlamm versunken"

14 Millionen Menschen kämpfen in Pakistan mit sintflutartigen Regenfällen. Benoît De Gryse von "Ärzte ohne Grenzen" leistet Nothilfe.

Inga Rahmsdorf

Seit fast zwei Wochen kämpfen die Menschen in Pakistan mit sintflutartigen Regenfällen und Überschwemmungen. Mehr als 14 Millionen sollen bereits von der Flutkatastrophe betroffen sein. Der Belgier Benoît De Gryse, 32, arbeitet als Landeskoordinator in Pakistan für die Organisation "Ärzte ohne Grenzen", die dort medizinische Nothilfe leistet.

Flutkatastrophe in Pakistan: Der Belgier Benoît De Gryse, 32, arbeitet als Landeskoordinator in Pakistan für die Organisation "Ärzte ohne Grenzen".

Der Belgier Benoît De Gryse, 32, arbeitet als Landeskoordinator in Pakistan für die Organisation "Ärzte ohne Grenzen".

SZ: Haben Sie solch eine Situation wie zurzeit schon einmal in Pakistan erlebt?

Benoît De Gryse: Nein. Der Monsunregen ist zu dieser Jahreszeit ganz normal, aber solche Regenfälle und Überschwemmungen haben wir hier noch nie gesehen.

SZ: In den vergangenen Tagen hieß es, dass immer mehr Regionen von der Flut betroffen sind. Wie ist die Lage jetzt?

De Gryse: Es gab bisher drei Phasen der Flutkatastrophe: Die erste Phase begann vor etwa zwölf Tagen, als es im Norden des Landes so heftig und ohne Unterbrechung regnete, dass Bergflüsse anschwollen und Brücken, Straßen und Häuser mit sich rissen. Die zweite Phase war, als der Regen vergangene Woche zwar nachließ, die gewaltigen Wassermassen aber aus den nördlichen Bergregionen hinunter in die tiefer gelegenen Gebiete, in die Provinzen Punjab und Sindh, flossen. Dort staut sich nun das Wasser. Am vergangenen Wochenende begann dann die dritte Phase, im Norden setzte erneut heftiger Regen ein.

SZ: Regnet es immer noch?

De Gryse: Heute ist der erste Tag, an dem es nicht regnet. Wir hoffen, dass es so bleibt. In den vergangenen Tagen konnten wir viele Regionen wegen des schlechten Wetters nicht einmal mit Helikoptern erreichen.

SZ: Was brauchen die Menschen jetzt am dringendsten?

De Gryse: In den Provinzen Punjab und Sindh, wo sich die Wassermassen stauen, fehlt es an sauberem Trinkwasser. Dort breiten sich Durchfall-, Haut- und Atemwegserkrankungen bereits rapide aus. Es fehlt an Hygieneprodukten und Kochutensilien, auch die Sanitäranlagen sind ein großes Problem. Ganze Städte sind im Schlamm versunken, Ackerland ist zerstört. Im Norden Pakistans, in den Bergen, ist Trinkwasser häufig nicht das größte Problem, denn es gibt dort Quellen. Die Menschen in der Region sind aber völlig von der Außenwelt abgeschnitten, sie haben keine Lebensmittel und keine Medikamente.

SZ: Gibt es innerhalb Pakistans eine große Hilfsbereitschaft?

De Gryse: Die Solidarität unter den Pakistanern ist sehr groß. Ihr muslimischer Glaube verpflichtet sie, Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen zu helfen. Das haben wir auch im vergangenen Jahr während des Konflikts gesehen. Doch das Problem ist jetzt: Es bleiben nicht viele, die helfen könnten.

"Kritik am Krisenmanagement"

SZ: Und die internationale Hilfe?

Flutkatastrophe in Pakistan - Hilfslieferung

Wegen der verheerenden Überschwemmungen in Pakistan sind mehrere Millionen Menschen auf Soforthilfe zum Überleben angewiesen. Viele Flutopfer sind von der Außenwelt abgeschnitten oder können nur mit Helikoptern erreicht werden, denn Straßen und Brücken sind zerstört.

(Foto: dpa)

De Gryse: Es hat ein wenig Zeit gebraucht, aber jetzt ist sie aufgewacht. Es gab allerdings in letzter Zeit so viele Katastrophen, dass es vermutlich nicht einfach sein wird, Spenden zu sammeln.

SZ: 30.000 pakistanische Soldaten sollen im Krisengebiet im Einsatz sein. Funktioniert der Katastrophenschutz?

De Gryse: Als die Flut einsetzte, waren wir alle völlig überrascht und unvorbereitet. Erst auf die zweite Phase konnten wir uns vorbereiten. Einige Tage gab es viele Demonstrationen und Kritik am Krisenmanagement der Regierung. Jetzt scheint sie aber alles zu unternehmen, was in ihrer Macht steht. In den Provinzen Punjab und Sindh haben Soldaten eine halbe Millionen Menschen evakuiert.

SZ: Wo werden sie hingebracht?

De Gryse: Die Regierung hat Notunterkünfte eingerichtet. Meist wollen die Menschen nicht weit weg von ihren Häusern. Ich habe eine Familie gesehen, die mitten auf einer Schnellstraße campierte, um so nah wie möglich bei ihrem Dorf zu bleiben. Häufig bleiben Frauen und Kinder tagsüber in den Notunterkünften, während die Männer versuchen, etwas von ihrem Hab und Gut zu retten oder ihre Häuser wieder aufzubauen.

SZ: Kehren die Menschen denn schon zurück in ihre Häuser?

De Gryse: Viele Regionen sind noch unter Wasser. Nur in den Bergen fließt der Regen schneller ab. Ich bin gestern mit dem Helikopter über Gebiete im Norden geflogen. In einigen Orten waren viele bunte Farbflecken zu sehen. Es waren Teppiche und Kleidung - was die Flut nicht weggespült hat, waschen die Bewohner und legen es zum Trocknen auf ihre Dächer.

SZ: Wie lange werden wohl die Hilfs- und Wiederaufbauarbeiten andauern?

De Gryse: Das hängt davon ab, wie viel es noch regnet. Ab kommendem Wochenende sind wieder heftige Regenfälle angesagt. Das erschwert die Hilfe und wirft die Menschen immer wieder zurück. Unsere Projekte zur Notversorgung haben wir erst einmal für zwei Monate angesetzt. Aber bis die Infrastruktur, die Wasserversorgung und Krankenhäuser wieder aufgebaut sind, wird es wohl noch sehr viel länger dauern.

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