Flugzeugabsturz:Keine Nachfragen

Flugzeugabsturz: Am Absturzort der Maschine in den französischen Alpen wurde am Dienstagabend die Bergung der Opfer abgeschlossen.

Am Absturzort der Maschine in den französischen Alpen wurde am Dienstagabend die Bergung der Opfer abgeschlossen.

(Foto: Jean-Pierre Clatot/AFP)

Der Copilot Andreas Lubitz informierte Lufthansa bereits im Jahr 2009 über frühere schwere Depressionen - als er in der Flugschule seine Ausbildung wieder aufgenommen hatte. Die Airline teilt das jetzt erst mit.

Von Bernd Dörries

Ein Attest lag zerrissen in der Wohnung, ein paar gelbe Schnipsel. Es wirkt so, als kämpfe jemand mit seiner Krankheit, und mit sich. Andreas Lubitz war bei einem Psychiater, er war beim Neurologen und in der Uniklinik. Die Ärzte schrieben ihn krank, aber genau das wollte er ja nicht sein. Seit vielen Jahren hat sich Andreas Lubitz mit seiner Krankheit beschäftigt, mit den suizidale Tendenzen. Die Krankheit war für ihn eine Bedrohung, für ihn als Mensch und für seinen Beruf, seinen Traum. Seine Erkrankung hat er der Lufthansa zuletzt verheimlicht, hat die Atteste versteckt. Im Jahr 2009 war das noch anders, da glaubte Lubitz noch, auch Offenheit könnte eine Lösung sein. Er schrieb eine E-Mail an die Verkehrsfliegerschule der Lufthansa in Bremen, erzählte seinen Ausbildern von einer "abgeklungenen schweren depressive Episode" und legte Dokumente bei, die seine Genesung belegen sollten. Das gab die Lufthansa am Dienstagabend bekannt, nachdem sie eine Woche lang darauf verwiesen hatte, nichts zum Gesundheitszustand ihres ehemaligen Piloten sagen zu können. Manchmal sprach die Schweigepflicht dagegen, mal die Ermittlung der Staatsanwaltschaft. "Lufthansa treibt Aufklärung voran", so überschreibt der Konzern nun den plötzlichen Sinneswandel. Lubitz durfte 2009 seine Ausbildung fortsetzen, 2013 stellte ihn Germanwings als Copiloten ein. Er schien ein gelungenes Beispiel dafür zu sein, dass eine Depression für Piloten nicht einem Berufsverbot gleich kommt. So wie es früher war. Der medizinische Fortschritt und der differenzierte Blick, mit dem die Gesellschaft mittlerweile auf solche Krankheiten schaut, haben dazu geführt, dass Piloten, die Selbstmordabsichten hatten oder sich selbst verletzten, nicht mehr grundsätzlich als untauglich gelten. So steht es in der Verordnung 1178/2011, veröffentlicht im Amtsblatt der EU. Auf Dutzenden Seiten ist dort aufgeführt, wer Berufspilot werden darf und wer nicht. Welche Krankheiten zur Untauglichkeit führen: Bei schwerem Asthma wird die Lizenz verweigert und bei chronischen Gallensteinen. "Bewerber mit einem psychiatrischen Leiden müssen einer zufriedenstellenden Beurteilung unterzogen werden", heißt es da. Und die Beurteilung bekam er. Alles schien vorerst in Ordnung zu sein. Weil psychische Erkrankungen aber wiederkehren, versahen die Ärzte sein Medical mit dem Hinweis, dass er sich regelmäßigen medizinischen Untersuchungen unterziehen muss. Seinem Arbeitgeber Lufthansa war dieser Hinweis bekannt. Nachfragen gab es aber offenbar keine. Es sieht so aus, als wäre Andreas Lubitz bei der Nachkontrolle vor allem sich selbst überlassen gewesen. In den vergangenen Monaten hetzte er von Arzt zu Arzt, von Psychiater zum Neurologen. Er glaubte, kaum noch sehen zu können, obwohl die Ärzte keinen organischen Schaden feststellen konnten.

Piloten wie Lubitz brauchen eine "zufriedenstellende psychiatrische Beurteilung", sagt die Richtlinie

Der 27-Jährige, heißt es aus Ermittlerkreisen, habe aller Wahrscheinlichkeit nach an einer bipolaren Störung gelitten, sei manisch-depressiv gewesen. Ein Befund, der ihn wohl aus dem Cockpit verbannt hätte. Eine Frage im Ermittlungsverfahren wird deshalb auch sein, ob die behandelnden Ärzte wussten, dass Lubitz Pilot war; dass er in seinem Zustand andere gefährden kann. Strafrechtlich kann das relevant werden, unter dem Gesichtspunkt der Fahrlässigkeit.

Nach dem Amoklauf von Winnenden fragten sich Hinterbliebene schon einmal, ob man den Geisteszustand des Täters früher hätte erkennen können. Tim K. war ebenfalls in psychiatrischer Behandlung gewesen. Die Eltern warfen der Klinik, die ihren Sohn behandelte, eine Mitschuld an der Tat vor. Tim K. sei nicht richtig versorgt worden, obwohl er gegenüber Ärzten Andeutungen gemacht habe, die auf eine Gefährdung hingewiesen hätten. Ein Zivilverfahren läuft noch.

Es geht letztlich um die Frage, ob eine psychische Störung, die nicht erkannt oder geheilt wurde, ein Behandlungsfehler ist. Wie ein Bein, das nicht mehr zusammenwächst. Aber so einfach ist es nicht.

Bei einem Augenleiden ist es relativ leicht festzustellen, ab wann jemand fluguntauglich ist. Für den Fernvisus gibt es Werte, die ein Pilot erreichen muss. Bei psychischen Erkrankungen ist es hingegen schwer einzuschätzen, wann jemand wirklich zum Risiko wird.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: