Flug MH370:Hobbyforscher gräbt weiter nach MH370-Fundstücken

New pieces of MH370 debris

Blaine Gibson mit zwei Fundstücken am Strand auf der Insel Nosy Boraha in Madagaskar.

(Foto: dpa)

Blaine Gibson fotografiert und sammelt vom Indischen Ozean angeschwemmte Privatsachen. Er glaubt, dass sie von Passagieren des abgestürzten Flugzeuges stammen könnten.

Von Arne Perras

Der feine weiße Sand am Riake Beach lässt Blaine Gibson nicht los. 18 Kilometer Strand im Norden von Madagaskar, Sonne, Wasser, Palmen. Wo ließe es sich besser ausspannen?

Aber deswegen ist der Amerikaner gar nicht hier. Der Anwalt Blaine Gibson stöbert lieber überall herum, er dreht und wendet möglichst alles, was in der Gegend von Riake mit den Wellen des Indischen Ozeans angeschwemmt wird. Die Liegestühle überlässt er anderen. Er buddelt im Sand.

Strandgut hat schon immer die menschliche Neugier geweckt, doch das Interesse von Gibson ist sehr speziell. Er macht hier weder in Urlaub, noch erledigt er einen bezahlten Auftrag. Gibson ist jener Mann, den sie den neuen "Indiana Jones" nennen. Seit Monaten läuft er kilometerlange Strände am Indischen Ozean ab oder steuert in Booten durch die Mangroven, immer getrieben von einem Ziel: Er sucht nach Spuren von MH 370, dem größten Rätsel der modernen Luftfahrt. Die Boeing 777 der Malaysia Airlines, die am 8. März 2014 in Kuala Lumpur mit 239 Menschen an Bord startete und niemals am Zielflughafen in Peking ankam, ist auch nach zwei Jahren und drei Monaten immer noch verschollen. Und das treibt Gibson um.

Über eines der Trümmer, die der eigenwillige MH-370-Forscher schon entdeckte, sagen Experten immerhin, dass es "fast mit Sicherheit" zu MH 370 gehöre. Zuletzt aber sammelte der blonde Anwalt mit den wirren Haaren vor allem kleinere Teile an der Küste ein.

Diese Funde haben alle eines gemeinsam: Sie sind keine mutmaßlichen Flugzeugtrümmer, sondern sehr persönliche Gegenstände. Sie haben mit großer Sicherheit einmal einem Menschen gehört, bevor sie ihren Weg ins Meer fanden und in Riake Beach angeschwemmt wurden.

Mögliche Gepäckstücke?

Etwa 20 dieser Teile haben Gibsons besondere Aufmerksamkeit erregt, weil sie auch gut zu einem Gepäckstück eines Flugreisenden passen könnten. Eine Tasche mit einem weißen Angry-Bird auf der Außenseite ist das augenfälligste Stück in der Sammlung, die Gibson nun fotografiert hat und den betroffenen Familien via Internet zukommen ließ. Neben weiteren Taschen aus Stoff in verschiedenen Formen und Größen gibt es da auch noch die Hülle einer kleinen Kamera. Eine schwarze Laptop-Hülle mit dem Logo "Mensa"; solche Dinge.

missing flight MH370

Gegenstände wie diese Tasche fand und fotografierte der Amerikaner Blaine Gibson am Strand von Madagaskar.

(Foto: Blaine Gibson/dpa)

Vielleicht kann ja irgendjemand irgendetwas wieder erkennen und zuordnen, das ist Gibsons Idee - und Hoffnung. Die Fotos sind zugänglich auf der Webseite einer australischen Organisation, der Aircrash Support Group Australia (ASGA). Sie ist aus einer Selbsthilfegruppe hervorgegangen und hilft nun jenen, die entweder ein Flugzeugunglück überlebt oder bei einem solchen Crash Angehörige oder Freunde verloren haben.

Einen Versuch wert

Während die betroffenen Familien die Bilder im Netz nun studieren können, hat Gibson die Originalfunde an die ermittelnden Behörden weitergegeben, die auch die gesammelten Trümmerteile untersuchen. Bei einigen Stücken nimmt man inzwischen "mit großer Wahrscheinlichkeit" an, dass sie zu MH 370 gehören. So fand man schon 2015 auf La Réunion eine Flügelklappe, das bislang deutlichste Indiz darauf, dass dieser Flug irgendwo in den Weiten des Indischen Ozeans endete.

Bei dem nun fotografierten kleineren Treibgut, das Gibson eingesammelt hat, weiß man das noch nicht. Natürlich kann jedes Teil auch eine ganz andere Geschichte haben, es kann, wie der Amerikaner sagt, "einfach von einem Schiff gefallen sein". Dennoch findet er, dass es allemal einen Versuch wert sei, die Familien einen Blick darauf werfen zu lassen. Zumal die äußerst aufwendige Suche nach dem Wrack der Maschine im Indischen Ozean noch immer erfolglos verläuft.

Angehörige: "Einstellung der Suche ist keine Option"

Solange man das Flugzeug nicht findet, sind die Chancen nicht sehr groß, dass sich das genaue Schicksal von MH 370 noch aufklären lässt. Nach Auswertung aller verfügbaren Daten und Informationen gehen die Ermittler davon aus, dass die Boeing 777 damals mehrfach den Kurs wechselte, bevor sie schließlich hinaus auf den südlichen Indischen Ozean flog, wo sie dann, als ihr der Treibstoff ausging, abgestürzt sein soll. Anhand von Satellitendaten und Strömungsberechnungen steckten die Experten ein Suchgebiet ab, wo sie die verschollene Maschine am Meeresgrund vermuten.

Doch die Unsicherheit, was wirklich an Bord geschah, und die ergebnislose Suche machen es den Familien schwer, mit diesem Schlag umzugehen. Wie sollen sie trauern, wenn sie nicht einmal wissen: Hat einer die Maschine entführt? Gab es einen technischen Defekt? Beging ein Mitglied der Crew Selbstmord und riss alle anderen mit in den Tod? Die Angehörigen ersehnen Antworten, die ihnen immer noch niemand geben kann.

missing flight MH370

Ob die Taschen tatsächlich aus Flug MH 370 stammen, ist bisher aber unklar.

(Foto: Blaine Gibson/dpa)

Ein Witwer klagt über Behörden

Im Gespräch mit der BBC erklärt der Ehemann der vermissten indischen Passagierin Chandrika Sharma, dass nichts von den fotografierten Fundstücken seiner Frau gehöre. Zugleich zeigte sich der Inder irritiert darüber, dass die untersuchenden Behörden aus seiner Sicht "auf allen Ebenen einen Sinn für Dringlichkeit" vermissen ließen. So haben sich viele Angehörige geäußert, sie begreifen nicht, dass nicht mehr herauszufinden ist, um das Rätsel endlich aufzulösen.

Die Einsatzkräfte haben inzwischen mehr als 90 Prozent einer 120 000 Quadratkilometer großen Suchzone mit Spezialgeräten durchkämmt, in der Hoffnung, dort im Meer das abgestürzte Wrack der Boeing 777 zu finden. An der Suche beteiligen sich Australien, China und Malaysia. Vertreter der Staaten begannen am Montag Gespräche, wie es im August weitergehen soll, doch über Ergebnisse wurde zunächst nichts bekannt. Bislang hieß es, dass die Suche dann eingestellt wird, wenn keine neuen glaubwürdigen Hinweise auftauchen, wo sich das Flugzeug befinden könnte. Das aber möchten viele Angehörige nicht akzeptieren, die Selbsthilfegruppe Voice370 hat schon erklärt: "Die Suche einzustellen ist keine Option."

Für Blaine Gibson schon gar nicht. Wie lange der selbsternannte Entdecker den Sand am indischen Ozean noch umgraben will, hat er nicht gesagt. Doch nichts deutet darauf hin, dass der Eifer des Amerikaners bald erschöpft sein könnte.

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