Flüchtlingstheater:Wir sind Pöseldorf

Lesezeit: 3 min

Das Berliner Theatertreffen wird mit einer so ungewöhnlichen wie mutigen Inszenierung eröffnet: Flüchtlinge spielen ein Stück der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.

Von Peter Burghardt

We are here, we will fight, freedom of movement is everybody's right", rufen die Flüchtlinge aus Afrika und Asien auf der Bühne des Hamburger Thalia-Theaters. Sie bewegen sich aufs Publikum zu. "Wir sind hier, wir werden kämpfen, Bewegungsfreiheit ist ein Grundrecht." Mit diesem Stakkato legen "Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek los.

Isaac Nnanemal und Murat Haruna aus Ghana sind unter ihnen, auch Ramin Qazizadeh und Elham Soltani aus Afghanistan. Wer hätte gedacht, dass ihre Odyssee sie in eines der besten deutschen Schauspielhäuser führt? Sie spielen neben Profis wie Barbara Nüsse und Felix Knopp. Sie spielen für: Bildungsbürger. Statisten, die durch die Wüste und auf Booten nach Europa kamen, nun sind sie in der Rolle ihres Lebens zu sehen. An diesem Freitag eröffnet der literarische Wutanfall von Literaturnobelpreisträgerin Jelinek Berlins Theatertreffen - am Tag der Arbeit. Flüchtlingen in Deutschland ist arbeiten verboten.

Die Hauptdarsteller spielen halblegal: Sie sind geduldet, aber arbeiten dürfen sie nicht

Bereits 2013 hatte die Österreicherin Jelinek ihren zornigen Text geschrieben, in Anlehnung an das antike Drama "Die Schutzsuchenden" von Aischylos. Es war ihre Reaktion auf das Flüchtlingselend im Mittelmeer und die Untätigkeit der Politik. Regisseur Nicolas Stemann inszenierte die Abrechnung und bat Immigranten hinzu. "Wir sind Lampedusa", steht auf einem Schild. Darüber leuchten Flüchtlingsszenen. Darsteller in Uniform schieben einen Stacheldrahtzaun vor die Laienschar. Sie verkörpern die Frontex-Schützer der EU-Außengrenzen.

Wunderbare Kunst. Seltsame Welt.

Ramin Qazizadeh darf sich rasch vorstellen, wenn "Die Schutzbefohlenen" schnelle Biografien vortragen. "Ich bin Ramid, ich komme aus Afghanistan, aus Herat", sagt er auf Deutsch und erzählt, dass seine Familie einst nach Iran geflohen und er nachher für viel Geld nach Deutschland gekommen sei.

Ein Treffen mit Ramin Qazizadeh und Elham Soltani in einem Nebenraum - vor der Aufführung. Die 19-Jährigen in Shirts erzählen, dass sie sich erst im Thalia kennengelernt haben. Elham ist der Sohn eines Apothekers aus Kabul, Mutter und Bruder wurden von den Taliban ermordet. Ramin besuchte eine Koranschule und stammt aus dem iranischen Exil, sein Vater war Imam. Er ist ebenfalls tot. Als Minderjährige ließen sich die beiden jungen Männer für Tausende Dollar in dieses fremde Land schmuggeln. Zu Fuß, mit dem Schiff und in Lastwagen, über die Türkei und Griechenland. "Wir wollten weg", sagt Ramin Qazizadeh, er trägt inzwischen Zopf, folgt einem Skript statt dem Koran und möchte gerne Autos reparieren. "Wir mussten weg." Weg von Bomben und Kriegern. Isaac Nnanemal und Murat Haruna aus Ghana haben ihre Fahrt in Westafrika begonnen. Ghana gilt zwar als politisch stabil, doch die beiden Männer gerieten als Christen in Konflikt mit ihren muslimischen Vätern. Sie flohen durch die Sahara nach Libyen, unter Muammar al-Gaddafi sei das Land für sie ein Paradies gewesen, sagen sie. Dort verdienten sie gut auf Baustellen und in Fabriken. Dann aber wurde Gaddafi 2011 gestürzt - und Tripolis für sie zur Hölle. Der Rückweg war abgeschnitten, dunkelhäutige Gastarbeiter wurden im Krieg in Boote gepfercht und aufs Meer gedrängt. Isaac Nnanemals erster Kahn kenterte, 42 Passagiere starben, darunter seine nigerianische Freundin. "Wir haben alles verloren", sagt er in einem Raum des Thalia-Theaters. Dann wurden beide Männer vor Lampedusa aufgegriffen und in Auffanglager gebracht. Mit Flugzeug und Bahn ging es vor zwei Jahren nach Hamburg, und da standen sie dann verloren am Hauptbahnhof und verstanden kein Wort.

Zu den ersten deutschen Begriffen der beiden Ghanaer gehörten Behördenmonster wie "Duldung" und "Ausländerbehörde" - bis heute bevorzugen sie Englisch für die Kommunikation. Sie hausten auf der Straße und im Kirchenasyl von St. Pauli, dort entstanden auch die Kontakte zum Thalia-Theater. Die Afghanen Ramin Qazizadeh und Elham Soltani lernten flott Deutsch. Nun stehen sie alle auf der Bühne und sagen Jelinek'sche Sätze wie: "Bitte zeigen Sie uns, wie wir auf das Fundament der Werte steigen können".

"Und wenn sie erst mal da sind, liegen sie uns auf der Tasche." So geht der Text

Die Auftritte im Theater sind halblegal, denn die wenigsten dieser Komparsen haben Arbeitsgenehmigungen. Der mutige Intendant Joachim Lux aber stützt die Aktion, obwohl die Gesetze geduldeten Einwanderern nur unbezahlte Praktika erlauben - und Abschiebung droht. "Und wenn sie erst mal da sind, liegen sie uns auf der Tasche", spottet Jelineks Text. Bei Murat Haruna aus Ghana klingt das anders: "Schau uns an. Wir sind stark, wir wollen arbeiten", sagt er hinter der Bühne. "Wir wollen nicht, dass die Regierung uns bezahlt." Für 300 Euro Sozialhilfe im Monat warten die Flüchtlinge in deprimierenden Camps auf Neuigkeiten der Bürokraten, jobben umsonst und lassen sich im Theater in Ganzkörperanzüge packen.

Im Thalia tauschen die Schauspieler dann das Motto "Wir sind Lampedusa" gegen "Wir sind Pöseldorf" aus. In dem teuren Alsterviertel klagten zuletzt drei Anwohner erfolgreich gegen eine Notunterkunft. Die Thalia-Zuschauer zeigen sich da wesentlich toleranter - gerade bei den Gesprächen mit Betroffenen hinterher.

"Freiheit kann ein Gefühl sein", singen "Die Schutzbefohlenen" gegen Ende des Stücks, der frühere Hobbyturner Ramin Qazizadeh aus Herat tanzt dazu eine Art Hip-Hop. Nachher fahren die einen nach einem interessanten Theaterabend in ihre Wohnungen und Villen. Die anderen übernachten wieder im Container, noch ihren Text im Ohr: "Wir sind hier, wir werden kämpfen, Bewegungsfreiheit ist ein Grundrecht."

© SZ vom 30.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: