Flüchtlingsdrama im Mittelmeer:Das Ende aller Hoffnungen

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Hunderte Flüchtlinge sind ertrunken, der schreckliche Ruf vom Meeresfriedhof hat sich wieder einmal bestätigt: Warum der Kanal von Sizilien immer wieder zur tödlichen Falle wird.

Stefan Ulrich

Ziffern, immer wieder Ziffern: Sind es 200, 300 oder 500 Ertrunkene? Drei, vier oder noch mehr gekenterte Schiffe? Die Zahlen der italienischen und libyschen Behörden änderten sich am Dienstag ständig. Gewiss war nur: Im Mittelmeer hat sich wieder eine Flüchtlingskatastrophe zugetragen, eine der größten überhaupt; und der Kanal von Sizilien hat seinen schrecklichen Ruf bestätigt, ein Meeresfriedhof zu sein.

Die Überlebenden: In Lampedusa werden Gerettete versorgt. (Foto: Foto: AP)

Dennoch wurden die Meldungen über das Unglück auf den Nachrichtenseiten im Internet rasch wieder vom ersten Platz verdrängt, durch Hiobsbotschaften von der Wirtschaftsfront. Der massenhafte Tod im Meer ist in Italien zur medialen Routine geworden, weil er sich so oft wiederholt, und - das wissen alle - auch in Zukunft wiederholen wird.

Allein im vergangenen Jahr sind offiziell 36.000 Männer, Frauen und Kinder in oft seeuntüchtigen Booten nach Italien geflüchtet, etwa 30.000 von ihnen auf die Insel Lampedusa. Wie viele ertranken, lässt sich kaum schätzen.

Hilfsorganisationen sprechen von Aberhunderten, wenn nicht Tausenden. Dabei hatte die italienische Rechte unter Silvio Berlusconi im Wahlkampf vor einem Jahr versprochen, die Tragödie zu beenden. Die Linke unter dem damaligen Premier Romano Prodi habe beim Flüchtlingsproblem versagt und alle ins Land gelassen. Das werde man besser machen.

Nun ist die Regierung Berlusconi bald ein Jahr im Amt - und die Situation hat sich noch zugespitzt. Selbst im Winter landeten Tausende Afrikaner in Italien an. Auf Lampedusa rebellierten erst die Bürger, die sich überfordert fühlen. Dann revoltierten die Flüchtlinge, weil Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord sie sofort abschieben lassen wollte. Das halbe Auffanglager der Insel ging in Flammen auf. Dabei hatte Maroni Anfang des Jahres versprochen, 2009 würden auf Lampedusa nur Touristen ankommen.

Nun kündigt der Innenminister an, die Flüchtlingsfahrten würden exakt vom 15.Mai an "mit Gewissheit" enden. Dann soll ein Abkommen zwischen Italien und Libyen wirksam werden, das gemeinsame Patrouillen vor der Küste des nordafrikanischen Landes vorsieht. Da die meisten Boote von Libyen aus starten, könnten die Überfahrten so tatsächlich eingeschränkt werden. Nur: Wer glaubt noch, dass das libysche Regime unter Muammar el-Gaddafi sich an Verträge hält? Bereits die Regierung Prodi hatte ja Ähnliches mit dem Wüstenoberst vereinbart - ohne Erfolg.

Versöhnungsabkommen

Vergangenen August schlossen Berlusconi und Gaddafi dann ein Versöhnungsabkommen. Danach erhält Libyen als Ausgleich für koloniales Unrecht in den kommenden 20 Jahren etwa fünf Milliarden Dollar. Im Gegenzug versprach Gaddafi: mehr Gas und weniger Flüchtlinge, ein Pakt, den man auch zynisch nennen kann. Bislang blieb er wirkungslos.

In Italien wird daher mit dem Finger auf Gaddafi gezeigt. So sagt Rocco Buttiglione, der Präsident der oppositionellen christdemokratischen Partei UDC: "Es ist offensichtlich, dass die heimlichen Immigranten weiterhin von den libyschen Küsten ablegen, und das kann nur unter Mitwisserschaft der libyschen Behörden geschehen. Also funktioniert etwas nicht."

Buttiglione meint, durch bilaterale Abkommen mit nordafrikanischen Staaten, wie sie die Regierung Berlusconi schließt, lasse sich das Problem nicht lösen. Nötig sei eine Mittelmeerkonferenz, um gemeinsam die illegale Migration zu bekämpfen.

Ähnliche Forderungen werden auch schon aus dem Regierungslager erhoben. Die Regierung Berlusconi ist beim Thema Flüchtlinge in einer heiklen Situation. Einerseits erwarten viele Wähler eine Politik der harten Hand gegen die Flüchtlinge. Andererseits setzen etliche Unternehmer und Landwirte gerne Einwanderer zu Billiglöhnen ein - insbesondere, wenn diese illegal im Land sind und sich daher nicht wehren können. Zudem pocht die einflussreiche katholische Kirche energisch darauf, dass die Flüchtlinge anständig behandelt werden. Die italienischen Bischöfe forderten am Dienstag: "Wer in Italien ankommt, muss aufgenommen und für den muss gesorgt werden."

Symbolische Politik

Bislang hat es den Anschein, dass die Regierung daher eher auf symbolische Politik und starke Worte setzt. Angekündigte Massenabschiebungen sind schwer umzusetzen, da die Identität vieler Flüchtlinge nur mühsam festzustellen ist und sich Herkunftsländer weigern, ihre Bürger wieder aufzunehmen. Zudem stellen 75 Prozent der Bootsflüchtlinge einen Asylantrag, wie das römische Büro des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) am Dienstag mitteilte.

In dieser Lage will die Regierung wenigstens die Insel Lampedusa aus den Schlagzeilen bringen, da sie zum Symbol des Elends geworden ist. Die Immigrantenboote aus Afrika sollen künftig nach Porto Empedocle auf Sizilien gebracht werden. Wer dennoch auf Lampedusa anlandet, soll rasch in ein "Identifizierungs- und Abschiebelager" im kalabrischen Isola Capo Rizzuto ausgeflogen werden. All das dürfte jedoch kaum einen Flüchtling abhalten, auf die lebensgefährliche Reise über das Mittelmeer zu gehen.

© SZ vom 01.04.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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