Flüchtlingsdrama im Mittelmeer:Tödliche Sehnsucht

Die Zahl der Flüchtlinge aus Afrika wird weiter steigen und Tausende werden auf ihrer Reise sterben. Europa sollte sich deshalb etwas anderes überlegen, als sich einzumauern.

M. Bitala

Als ob man solche Tragödien verhindern könnte. Kaum war bekannt geworden, dass Anfang der Woche mehrere Hundert Flüchtlinge vor der Küste Libyens im Mittelmeer ertrunken sind, verkündete der italienische Innenminister Roberto Maroni, dass vom 15.Mai an die illegale Einreise in sein Land unterbunden werde. Dafür werde ein "Freundschaftsabkommen" mit der libyschen Regierung sorgen. Mit gemeinsamen See-Patrouillen könnten die meist hoffnungslos überladenen Boote aus Afrika dann abgefangen werden, bevor sie nach Europa übersetzen - oder untergehen.

Flüchtlingsdrama im Mittelmeer: Die Zahl der Flüchtlinge aus Afrika wird weiter steigen, wie viele Patrouillenboote, Stacheldrahtzäune oder Mauern es auch gibt.

Die Zahl der Flüchtlinge aus Afrika wird weiter steigen, wie viele Patrouillenboote, Stacheldrahtzäune oder Mauern es auch gibt.

(Foto: Foto: AFP)

Es mag sein, dass diese Patrouillen wirklich ein paar Flüchtlinge aufgreifen und nach Afrika zurückschicken werden. Und es kann auch sein, dass die italienische Regierung noch drastischere Maßnahmen ergreifen wird, um den Zustrom zu verringern. Auch auf Malta und auf den spanischen Kanaren landen immer mehr Menschen an, die auf das europäische Festland gelangen möchten, koste es, was es wolle.

Aber so sehr sich die EU und die südlichen Mittelmeerstaaten auch bemühen werden, eines ist jetzt schon gewiss: Die Zahl der Flüchtlinge wird weiter steigen, wie viele Patrouillenboote, Stacheldrahtzäune oder Mauern es auch gibt. Und genauso gewiss ist, dass auch in Zukunft Tausende auf ihrer Reise nach Europa sterben werden.

Um zu verstehen, warum diese Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen, sollte man wissen, wer sich überhaupt auf den Weg macht. Die meisten stammen aus den Ländern südlich der Sahara. Es sind überwiegend gut ausgebildete Männer zwischen 20 und 40 Jahren, und kaum einer von ihnen ist von Hunger, Krieg oder politischer Verfolgung bedroht.

Deshalb ist auch der Begriff Flüchtling nicht wirklich treffend, es handelt sich vielmehr um Auswanderer, die sich im nördlichen Nachbarkontinent ein besseres Leben und ein sicheres Einkommen erhoffen. Wer jemals in den mit afrikanischen Auswanderern überfüllten Transitstädten Gao in Mali oder Agadez in Niger war, der weiß, wie hochmotiviert diese Emigranten sind. Viele haben schon vier- oder fünfmal versucht, durch die Wüste an die nordafrikanische Küste zu gelangen. Allein auf dem Weg durch die Sahara sterben wohl mehr Menschen an Hunger, Durst oder Erschöpfung als durch kenternde Boote im Meer.

Auf die Frage, warum sie sich immer wieder in Lebensgefahr begeben, warum sie die Energie und das Geld, das die Reise nach Europa kostet, nicht in ihren Ländern investieren, hört man Antworten wie: Weil es keine Arbeit und keine Hoffnung gibt. Weil die Regierungen korrupt sind. Weil wir seit Jahren warten, dass sich in unseren Ländern etwas bewegt. Weil Orangenpflücker in Spanien mit 50 Euro Lohn am Tag mehr verdienen als ein Professor in Lagos in einem ganzen Monat. Und weil man die Familien in Afrika dann mit dem in Europa verdienten Geld unterstützen kann.

Auswanderung ist eine Risikoinvestition

Da aber fast keiner die 1000 Euro alleine aufbringen kann, die die Menschenhändler für den Transport nach Europa im Durchschnitt fordern, legen die Familien zusammen, damit der Sohn den gelobten Kontinent erreicht. Die Auswanderung ist also eine Risikoinvestition. Entweder der Emigrant kommt durch und macht damit auch die Angehörigen wohlhabend, so das Kalkül, oder er stirbt. Für die Gescheiterten gibt es kein Zurück in die Heimat, denn mit so einer Schmach will niemand leben.

Es ist diese Kombination aus der Sehnsucht nach einem besseren Leben und dem gewaltigen Druck durch die Familien, warum so viele Auswanderer nach Europa drängen. Wer aber bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen, den halten auch keine Mauern, Stacheldrähte oder Grenzen auf, um an sein Ziel zu gelangen.

Und selbst die Aufklärungskampagnen in Afrika, die das Elend in den europäischen Auffanglagern zeigen, wirken meist nur rührend. Keine noch so erbärmliche Unterkunft in Spanien oder Italien ist schlechter als ein Slum in Lagos, Nairobi oder Kinshasa. Und außerdem sehen die Menschen ja täglich im Fernsehen, wie wohlhabend Europa ist.

Wer aber angesichts der vollen Auffanglager und der Toten im Mittelmeer von einem "Sturm auf Europa" spricht, wer Angst davor hat, von Millionen Hungerleidern und Habenichtsen überrannt zu werden, der verkennt die Dimensionen.

Flüchtlingskatastrophen spielen sich innerhalb Afrikas ab

Zum einen spielen sich die echten Flüchtlingskatastrophen immer noch innerhalb Afrikas ab, zum anderen sähe es südlich der Sahara noch elender aus, gäbe es die Auswanderer nicht. In Berichten der Vereinten Nationen heißt es regelmäßig: Die Summen, die Migranten an ihre Angehörigen in die Heimat überweisen, sind dreimal so hoch wie die offizielle Entwicklungshilfe. Allein nach Äthiopien fließt auf diese Weise jährlich eine Milliarde Euro, das ist so viel wie ein Viertel des Staatshaushalts.

Da sich die Armut in Afrika nicht über Nacht abschaffen lässt, sollte sich Europa etwas anderes überlegen, als sich einzumauern. Die EU kann sich ohnehin nicht vom armen Rest der Welt abschotten, denn die Emigranten sind viel zu entschlossen, alle Grenzen zu überwinden. Mit einer großzügigeren und geregelten Aufnahmepolitik aber könnten vermutlich solche Tragödien wie vor der libyschen Küste zumindest seltener werden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: