Flugzeugabsturz in New York:Die Stille im Cockpit

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Pilot Chesley Sullenberger, der mit einer Notwasserung auf dem New Yorker Hudson River 155 Menschen das Leben rettete, hat die Minuten nach dem Triebwerksausfall beschrieben.

Nach der spektakulären Notwasserung eines Airbus auf dem Hudson River in New York ist die Unglücksmaschine in einer nächtlichen Großaktion geborgen worden.

Die geborgene Unglücksmaschine: Untersuchungen des Flugschreibers sollen die genauen Ursachen für den Absturz feststellen. (Foto: Foto: dpa)

Experten konnten am frühen Sonntagmorgen (Ortszeit) den Flugschreiber und den Stimmenrekorder sichern. Die Geräte sind zur Aufklärung der Unfallursache nötig. Der als "Held vom Hudson" gefeierte Pilot Chesley Sullenberger ("Sully") sagte den Ermittlern unterdessen, er habe mit der Notwasserung am Donnerstag eine Katastrophe verhindern wollen. Alle 155 Menschen an Bord konnten wie durch ein Wunder gerettet werden.

Kopilot Jeff Skiles steuerte die Maschine, als er einen Schwarm Vögel in perfekter Formation auf sich zukommen sah. Als Sullenberger aufblickte war die Frontscheibe voll mit dunkelbraunen Vögeln. "Er wollte sich ducken", zitierte Kitty Higgins von der Verkehrssicherheitsbehörde NTSB aus dem Gespräch mit Sullenberger. Dann folgten ein dumpfer Schlag, der Geruch verbrannter Vögel und Stille, als beide Triebwerke ausfielen. "Es war so ruhig wie in einer Bibliothek", beschrieben Flugbegleiter nach Angaben der NTSB diesen Moment.

Sullenberger sagte den Ermittlern, er habe sofort nach der Kollision mit den Tieren das Steuer übernommen. Eine Rückkehr zum Flughafen LaGuardia kam nicht in Frage. Um nach Teterboro zu gelangen, hätte er den Airbus über das dicht besiedelte New Jersey steuern müssen. "Das schaffen wir nicht", funkte der Pilot an den Tower. "Wir nehmen den Hudson." Unterdessen bemühte sich sein Kopilot, die Triebwerke wieder zu starten, während er gleichzeitig eine Checkliste für Notlandungen durchging, die allerdings normalerweise für eine Höhe von mehr als 10.000 Metern gilt.

Sullenberger steuerte den Airbus über die George-Washington-Brücke und suchte einen geeigneten Platz für die Notwasserung. Die Piloten sind angewiesen, die Maschine in einem solchen Fall nach Möglichkeit in der Nähe eines Schiffs aufzusetzen, damit schnell Hilfe geleistet werden kann.

Sullenberger entschied sich für einen Abschnitt in der Nähe des Fähr-Terminals von Manhattan. So waren die Retter innerhalb von Minuten bei der verunglückten Maschine.

Alles ging so schnell, dass die Besatzung nicht mehr dazu kam, einen Mechanismus auszulösen, der alle Ventile und Löcher im Rumpf verschließt, um das Flugzeug länger auf dem Wasser zu halten. Nach der Notwasserung beschloss die Flugbegleiterin im hinteren Teil der Maschine, die Ausgänge dort nicht zu öffnen, wie sie den NTSB-Ermittlern sagte. Allerdings habe eine Frau dennoch eine der Türen geöffnet, so dass Wasser in das Flugzeug eingedrungen sei.

Sullenberger berichtete den Ermittlern in einem Hotel in Manhattan von den Geschehnissen am Donnerstag, äußerte sich aber nicht vor Journalisten. Die NTSB veröffentlichte ein Video, das die spektakuläre Notwasserung zeigte. Überwachungskameras auf einem Pier zeigten den Gleitflug und die aufspritzende Gischt, als die Maschine auf dem Bauch über das Wasser glitt. Außerdem ist zu sehen, wie schnell die Strömung das Flugzeugwrack erfasst, während die Passagiere auf die Tragflächen klettern und die ersten Fähren zur Rettung herbeieilen.

Ein Mann im Stadtteil Bronx beobachtete das Drama in der Luft und wählte den Notruf. "Oh mein Gott! Es war ein großes Flugzeug. Ich habe gerade einen lauten Knall gehört", sagte der Mann laut der veröffentlichten Aufzeichnung. "Wir haben hochgeschaut und das Flugzeug flog genau über uns hinweg und es drehte. Oh mein Gott!" Praktisch gleichzeitig funkte der Pilot an den Tower, er werde wahrscheinlich "im Hudson enden".

Zwischen dem Vogelschlag und der Notwasserung vergingen nur dreieinhalb Minuten. "Brace! Brace! Head Down!" riefen die Flugbegleiter den Passagieren zu, die ihre Köpfe zwischen die Knie nehmen sollten. Dann kam das Wasser. Zwei Flugbegleiter verglichen den Aufprall mit einer harten Landung - nicht mehr. Die Maschine wurde langsamer und stoppte. Dann kam das nächste Kommando des Piloten: "Evakuieren!"

Am Sonntagmorgen um 01.30 Uhr war es dann soweit: Ein gigantischer Kran hievte die Unglücksmaschine aus dem Fluss. Einen Augenblick schwebt der weiße Vogel in seinen Rettungsschlingen frei über dem Wasser.

Das gleißende Flutlicht zeigte auf den TV-Bildern gespenstisch die Schäden, die der Aufprall auf dem Wasser verursacht hat: Die Spitze der rechten Tragfläche ist abgebrochen, aus dem Rumpf ragen Kabel und zerfetzte Metallteile, und die vordere Tür ist abgerissen, sie hängt nur noch schräg an einer Angel.

Mehr als 15 Stunden haben die Experten bei eiskalten Temperaturen um die Bergung gerungen. Heftige Strömung und andrängende Eisschollen erschwerten die Arbeit. Die inzwischen mit Wasser vollgelaufene und schätzungsweise 450 Tonnen schwere Maschine musste in Stahlgurten Zentimeter für Zentimeter angehoben werden, andernfalls wäre sie zerbrochen. Als sie schließlich auf einem riesigen Schleppkahn niedergelassen wurde, war das meiste Wasser abgelaufen.

Die Aufzeichnungsgeräte aus der Maschine wurden nach Angaben der New York Times in eisgekühlten Spezialbehältern zur Analyse nach Washington gebracht. Das Flugzeug soll an Land gebracht und dort untersucht werden. Eines der beiden Triebwerke fehlte am Sonntag zunächst noch. Taucher hatten nach Angaben der Behörden jedoch mit Sonargeräten eine mögliche Fundstelle geortet. Das zweite Triebwerk befand sich entgegen früheren Angaben noch an der Maschine.

Erfolgspilot Sullenberger berichtete in seiner ersten Aussage vor den Ermittlern, schon kurz nach dem Start am Donnerstag in etwa 900 Metern Höhe sei der voll besetzte Airbus A320 in einen Vogelschwarm geraten, beide Motoren fielen aus.

Der Airbus sei über einem dicht besiedelten Gebiet "zu niedrig, zu langsam" gewesen, um noch einen Flughafen zu erreichen, sagte Sullenberger nach Angaben von Kathryn Higgins, der Sprecherin der ermittelnden Verkehrssicherheitsbehörde. "Wir schaffen es nicht. Wir werden im Hudson landen", gab der Kapitän an den Tower durch. "Es hätte katastrophale Folgen haben können, wenn wir das nicht gemacht hätten", sagte er laut Higgins.

Der künftige US-Präsident Barack Obama würdigte die dramatische Notwasserung Sullenbergers als "heldenhaften und tollen Job". Obama habe dem Piloten am Freitagabend in einem fünf Minuten langen Telefonat versichert, dass jedermann sehr stolz auf seine Leistung sei, teilte das Büro des designierten Präsidenten mit.

Die New Yorker Stadtverwaltung und die Wasserwacht stellten inzwischen Videos von der spektakulären Aktion zur Verfügung.

Bisher haben die Behörden noch nicht offiziell bestätigt, dass Vogelschlag die Unglücksursache war. Erst die Analyse der Triebwerke soll zeigen, ob ein oder mehrere Vögel sich in den Schrauben verfingen und sie dadurch blockierten. In den US-Zeitungen brach gleichwohl eine erregte Debatte über das gefürchtete Vogelrisiko los.

Die Titelseite des Boulevardblatts New York Daily News bestand am Samstag nur aus einem Bild, das eine Wildgans im riesigen Fadenkreuz eines Gewehrs zeigt. "Tötet sie, ehe sie noch ein Flugzeug runterholen!", stand in schwarzen Lettern darüber. Nach Angaben der Zeitung sind seit dem Jahr 2000 in den USA fast 500 Flugzeuge bei Kollisionen mit Vögeln beschädigt worden, 166 von ihnen hätten eine Notlandung machen müssen. Das Blatt bezog sich auf eine Statistik des Bundesflugamts.

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