Flugzeugabsturz:Kuba, Destination der Unsicherheit

Die Insel bewirbt sich als "Destination des Friedens und der Sicherheit". Nach dem Absturz der Boeing 737 und den offensichtlichen Mängeln bei der Flugsicherheit wirkt das wie Hohn. Das Verkehrsministerium hat nun die genaue Opferzahl mitgeteilt.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Auf der Website der staatlichen kubanischen Fluglinie Cubana de Aviación stand am Morgen danach der Satz: "Die Angehörigen des Fluges DMJ972 können sich unter folgenden Telefonnummern melden: 76497233, 76497234." Dazu, dass die Maschine am Freitag kurz nach dem Start am internationalen Flughafen José Marti von Havanna abgestürzt war und dabei wohl mehr als 100 Menschen umkamen: kein Wort. Keine Erklärung. Keine Trauerbekundung. Keine Entschuldigung. Direkt über den beiden Telefonnummern befand sich eine Suchmaske, in der man schon wieder Flüge von Havanna nach Holguín buchen konnte. Die Stadt im Osten der Insel wäre das Ziel von DMJ972 gewesen.

Kubas neuer Präsident Miguel Díaz-Canel war am Freitag sehr schnell an der Unglücksstelle, ein Rübenacker in Sichtweite von Terminal 1. In einer Live-Schaltung mit dem kubanischen Staatsfernsehen bestätigte er erste Befürchtungen von einer "sehr hohen Opferzahl". Im Hintergrund wurden die Toten abtransportiert, Feuerwehrleute zielten mit ihren Schläuchen auf das rauchende Wrack, ein Flugzeug startete in den Himmel. Díaz-Canel sagte: "Der Flughafen bleibt im Normalbetrieb."

Etwas mehr als 24 Stunden nach dem Absturz teilte dann das kubanische Verkehrsministerium mit, bei dem Absturz seien 110 Menschen ums Leben gekommen. Verkehrsminister Minister Adel Yzquierdo Rodriguez sagte, in dem Flugzeug seien 102 Kubaner, drei Touristen, zwei ausländische Einwohner und sechs mexikanische Besatzungsmitglieder gewesen. Außerdem sei der Flugschreiber der Boeing 737 geborgen worden.

Man kann den kubanischen Behörden nicht vorwerfen, dass sie mit dem Unfall pietätlos umgegangen wären. Der Staatsrat erklärte eine zweitägige Staatstrauer. Parteichef Raúl Castro, der gerade einen chirurgischen Eingriff hinter sich hatte, sprach den Angehörigen der Opfer sein aufrichtiges Beileid aus. Es war aber allemal erstaunlich, mit welcher Geschwindigkeit die Aufarbeitung schon wieder ins Propagandistische changierte. Noch bevor es offiziellen Angaben zur Absturzursache oder zur genauen Opferzahl gab, stellten die Verlautbarungsorgane der kommunistischen Einheitspartei bereits die "effiziente Katastrophenhilfe" Kubas heraus. Die Zeitung Granma schrieb: "In der Tragödie wird das Volk nie alleine gelassen."

Alles andere als effizient funktionierte zuletzt die größte nationale Fluglinie Cubana. Sie befindet sich seit geraumer Zeit in einer schweren Krise, was nach einem Bericht des unabhängigen Online-Magazins 14yMedio vor allem daran liegt, dass sie nicht mehr genügend funktionierende Flugzeuge besitzt. Der größte Teil der Flotte besteht demnach aus russischen Maschinen vom Typ Antonow, offenbar in schlechtem Zustand. Regelmäßig starten die Inlandsflüge von Cubana deshalb mit großen Verspätungen, oder sie fallen komplett aus. Mitunter werden die Passagiere dann von der zivilen Luftfahrtbehörde in Omnibussen über die Insel befördert. Von Havanna nach Holguín sind es fast 750 Kilometer, größtenteils über durchlöcherte Landstraßen.

Die Flugausfälle betreffen bislang vor allem das Angebot für Einheimische, dabei werden die Tickets in der nationalen Währung CUP verkauft, ansonsten wären sie für die meisten Kubaner unbezahlbar. Um das Flugangebot für Touristen aufrechtzuerhalten, die für ihre Tickets in der Parallelwährung CUC - und damit fünfundzwanzigmal mehr - bezahlen müssen, hatte Cubana zuletzt mehr und mehr Maschinen von ausländischen Betreibern gechartert. Um solch eine Maschine handelte es sich auch bei jener Boeing 737-200, die am Freitag abgestürzt ist.

Boeing ist bekanntlich ein US-amerikanischer Flugzeugbauer. Wegen des immer noch geltenden Embargos können kubanische Staatsbetriebe keine Waren aus den USA kaufen, also auch keine Passagiermaschinen. Aber in einer Welt der globalen Handelsströme wechseln Flugzeuge ständig ihre Nationalität. Die Maschine von Flug DMJ972 gehörte der mexikanischen Damojh Areolíneas, daher das Kürzel DMJ.

Das Unternehmen, das auch unter dem Zweitnamen Global Air registriert ist, wurde 1990 im mexikanischen Guadalajara gegründet. Das mexikanische Transportministerium bestätigte am Freitag, dass die Unglücksmaschine 38 Jahre alt war. Nach Informationen der Washington Post hatte sie in dieser Zeit mindestens fünfzehnmal den Besitzer gewechselt. Sie gehörte zunächst zur regionalen US-Airline Piedmont und wurde im Lauf ihrer Karriere in Kanada, Chile, Kamerun, Benin sowie in der Karibik eingesetzt - und zuletzt in Mexiko.

Von dort stammte auch die Besatzung vom Freitag. Cubana trat lediglich als Betreiber auf. Im November 2010 musste eine Boeing 737 von Global Air, Baujahr 1975, im südmexikanischen Puerto Vallarta notlanden, weil das Fahrwerk klemmte. Das Feuer wurde schnell gelöscht, keiner der Passagiere wurde verletzt. Diesmal hatten die Fluggäste nicht so viel Glück.

Über all diese Hintergründe liest man bei Granma und anderen staatlichen kubanischen Medien nichts. Für Kuba ist der Fall der DMJ972 von höchster Brisanz, denn es ist ein weiterer rufschädigender Schlag für den wichtigsten Teil der Volkswirtschaft: den Tourismus.

Die kubanische Tourismusbranche schrumpfte im Jahr 2018 bislang um sieben Prozent

Nachdem 2015 die Präsidenten Raúl Castro und Barack Obama das Ende des Kalten Krieges in der Karibik ausgerufen hatten, erlebte Kuba einen bis dahin beispiellosen Boom seiner Pauschalreisebranche. Erstmals wurde die magische Zahl von vier Millionen Feriengästen pro Jahr übertroffen. Sie kamen vor allem aus Kanada, Europa und aus den Vereinigten Staaten, wo Kubareisen bis auf wenige Ausnahmen bis dahin verboten waren. Und sie ließen jene Devisen da, mit denen die marode sozialistische Planwirtschaft ihr Überleben sichert.

Dieser Boom ist aber schon wieder vorbei, drei sich unglücklich verzahnende Ereignisse haben ihn weitgehend zum Erliegen gebracht: die Wahl von Donald Trump, der Hurrikan Irma, der die halbe Insel zerstörte und der bizarre Spionageskandal um angebliche Akustikattacken auf US-Diplomaten in Havanna. Im vergangenen Herbst sprach die Trump-Administration deshalb eine Reisewarnung für Kuba aus, in den ersten drei Monaten dieses Jahres landeten 40 Prozent weniger US-Amerikaner in Kuba als im entsprechenden Zeitraum des Vorjahres. 14yMedio zufolge schrumpfte die kubanische Tourismusbranche im Jahr 2018 insgesamt bislang um sieben Prozent.

Das kubanische Tourismusministerium wirbt seither im großen Stil für seine in der Tat herausragend schöne Karibikinsel. Aber der Slogan von der "Destination des Friedens und der Sicherheit" wirkt wie Hohn angesichts der jetzt für alle Welt offensichtlichen Flugunsicherheit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: